1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 Als ich zum Gefängnisdirektor Pinoy gerufen wurde, war ich entschlossen, mich nicht provozieren zu lassen. Dann stand ich in seiner Kanzlei, und es fiel mir schwer, zu begreifen, dass dieser joviale, ja fast leutselige Monsieur derselbe war, der seit einem halben Jahr versuchte, uns durch tausenderlei Schikanen seelisch und körperlich zu zermürben.
Mit freundlicher Geste wies er auf einen Stuhl, ein Stück von seinem Schreibtisch entfernt und zündete sich gelassen eine Brasil an. "Nun, Grousset, Sie haben sicherlich schon über Gründe für Ihr Gnadengesuch nachgedacht?"
Ich verneinte.
Pinoy legte ein Blatt Papier bereit und tunkte die Feder ins Tintenfass. „Wir werden es also nachholen."
"Ich denke, es wird nicht nötig sein, Herr Direktor."
Er tat, als habe er nicht gehört, sprach halblaut meine Personalien vor sich hin und schrieb sie auf das Blatt. Er hat deine Akte aufmerksam studiert, dachte ich und ließ ihn gewähren. Bei dem Wort verheiratet sah er mich fragend an. Ich nickte und sagte: "Mit Manon Grousset, geborene Printemps." Ich musste lügen, denn nur weil sie sich als meine Ehefrau ausgegeben hatte, war mir vor kurzem Manons Brief ausgehändigt worden, der erste und einzige bis jetzt. Das kostet mindestens vierzehn Tage Dunkelarrest, befürchtete ich, als er fragte: "Weshalb hatten Sie bisher angegeben, Sie seien ledig?"
Ich tat verlegen. "Es war mir peinlich, Herr Direktor. Sie wissen, ein Mann, dem die Frau weggelaufen ist, spielt eine klägliche Rolle. Inzwischen hat sie es sich überlegt und möchte wieder mit mir zusammenleben."
„Großartig!" Pinoy begeisterte sich. "Triftiger Grund für ein Gnadengesuch."
Er hatte den heftigen Wunsch, mit recht vielen Gnadengesuchen aufzuwarten, deshalb seine Samtpfötchen, und darum durchschaute er auch meine schwache Ausrede nicht, vielmehr, er wollte sie nicht durchschauen. Mir konnte es recht sein, denn das ließ mir die Hoffnung, auch fernerhin Briefe von Manon ausgehändigt zu erhalten. Es sei denn, Pinoy würde auf den Schwindel zurückkommen, falls ich festbliebe. Das aber musste ich. Ich war es mir schuldig, mir und den Kameraden, denn ich war einer von denen, die getrommelt hatten: Kein Gnadengesuch!
Ich wiederholte meinen Satz. "Es wird nicht nötig sein."
Pinoy schaute drein wie ein Kind, dem man gesagt hat, Weihnachten fällt aus. "Sie scherzen, Grousset. Sie behaupten doch nicht im Ernst, es sei unnötig, ein Gnadengesuch einzureichen. Erst recht nicht, wenn es Ihnen die Strafbehörde nahelegt."
"Wenn ich schon um etwas bitten würde, Herr Direktor; dann um Gerechtigkeit."
"Wann gab es je Sieger, die man ungestraft verleumden durfte, sie seien ungerecht?" Pinoy sagte es lächelnd, aber in seinem Blick war Heimtücke.
„Ich bin auf keinen Streit darüber aus, Herr Direktor", sagte ich sanft, "das mir zudiktierte Strafmaß genügt mir vollauf."
"Sie können es eventuell' mildern durch ein Gnadengesuch."
"Ich bin verurteilt zur Deportation an einen festen Platz, wenn ich daran erinnern darf, Herr Direktor. Stattdessen verbringe ich bereits sechs Monate in einem mittelalterlichen Kerker. Mein Verbringungsort ist die sonnige Halbinsel Ducos. Über diese feuchten Kasematten inmitten von Meer und grauem Nebel steht nichts in meinem Urteilsspruch.“
"Sie wünschen die wohlwollend gewährte Gelegenheit für ein Gnadengesuch umzuändern in eine Beschwerdestunde. Grousset?" Pinoy fragte es giftig.
"So kurz vor der Abreise sähe ich wenig Sinn in einer Beschwerde, Herr Direktor. Meine Bemerkung war mehr philosophischer Art und bezog sich auf das Problem Urteil und Ausführung."
"Scheren Sie sich zum, Teufel, Sie - Sie Philosoph!" Er brüllte es derart, dass ich zusammenzuckte. '"Ihr werdet das bereuen, ihr Hanswürste mit der Tapferkeitsmarotte! Dörrt nur erst in der südlichen Sonne wie ausgenommene Klippfische! - Raus!"
