Trennung und Vereinigung
Tätige Vernunft trennt, zergliedert (Analyse) und entfernt, löst ab (Abstraktion). Liebe zwischen zwei gleichen und dennoch verschiedenen Menschen drängt zur Vereinigung. Elternliebe aber hat anders als Eros ein durchgängig trennendes Moment. Schon der Geburtsakt ist ein Schritt der Loslösung. Am Ende einer von Elternliebe gestützten Kindheit und Jugend sollte ein weitgehend autonomer Mensch stehen.
Scheidungen als rechtlich-soziale und versuchte emotionale Trennung zweier einst Liebender resultieren aus willentlichen Entscheidungen unter mehr oder weniger großer Beteiligung der Vernunft. Missverständnisse entstehen, weil bei Verwendung des Vernunftbegriffs nicht in Rechnung gestellt wird, dass Vernunft irren kann. Trennungen können aus diesem Grunde sowohl richtig als auch falsch sein.
Liebe dagegen hat weder eine Qualität im Positiven noch im Negativen. Den Falschen zu lieben ist ebenso unmöglich wie den Richtigen. Liebe irrt nicht, ebenso wenig hat sie je recht. Allenfalls lassen sich wahre oder unwahre Geschichten über sie erzählen.
Das Trennende, das Liebe bewirkt – die Loslösung von den Eltern – entsteht erst, wenn sie aus der Metaphysis, der Welt hinter der Welt, ins Leben tritt. Als Adam und die Frau aus seiner Rippe sich auf den Weg machten, blieben noch keine Eltern zurück, die weinend-winkend ihre Kinder verabschiedeten. Doch ist dieser Fall bereits in der paradiesischen Erzählung vorbedacht.
Was können wir über die Liebe wissen?
Wenn ein Philosoph zwei Prinzipien als wirkungsmächtig erkennt, ist er bestrebt, einen Ausgleich herbeizuführen: synthetisch gemäß der dialektischen Methode oder kausal im Nachweis eines gemeinsamen Ursprungs. Im Falle von Liebe und Vernunft gelingt kein überzeugender Weg der Zusammenführung. Beide können zwar nebeneinander existieren, das Bemühen um Balance ist aber per se schon eine Tätigkeit der Vernunft. Denn die Ausgewogenheit kommt aus dieser, die Liebe dagegen drängt es zur Vereinigung, dem Ende jeder Balance.
Letztendlich können wir zum Verhältnis von Liebe und Vernunft(erkenntnis) nur das in Worte fassen, was der zweite Schöpfungsbericht in Bildern darstellt:
Die Vernunft geht der Liebe als Möglichkeit voraus - der Baum der Erkenntnis existiert vor der Frau und der mit ihr Einzug haltenden Liebe. Der Gebrauch der Vernunft aber folgt erst der entstandenen Liebe. Mit dem Beginn der Erkenntnis jedoch ändert sich etwas auf dem Feld der Liebe.
War diese zuvor das Fundament der Beziehung von Mann und Frau, wird sie nun zu dem, was zuvor die Vernunft war: eine Möglichkeit, die nicht notwendig eintreten muss. Wenn sie den geschichtlichen, „real existierenden“ Menschen erreicht, ist sie in ihrer Entstehung dem Urerleben der paradiesischen Wesen verblüffend ähnlich. Als bloß bestehende Möglichkeit ergreift sie nicht jeden, sie kann verloren gehen und tut das in den meisten Fällen auch. Willentlich erschaffen kann der Mensch sie nicht, aber durchaus mutwillig zerstören. Als kosmische Hintergrundstrahlung ist sie allgegenwärtig und in Momenten größter Stille und Ruhe sogar spürbar oder hörbar, je nachdem wie unser Sinnes- und Empfindungsapparat beschaffen ist. Sie teilt sich in diesen rätselhaften Momente nicht im Verlangen nach einem konkreten Menschen mit, sondern als Sehnsucht ohne Anfang, ohne Objekt, ohne Ziel, ohne Ende. Die Sehnsucht nach einer Heimat, die keinen Ort, keinen Namen hat. So wie die Frau in der Erkennung durch Adam noch namenlos ist. Die Tiere haben bereits einen Namen, der Mann heißt Adam. Eva heißt die Frau erst nach den Turbulenzen um Schlange und Erkenntnisbaum. Eva ist der Name der mythologischen Urmutter aller Menschen, aber nicht der Name der Frau, der der Mensch-Mann folgt. Manchmal zweifele ich, dass beide identisch sind.
2. Kapitel: Die Frau in der Mitte (Jesus und die Ehebrecherin)
Johannes-Evangelium
Kapitel 8
1 Jesus aber ging zum Ölberg.
2 Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie.
3 Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte
4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
(zit. n. Luther Bibel 1984)
Markus Evangelium
Kapitel 10
1 Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Und abermals lief das Volk in Scharen bei ihm zusammen, und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie abermals.
2Und Pharisäer traten zu ihm und fragten ihn, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau; und sie versuchten ihn damit.
3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten?
4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden.
5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben;
6 aber von Beginn der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau.
7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen,
8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.
9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.
10 Und daheim fragten ihn abermals seine Jünger danach.
11 Und er sprach zu ihnen: Wer sich scheidet von seiner Frau und heiratet eine andere, der bricht ihr gegenüber die Ehe;
12 und wenn sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und heiratet einen andern, bricht sie ihre Ehe.
(zit. n. Luther Bibel 1984)
Schwieriges Bibelverständnis
Der Theologe Eugen Drewermann hat einmal das rechte Verstehen der Bibel mit der Lektüre einer Zeitung verglichen. Der geübte Zeitungsleser kann sich leicht orientieren und weiß auch ohne journalistische Vorkenntnisse zwischen Bericht und Kommentar zu unterscheiden, weil die Zeitungsredaktion die Bestandteile vorsortiert und an bekannter Stelle platziert. Auch für den Anzeigenteil, das Kreuzworträtsel und den unterhaltenden Teil sind die Unterbringungsorte unmissverständlich ausgewiesen. Die Bibel macht es uns da weniger leicht. Was ist Historie, wann wird ein Märchen erzählt, wann ein Kommentar nachträglich in eine Geschichte gewebt, ein Plagiat in einen neuen Zusammenhang gestellt? Wann macht Jesus einen Witz? Ja, noch nicht einmal der Verfasser des jeweiligen Buches oder Kapitels ist wirklich bekannt. Die Namen der Evangelien verraten nicht die tatsächlichen Autoren.
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