Die hübsche Verkäuferin zuckte mit den Achseln und lächelte, ein Lächeln, für das es sich alleine schon gelohnt hatte heute aufzustehen. Sie sprach einige Worte auf Französisch, er glaubte irgendetwas mit Fünfzig verstanden zu haben, aber sein etwas ratloser Blick ließ sie schnell erkennen, dass er sie nicht verstanden hatte.
„Sind sie Amerikaner?“, fragte sie in akzentfreiem Oxford-Englisch.
Offensichtlich konnte man ihm das ansehen. Wie unangenehm, schon rein optisch sofort als Amerikaner erkannt zu werden, dachte er. Oder war es sein mit Sicherheit fürchterlicher Akzent, der ihn schon bei einem Wort verriet? Obwohl der wahrscheinlich eher eine Mischung aus amerikanisch und deutsch war.
„Ja, größtenteils!“, gab er automatisch zurück, wobei er sich gleichzeitig gewissermaßen über seine Offenbarung ärgerte, symbolisierte er durch sein Geständnis nicht automatisch den dollarschweren Touristen, den man so gerne bei solchen Möglichkeiten übers Ohr haute?
Aber das sympathische Lächeln dieser äußerst attraktiven jungen Dame ließ seine negativen Gedanken im Nu verschwinden. Von ihr würde er nichts zu befürchten haben, ihre Augen blickten ihn einfach zu ehrlich an.
„Sie sprechen ein perfektes Englisch.“, sprach er weiter und lächelte ebenfalls, obwohl das heute gar nicht seiner Stimmung entsprach.
„Danke!“, sagte sie knapp. „Ich weiß nicht recht, was ich dafür verlangen soll.“ Sie zeigte auf die Uhr in seiner Hand. „Was würden sie mir denn dafür geben? Die ist bestimmt 100 Jahre alt.“
„Na wirklich elegant ist sie ja nicht gerade, außerdem fehlen Teile.“
„Was würden sie von fünfzig Euro halten?“
Spätestens jetzt wusste Brian, dass die Händlerin weder professionell war, noch überhaupt die Spur einer Ahnung hatte von dem, was sie dort anbot. Er war sich sicher, er hätte den Preis noch um einiges herunterhandeln können, auf der anderen Seite wollte er wiederum die Frau nicht übervorteilen. Aber handeln gehörte auf solch einem Markt doch auch irgendwie dazu.
„Ich gebe ihnen vierzig – ok?“
„Einverstanden!“ Die Verkäuferin war offensichtlich froh, wieder ein Teil verkauft zu haben und somit wieder etwas weniger mit nachhause nehmen zu müssen. So waren beide Seiten zufrieden, wenn auch Brian mit Sicherheit das bessere Geschäft gemacht hatte. So hatte dieser Tag doch wenigstens noch etwas Gutes hervorgebracht.
„Sind sie öfter hier?“, fragte Brian während er bezahlte. Er wunderte sich in diesem Moment selbst über seine Frage, ahnte er doch eigentlich, dass dies nicht der Fall war und außerdem konnte es ihm egal sein. Er würde doch in wenigen Tagen sowieso nicht mehr hier sein. Wahrscheinlich war es nur dieses gewinnende Lächeln der jungen Frau, das ihn dazu brachte weitere Höflichkeiten auszutauschen. Oder hatte er am Ende doch ein schlechtes Gewissen, dass er ein echtes Schmuckstück für einen Spottpreis erworben hatte?
„Nein. Nächstes Wochenende wahrscheinlich noch einmal. Dann habe ich hoffentlich das meiste weg. Brauchen sie nicht noch Silberbesteck? Alles vollzählig. Ich habe auch noch eine Kaminuhr, die habe ich nur heute nicht dabei, bringe ich dann aber nächsten Samstag mit.“
Jetzt zeigte die Verkäuferin wieder ihr strahlendes Lächeln und sah ihn mit einem Blick an, der ihn davon hätte überzeugen können, den ganzen Stand zu kaufen. Aber was sollte er mit dem ganzen Trödel? Wäre er nicht zufällig auf die Uhr aufmerksam geworden, hätte er den Stand sicher ohne zu zögern passiert. Jetzt hatte er ein Stück für seine Sammlung erstanden und ein bezauberndes Lächeln erblicken dürfen, seine Stimmung war sichtlich besser als noch vor einer halben Stunde, der Tag hatte doch noch gut begonnen.
„Danke nein, aber ich wünsche ihnen weiterhin noch viel Erfolg.“ Brian reichte der hübschen jungen Dame die Hand, die sie mit einem festen und dennoch zarten und warmen Händedruck ergriff.