Unsanft packten mich die zwei Wachsoldaten; als sie das Gitterviereck aufgeschlossen hatten, vergaß keiner von beiden, mich mit einem Tritt zu bedenken. Über Pinoys Ärger mit der Gnadenkampagne seiner Regierung geriet die Geschichte mit meiner angeblichen Ehefrau in Vergessenheit. Ich hatte schon mehrere Briefe an Manon geschrieben, war aber bisher ohne Antwort geblieben. Als mich dann unerwartet jener Brief von Manon erreichte, fragte ich mich, wie sie meinen Aufenthalt erkundet haben mochte. Später erfuhr ich, dass sie in den Zeitungen von vier Gefangenendepots gelesen hatte, die auf den Reeden von Brest und Les Trousses eingerichtet seien, nämlich im Schloss von Oleron, in der Zitadelle des Saint-Martin-de-Re, im Fort Quelern und im Fort Boyard. Von den drei vorgenannten hatte Manon ihren Brief an mich zurückbekommen, also adressierte sie ihn nun nach Fort Boyard. Ich antwortete sofort, aber diesen Brief hat sie wohl nie erhalten.
Die Mitteilung von unsrer baldigen Abreise war ein fauler Trick gewesen, um uns für die Gnadengesuche zugänglicher zu machen. Als wir endlich, auf Tauglichkeit für die Überfahrt geprüft wurden, lag bereits ein Jahr in den Käfigen hinter uns.
Die sogenannte Tauglichkeitsuntersuchung ähnelte den bekannten Komödien mit Militärärzten, nur geschah sie hurtiger. Der Gemütsmensch, Marinearzt Dr. Chanal, legte nur einmal kurz das Ohr an die Brust jeden Mannes, um dann dem Schriftführer zuzurufen: "Gut zur Abreise!" Während dieser Prozedur hatte er sogar noch Zeit, jeden zu fragen, ob er selbst sich auch tauglich fühle: Verneinte jemand, erfolgte der besagte Ruf des Dr. Eisenbart um so sicherer. Uns verging das Lachen, als Dr. Chanal den Kameraden Corcelles ebenfalls auf diese Art behandelte. Corcelles litt an Schwindsucht und vermochte sich kaum auf den Beinen zu halten, er war von uns zur Untersuchung getragen worden. Ein jüngerer Arzt der Kommission bekam Mitleid und flüsterte mit Dr. Chanal, um einen Reiseaufschub zu bewirken. Der wurde unwirsch: "Ach was, die Haifische müssen auch was zu fressen kriegen!" Drei Wochen später ging der Wunsch des Haifischfreundes in Erfüllung. Corcelles starb und fand sein Grab im Meer.
Eine Seefahrt stellt sich in Volksliedern und Gassenhauern meist als amüsant dar. Wir wurden sehr bald gegenteilig belehrt. Wenigstens kamen wir nicht aus der Gewohnheit, zwischen Gittern hausen zu müssen. In den sogenannten Batterien, dem Zwischendeck der Fregatte 'Danae' befanden sich vier eiserne Riesenkäfige für je hundertfünfundsiebzig Mann. Unser Reisegepäck bestand aus einem kleinen Leinwandsack mit abgetragenen Kleidungsstücken und einer Hängematte, die nur nachts aufgehängt werden durfte. Wir hingen so dicht wie Fliegende Hunde auf Affenbrotbäumen, und je heftiger die Schiffsbewegungen waren, desto heftiger stieß man gegen die Körper seiner Nebenmänner. Das Essen war karg, aber gut gesalzen, das Trinkwasser so rar wie das Waschwasser, am rarsten war frische Luft. Die durften wir täglich eine halbe Stunde genießen, und das enge Plateau des Forts Boyard wuchs in der Erinnerung zum riesigen Tummelplatz. Denn jetzt war kein Gedanke mehr an Spaziergang. Wenn es regnete, hielten wir die weitgeöffneten Münder dem kühlen Nass entgegen, es war wie ein Trost des Himmels.
Vor der Abreise hatte man uns Briefpapier ausgehändigt und versprochen, die Briefe noch von Fort Boyard abzusenden. Als wir in Brest die Fährboote verlassen hatten und durch das Hafengelände marschierten, steckten die Briefe noch immer in unsern Taschen. An Gruppen von Hafenarbeitern wurden wir vorbeigetrieben, ihre Gesichter drückten keine Sympathien für unsere Wächter aus. Ich knüllte den Brief an Manon und ließ ihn dem Arbeiter, eines Entladungstrupps vor die Füße rollen, dessen Augen hasserfüllt auf unsere Bewacher blickten. Der mit dem aufgepflanzten Bajonett neben mir hatte etwas bemerkt, doch der Schauermann setzte derart herausfordernd seine Sohle auf das Papierknäuel, dass der Scherge es für geraten hielt, nichts gesehen zu haben.
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