Ärgerlich zerrte er an der Decke, was sich jedoch als fataler Fehler herausstellte. Die Decke rutschte und Luzifers Hinterbeine rutschten mit. Zweimal direkt hintereinander verlor er beinahe das Gleichgewicht und wäre vom Schrank gefallen, hätte er sich nicht in letzter Sekunde mit den Vorderpfoten festkrallen können. Mühsam hangelte er sich wieder auf den Schrank, nicht bereit, sich geschlagen zu geben und werkelte so lange weiter, bis der Wulst der Decke ungefähr seinen Vorstellungen entsprach.
Die Zeit drängte, bald würden Britta und Stefanie kommen. Luzifer testete sein Versteck. Zuerst hockte er sich hin und stellte fest, dass er die Sattelkammer noch im Blick hatte. Folglich konnten auch ihn noch alle sehen, genau das aber wollte Luzifer vermeiden. Zweiter Versuch: Luzifer legte sich auf die Seite, drückte den Kopf in die Decke und schielte nach oben. Sehr gut. Wenn er sich ganz flach hinlegte, konnte er nichts mehr sehen. Dass von unten jeder, der einen Blick auf den Schrank warf, ein weißes Katzenohr über den Wulst schauen sah, konnte Luzifer schließlich nicht ahnen.
Jetzt, beschloss er, brauche ich nur noch eine Höhle. Zum Glück war die Decke bei Luzifers Gewerkel und Gezerre so verrutscht, dass bereits eine Ecke umgeklappt war. Vorsichtig pfotelte Luzifer die Ecke nach oben, schob seine Schnauze unter die Decke und arbeitete sich weiter vor, bis der ganze Kater verschwunden war. Jetzt konnte ihn wirklich niemand mehr sehen.
"Ja wo ist denn Luzifer?", hörte Luzifer die verwundert klingende Stimme von Britta. Luzifer war begeistert. Es war ihm gelungen, sich unsichtbar zu machen, Sherlock Holmes wäre stolz auf ihn. "Der kommt bestimmt noch, er hat noch nie einen unserer Hörspielabende verpasst", meinte Stefanie. Schranktüren wurden geöffnet und Luzifer hörte, wie die beiden ihre Sättel aus den Sattelschränken holten. Britta stellte klappernd die Boxen für ihr Smartphone auf und fragte: "Was hören wir heute?"
Stefanie war sich nicht ganz sicher und überlegte. "Ich weiß nicht, such dir einfach was aus. Hauptsache spannend!" Britta stöpselte ihr Smartphone ein, rückte die Lautsprecher zurecht und meinte: "Ich stell auf "random" und wir hören das Hörspiel, das mein Smartphone aussucht."
"Aber wenn wir das Hörspiel schon kennen, suchen wir uns ein neues aus", verlangte Stefanie.
Luzifer konnte nicht sehen, dass Britta zustimmend nickte. Das wurde ihm in diesem Moment auch klar und er ärgerte sich, dass sein Versteck doch nicht so gut war, wie er gedacht hatte. Nächste Woche, so nahm der Kater sich vor, musste er die Decke so zusammen schieben, dass er zwar sehen, aber nicht gesehen werden konnte.
Endlich ging es los. Gespannt lag Luzifer unter seiner Decke und lauschte. Worum würde es dieses Mal gehen? Mord? Totschlag? Wurde jemand vergiftet?
Der Erzähler begann mit der Einführung in das Hörspiel. Eine Frau war tot in ihrem Schlafzimmer aufgefunden worden. Die Tür von innen verschlossen, das Fenster ebenfalls von innen verriegelt. Keinerlei äußere Anzeichen von Gewalt. Die Polizei tippte auf Selbstmord.
An dieser Stelle war Luzifer schon lange klar gewesen, dass es natürlich kein Selbstmord gewesen war, nein der Frau war das Leben genommen worden. Aber wie?
Der Detektiv in dem Hörspiel bekam von dem Ex-Ehemann der Frau den Auftrag, diesen Fall zu lösen und machte sich auf den Weg zum Tatort um vor Ort die Ermittlungen aufzunehmen.
Pah, Anfänger, dachte sich Luzifer als der Detektiv endlich im Haus des Mordes angekommen war und erstmal die dämlichen Standard-Frage abspulte: Wer war ermordet worden? Gab es irgendwelche Feinde? Gab es eine Tatwaffe? Wo war der Mord begangen worden? Luzifer dagegen war schon mitten in seinen Ermittlungen.
