Die Funktionalität der Uhr schien tatsächlich in keiner Weise beeinträchtigt. Der Aufzugmechanismus, sowie die Automatik taten genauso ihre Dienste wie die Stellfunktion der Zeiger. Zu prüfen war natürlich noch die Ganggenauigkeit über einen längeren Zeitraum und die Gangreserve, wobei beides bei einer antiken Uhr nicht so vordergründig war. Ein solches Stück nutzte man gewöhnlich nicht als Zeitmesser und für ein reines Schmuckstück war es zu klobig. Einen Hemdärmel würde man darüber gar nicht schließen können.
Die Uhr verfügte tatsächlich nicht über die geringsten Gebrauchsspuren, sie sah so aus, als hätte man sie nach der Konstruktion direkt beiseitegelegt, wobei der Aufbewahrungsort nicht geschlossen gewesen sein dürfte, hatte die Uhr doch einigen Staub abbekommen. Offenbar hatte sie die Verkäuferin vom groben Schmutz befreit, aber in den Ecken um die Schräubchen herum war doch eine jahrelange Staubschicht zu erkennen. Mit seinem Rasierpinsel entfernte Brian die restlichen Staubpartikel so gut es ging.
Blieb noch das Rätsel um die Einstellung des Datums. War die Anzeige des Jahres 1935 vielleicht wirklich das Datum, an dem die Uhr zum letzten Mal bewegt worden war? Und bedeutete das automatisch, dass dieses auch das Herstellungsjahr war? Und warum fehlte ausgerechnet hierfür die Krone, wo doch alles andere so gut in Schuss war? Wurde sie bewusst entfernt oder war sie vielleicht nie eingesetzt worden? Viele Fragen, die vorerst ungeklärt bleiben würden.
Die Hauptkrone war, wie viele Teile des Werks von Durowe, ein Uhrwerkshersteller aus Deutschland, dessen Uhrwerke in den zwanziger und dreißiger Jahren häufig eingebaut wurden. Normalerweise aber nicht in Einzelteilen. Ob er ein solches Ersatzteil noch bekam? Es war durchaus denkbar.
Brian schrieb sich auf einem kleinen Notizzettel ein paar Stichworte auf:
JPC, Schweiz
Russische Übersetzung
Manufakturen/Konstrukteure 1935
Durowe-Krone
Dies waren die Dinge, die es zu recherchieren gab. Er würde heute noch auf dem Weg zum Abendessen irgendwo ein Internet-Café suchen und dort in Ruhe und auf einem größeren Bildschirm diesen Informationen nachgehen.
Vorsichtig schraubte Brian den Boden der Uhr ab, um sich das Innenleben näher anzuschauen. Unklar war ihm noch die Bedeutung des gewölbten Spiegels im Zentrum des Zifferblattes. Selbst unter der Lupe war die Sinnhaftigkeit desselben nicht zu erkennen. Aus optischen Gründen war er mit Sicherheit nicht dort installiert worden, denn er verlieh der Uhr erst ihr wuchtiges und fremdartiges Aussehen. Ohne ihn wäre der Zeitmesser zweifellos hübscher anzuschauen. Im Gegenteil, sie sähe nicht nur extravagant, sondern auch noch elegant aus. So allerdings erschien sie eher einem Science Fiction Film der 50er Jahre entsprungen. Vielleicht kamen ja Laserstrahlen aus der Uhr oder man konnte mit ihr telefonieren. Bei dem Gedanken musste Brian selbst schmunzeln. Vielleicht war es ja sogar ein Filmutensil aus einem zu Recht nie veröffentlichten französischen B-Movie und war in Wirklichkeit nur ein paar Penny wert.
Aber diese abstrusen Ideen verwarf der gelernte Uhrmacher gleich wieder. Er wusste, dass er es nicht mit etwas wertlosem zu tun hatte, denn hier waren edle Materialien verwendet, Gold, Silber und unter dem Spiegel sogar ihm unbekannte Kristalle. Wobei er sich die Frage stellte, warum diese sich auf der Rückseite befanden, wo man sie von außen gar nicht sehen konnte.
Brian versuchte eine seiner erstandenen Schräubchen in das Gewinde der fehlenden Krone zu schrauben, aber keine passte. Mit dem dünnsten seiner Schraubenzieher schaffte er es, das Innere des Gewindes zu bewegen und schon sprang auf der Vorderseite der Uhr das Datum einen Tag weiter. Es funktionierte also. Um aber das Gewinde nicht zu beschädigen, stoppte er sein Vorgehen augenblicklich und nahm Maß für das erforderliche Ersatzteil. Er notierte die Werte auf seinem Notizzettel und schraubte zufrieden die Einzelteile wieder zusammen. Die montierte Uhr wickelte er dann in eines seiner T-Shirts ein und legte sie vorsichtig in seinen Koffer.