„Es war mir ein Vergnügen!“ fügte er noch hinzu, lächelte sie an und ging langsam weiter. Er glaubte, ihren Blick in seinem Rücken zu spüren, als er sich jedoch noch einmal umdrehte, war sie schon mit einem weiteren Kunden beschäftigt. Unter anderen Umständen hätte er sie vielleicht gefragt, ob er sie auf einen Kaffee einladen dürfe. Aber erstens hatte er heute noch Wichtiges zu erledigen, zweitens war sie schließlich um einiges jünger als er. Vor Jahren wäre er vielleicht mit dieser Masche erfolgreich gewesen, aber er musste der Realität ins Auge sehen. Er konnte nun mal mit den jüngeren Verehrern nicht mehr Schritt halten. Und eigentlich wollte er das ja auch gar nicht.
Brian hatte die Vierzig inzwischen überschritten und seine einst athletische Statur war mit dem Alter, der Bequemlichkeit und seiner Liebe zu diversen Gaumenfreuden etwas aus der Form geraten. Aber er war dennoch nach wie vor eine stattliche Erscheinung mit seinen fast zwei Metern Körpergröße und den breiten Schultern, die ihn schon als Jugendlicher für den Angriff eines jeden Footballteams attraktiv gemacht hatte. Das jahrelange Training hatte dann seinen Körper weiter gestählt und selbst seine Arbeit am Schreibtisch oder in der Uhrmacherwerkstatt hatte ihn nicht schwächen können. Erst die Trennung von seiner Frau und das Zerwürfnis mit seinem Vater hatte ihm die Lust an körperlicher Ertüchtigung genommen. Einzig seinem Sohn wollte er noch weiterhin Vorbild und ein guter Vater sein, sonst hätte er sich vielleicht schon in Selbstmitleid zerfressen.
David war jetzt sechzehn, ein durchaus guter Schüler und lebte abwechselnd bei seiner Mutter und Brian. Man hatte sich im Guten getrennt, weil beide, Brian und seine Frau Christine, eingesehen hatten, dass es gemeinsam keinen Sinn mehr hatte. Sie stritten sich unentwegt und erst seit der Trennung verstanden sie sich in der Tat besser denn je. Auch wenn man in Fragen von Davids Erziehung immer wieder unterschiedlicher Meinung war, raufte man sich doch zusammen und kam überraschenderweise immer wieder zu einer Einigung, schneller als dies jemals während ihrer Partnerschaft der Fall gewesen war.
Brian fiel ein, dass er unbedingt noch David anrufen wollte. Schließlich stand doch eine Versöhnung von Vater und Großvater bevor. Und David hatte seinen Großvater nicht mehr gesehen seit seinem vierten Geburtstag, dem Tag als Brians Vater unbedingt seine neue Partnerin mitbringen musste, keine drei Monate nach dem Tod seiner Ehefrau. Das hatte Brian ihm nie verzeihen können, aber anstatt sich darüber auszusprechen, ignorierten sich die beiden Männer nach heftigem Streit. Sein Vater war zurück in die Vereinigten Staaten gegangen und Brian in Deutschland und damit in der Nähe seines Sohnes geblieben. Und bis vor wenigen Tagen hatte Brian nicht mehr mit seinem Vater gesprochen.
Und nun, kurz vor einer längst überfälligen Aussprache und Versöhnung war sein Vater verschwunden. Bei der Polizei hatte man Brian nicht wirklich weiterhelfen können und wollen. Wirklich viel konnte er ja auch nicht dazu beitragen, seinen Verdacht zu bekräftigen. Sein Vater war selbst nur vorübergehend in Paris, seine Adresse hier in Paris, sowie in den USA oder Telefonnummern waren nicht bekannt und seine Vermutung beruhte auf einer nicht wahrgenommenen Verabredung. Nichts, was die Polizei hätte verfolgen können. Also bat man ihn, am kommenden Montag noch einmal vorbeizukommen, vielleicht hatte man dann etwas, was weiterhelfen konnte, einen Unfallbericht, eine Vermisstenmeldung oder Ähnliches. Bis dahin versuchte Brian auf eigene Faust etwas in den Regionalnachrichten und im Internet zu finden, beziehungsweise Grundlegendes über seinen Vater zu erfahren. Was sich als nicht gerade erfolgversprechend herausstellte.
Nun hatte Brian aber mit dem Kauf des neuen Sammlerstücks etwas Zerstreuung gefunden. Es war nur schade, dass er sein Uhrmacherwerkzeug nicht dabei hatte, sonst hätte er sich gleich daran gemacht, die Uhr zu reparieren. Aber er war auch genauso neugierig, Näheres über den Konstrukteur und die geheimnisvolle Gravur herauszufinden. Und dies war sein Ziel an diesem grauen Nachmittag in Paris, während er gedankenverloren und uninteressiert an den weiteren Marktständen vorbeischlenderte.
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