Der Kater überlegte bereits, was er über den Fall wusste, während der Detektiv noch im Dunklen stocherte. Wie hätte Luzifer den Fall lösen können? Dem Kater fiel ein, dass er sich ja, da er eine Katze war, in der Todesnacht unter dem Bett der Frau hätte verstecken können. Dann wüsste er jetzt ganz genau, was der Frau zugestoßen war. Aber das ging nicht mehr. Schade. Bedauernd, dass seine Idee nicht realisierbar war, wandte Luzifer seine Aufmerksamkeit wieder dem Hörspiel zu. Der Detektiv war gerade damit beschäftigt, nach Spuren zu suchen. Luzifer spitzte die Ohren. Das war wichtig. So bekam Luzifer zusätzliche Informationen. Wenn er alles richtig kombinierte, würde er den Fall vor der Auflösung im Hörspiel lösen können. Und tatsächlich, Luzifers konzentriertes Zuhören wurde belohnt.
Der Detektiv fand was der Polizei entgangen war: Zwei kleine Löcher am Handgelenk, winzigklein. Sofort kombinierte Luzifer, dass es sich um zwei Einstichlöcher handelte. Sie konnten von einem Vampir, einer Spritze oder etwas ganz anderem kommen. Eine von Luzifers Vermutungen wurde sofort von dem Detektiv bestätigt, auch dieser tippte zunächst auf eine Spritze. Luzifer freute sich, dass er dem Detektiv voraus gewesen war. Der vermutete, dass der Frau mit der Spritze ein schnell wirkendes Gift verabreicht worden war. Das hatte auch Luzifer in Betracht gezogen. Der Vampir war nur seine erste Idee gewesen und keine gute, wie der Kater sich offen eingestand. Außerdem bissen Vampire immer in den Hals, das wusste schließlich jedes Kind und viel wichtiger: Es gab gar keine Vampire!
Nein, Gift hatte die Frau getötet, das war klar. Aber wieso zwei Einstichlöcher? , fragte sich Luzifer. Dieses Problem hatte auch der Detektiv im Hörspiel.
Der Kater überlegte angestrengt. Vielleicht wollte der Mörder sicher gehen und hat zweimal zugestochen, weil die Spritze sich beim ersten Versuch aus irgendeinem Grund nicht vollständig geleert hatte?
Luzifer beschloss, diese Theorie im Hinterkopf zu behalten, bis er sie aufgrund von weiteren Indizien bestätigen konnte oder verwerfen musste.
Luzifer ermittelte weiter und beschäftigte sich als nächstes mit dem Problem, wie der Mörder das Zimmer von innen verschließen und es dann hatte verlassen können. Für einen kurzen Moment war Luzifer sich sicher, dass der Mörder doch durch das Fenster geflohen war, hörte dann aber wie der Detektiv erklärte, das Zimmer der Toten läge im zweiten Stock und es gäbe keine Spuren im darunter liegenden Blumenbeet. Luzifer war ratlos. Was war die Lösung?
Das Hörspiel ging weiter. Ein zweiter Mord passierte, dieses Mal war es die Putzfrau. Sie hatte den Auftrag erhalten, das Zimmer aufzuräumen, nachdem die Leiche der Frau fortgebracht worden war. Es gelang der Putzfrau allerdings noch, "Ssschh" zu flüstern, ehe sie in den Armen des Detektivs verstarb. Auch bei ihr fand man die Löcher, dieses Mal im Bein. Im Bein, überlegte Luzifer, Löcher? "Sssch"? Da lag die Lösung, er wusste es. In diesen vier Wörtern. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren, mit Erfolg.
Na klar, die Lösung lag doch auf der Hand. Der Detektiv rätselte noch immer, doch Luzifer war sich sicher: Eine Schlange hatte die beiden Frauen getötet und die Schlange versteckte sich unter dem Bett. Vermutlich war die Hand der Frau nachts aus dem Bett gerutscht, die Schlange hatte das als Angriff gesehen und zugebissen. Die Putzfrau hatte vermutlich das Bett frisch bezogen und die Schlage erneut aufgeschreckt, die wieder zugebissen hatte. Das war die einzige Erklärung, warum die Löcher bei der Putzfrau im Bein gefunden worden waren und bei der ersten Toten im Handgelenk. Eine Schlange erklärte auch die verschlossene Tür und alle anderen Probleme. Vermutlich war das Tier durch einen Lüftungsschacht oder eine Klimaanlage in das Zimmer gekommen. Ein ganz dummer Zufall, schlussfolgerte Luzifer. Beide Frauen waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
War doch ganz einfach, lobte sich Luzifer und vergaß dabei, dass er an eine Geschichte von Sherlock Holmes hatte denken müssen, die enge Parallelen zu diesem Fall aufwies. Luzifer hatte indirekt also Hilfe gehabt.
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