Dann forschte er per Handy nach einem Internet-Café in der Nähe, zog seine Jacke an und machte sich auf den Weg. Er hatte einiges zu erledigen und war ungeduldig, Weiteres über seinen Neuerwerb zu erfahren.
Endlich war der letzte Karton im Auto verstaut. Laeticia Bernard schaute zufrieden auf den Kombi, dessen Heckklappe sie nun doch wesentlich leichter schließen konnte, als vor der Herfahrt. Der Flohmarktbesuch an diesem eher ungemütlichen Samstag war letztendlich doch erfolgreicher verlaufen, als sie am Morgen noch geglaubt hatte. Viele ihrer Sachen hatte sie verkaufen können, vor Allem die sperrigen Dinge, die im Hause ihrer Großmutter so viel Platz wegnahmen. Sicher, sie hatte das Meiste weit unter dem tatsächlichen Wert hergegeben, aber das war ihr egal. Es wurde langsam weniger und irgendwohin musste das Zeug ja. Am Ende wurden die verbleibenden Dinge gemeinsam mit den Möbeln ohnehin von irgendeinem Unternehmen abgeholt, die dann doppelt Profit daraus schlugen. Diese Halsabschneider ließen sich das Abholen bezahlen und verkauften dann das Zeug weiter. Und ein paar wertvollere Sachen befanden sich immer irgendwo zwischen altem Hausrat. So hatte sie aber wenigstens noch etwas davon, es gab ein schönes Geschenk für Oma Fernande und der ein oder andere Käufer freute sich über seinen Neuerwerb. Und die Interessenten, die ihr unsympathisch waren oder von denen sie das Gefühl hatte, dass sie sie über den Tisch ziehen wollten, hatten entweder ohnehin einen höheren Preis bezahlt oder waren leer ausgegangen. Sie fühlte sich insofern wohl und war glücklich mit dem Verlauf dieses Tages.
Auf dem Weg nachhause telefonierte sie dann mit ihrer Freundin Sandrine und berichtete von ihren erfolgreichen Verkäufen und den fast tausend Euro Gewinn, den sie gemacht hatte. Vorwurfsvoll erwähnte Laeticia aber auch, dass ihre Freundin nicht wie versprochen vorbei gekommen war, aber Sandrine hatte Probleme mit ihrem Auto gehabt und war kurzerhand in die Werkstatt gefahren. Sie verabredeten sich auf ein gemeinsames Abendessen am Montagabend.
Ein zweiter Anruf galt ihrer Großmutter, der sie ebenfalls von ihrem Tag erzählen wollte, doch sie ging nicht ans Telefon. Das war insofern nicht ganz so schlimm, als dass sie am folgenden Tag sowieso zum Kaffee verabredet waren. Hoffentlich erinnerte sich Großmutter daran, dachte Laeticia und runzelte die Stirn. Aber selbst wenn nicht, sie ging ja gewöhnlich nirgendwo hin. Und auf ihren großen Eisbecher im Café des Wohnheims würde sie niemals verzichten wollen. Also würde sie nachmittags auf jeden Fall dort sein.
Während Laeticia sich durch den Stadtverkehr quälte, ließ sie ihre Geschäfte abermals Revue passieren. Auch die jeweiligen Käufer hatte sie wieder vor Augen. Die, die ihr extrem unsympathisch vorgekommen oder besonders aufgefallen waren, aber vor allem Jene, die sehr freundlich gewesen waren. Da war dieses junge Pärchen, dem sie am Liebsten noch ein paar Dinge gratis mitgegeben hätte. Die Kunststudentin, die den ausgestopften Vogel als Modell kaufte. Die süße alte Frau, die zu jedem der Waren eine Anekdote zu berichten hatte, aber am Ende doch nichts kaufte. Dann der nette und charmante Amerikaner, der diese hässliche monströse Uhr kaufte und sichtlich glücklich darüber war. Er hatte so eine freundliche Wärme ausgestrahlt und sprach mit einer sonoren Stimme, die ihr Gänsehaut bereitet hätte, wäre nicht dieser fürchterliche Akzent gewesen. Aber trotz seiner beeindruckenden Erscheinung war er so sympathisch schüchtern gewesen. Und dann war da noch der junge Mann, der extrem gut aussah, sich aber scheinbar mehr für sie als ihre Waren interessiert hatte. Er wollte gleich ihre Telefonnummer haben, die sie ihm natürlich nicht gegeben hatte. Sie fragte sich, wie häufig er diese Masche anwandte und wie viel Nummern er wohl am Abend gesammelt hatte. Zahllose Gesichter schwebten an ihrem geistigen Auge vorüber und sie lächelte vergnügt, während sie das Autoradio noch etwas lauter stellte.
Читать дальше