Die Eindringlinge in der Firma ließen sich davon nicht ablenken. Die SLS-Waver flogen den mit Bildern verzierten Gang entlang weiter ins Innere, durch eine Biegung nach oben, wie durch den Siphon eines riesigen Waschbeckens. Zu Fuß wären sie niemals dort entlang gekommen. Die zweite Abzweigung auf der linken Seite trennten sie sich und Barrex bog in einen kreisförmigen Tunnel ab, während die Anderen einfach nur immer geradeaus fliegen mussten. Daher waren sie auch viel schneller beim Safe als Barrex´ Team im Archiv; nach nur einer halben Minute waren Adnia und Kian bereits am Ende des Tunnels in einem mit Wandteppichen verzierten Abschnitt angelangt, in den mehrere andere, kleinere Korridore mündeten. Sie mussten nur noch einen Durchlass in der Wand passieren, dann waren sie an ihrem Ziel angekommen: Einem leeren, mit Metall ausgekleideten Raum, an dessen Ende man eine dunkelgraue, runde Tür in die Wand eingelassen hatte. Dort hinter musste sich der Tresor befinden. Unseren waghalsigen Infiltratoren war bewusst, dass ihnen hier nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung stand. Wegen der Massen an Geld im Tresor befanden sich in dem schlichten Foyer des Safes mehrere Kameras. Die beiden Piloten landeten ihre Fahrzeuge auf dem schlichten, silbernen Boden in dem einfachen Raum und dann zerschossen Josh und Chiara eilig die Videokameras, die unsere Infiltratoren jedoch bereits erfasst hatten. Die Überwachungsvorrichtungen konnten unmöglich von außerhalb des Raums ausgeschaltet werden, denn die beiden Geräte befanden sich in den hinteren Ecken des Raums in kleinen Einkerbungen in der Wand. Die Nachtwächter hatten sie also sicher schon gesehen und waren auf dem Weg, um die Eindringlinge zu stoppen. Wenigstens war nun die Videoüberwachung zerstört und niemand konnte sehen, was als nächstes passierte.
Gero legte hektisch die Sprengsätze an der runden, dick gepanzerten Tür des Safes an. Dann gingen sie alle hinter den Wavern in Deckung und Gero betätigte den Zünder, jagte so das 50 Zentimeter dicke Siliziumcarbid in die Luft. Man konnte das grüne Scheingeld, das in dutzenden, meterhohen Stapeln in dem großen Raum angeordnet war, durch die neu entstandene, kleine Öffnung in der Panzerung des Safes bereits erkennen. Der Durchlass war sehr schmal, es passte höchstens eine Person zur Zeit hindurch, aber er war frei. Der Sprengstoff hatte seinen Zweck erfüllt. Sie konnten den dunkelgrauen Geldspeicher betreten. Kian und Eike stürmten sofort ins Innere des Safes, schmissen dutzende, dicke Scheinbündel aus dem großen Tresorraum hinaus und verteilten die Brandsätze gleichmäßig. Dabei gingen sie mit überraschender Präzision vor; sie waren zwar wie die Anderen ebenfalls aufgeregt, aber sie schienen ihre Emotionen besser im Griff zu haben. Außerhalb des Tresors steckten unsere Rebellen die Bündel hastig in die Umhängetaschen und diese in die beiden Waver, dann verließen Kian und Eike sofort wieder den schwer gepanzerten Safe und zündeten per Fernzünder das Inferno, dass sie vorbereitet hatten. Das gestapelte Geld brannte binnen Sekunden lichterloh in hellen, gelblich-orangen Flammen. Keine Chance, dass auch nur ein Geldschein dieses glühende Feuermeer unbeschadet überstanden hätte. Gero, Chiara, Dana, Josh und Adnia waren wie gebannt von der hellen Glut; so etwas sah man nicht jeden Tag. Kian und Eike hatten sich währenddessen schon längst in die Waver gesetzt.
„Worauf wartet ihr? Wir müssen hier so schnell wie möglich verschwinden!“, rief Eike in überraschend klarem Ton. Die Anderen wurden aus ihrer Träumerei gerissen, sprangen schnell wieder in die beiden wild geparkten Fahrzeuge und flogen aus dem schlichten Raum aus Metall hinaus, zurück in den Abschnitt des großen Ganges, aus dem sie gekommen waren. Gerade noch rechtzeitig, denn zwei Glanzhäute stürmten gerade mit gezogenen Waffen aus einem der kleinen Gänge, und es wären sicher noch mehr gekommen. Spätestens jetzt wäre ein Großaufgebot der Polizei beim Firmengebäude angekommen, doch die hier stationierten Beamten der Glanzhäute waren fast alle auf dem Jubiläumsfest damit beschäftigt, Jack und die Anderen ausfindig zu machen und die Zivilisten zu evakuieren. Die drei Waver flogen also wieder schnell den länglichen, wie ein J geformten Weg entlang zurück, hinaus aus der großen Firmenanlage und an den Rand der Wiese. Die Nachtwächter waren ohne Fahrzeuge zu langsam, um sie verfolgen zu können und so konnten die Brandstifter nach kurzer Zeit unversehrt aus dem Gebäude entkommen. „Wir haben das Geld vernichtet und uns selbst ein wenig mitgenommen. Jack, braucht ihr Hilfe?“, fragte Eike. „Nein, bleibt, wo ihr seid! Wenn wir zu viele Leute sind, fallen wir zu leicht auf! Noch haben sie uns nicht entdeckt!“ „Gut, wir verstecken uns irgendwo zwischen den Häusern.“ „Hey, Archivare. Beeilt euch.“, meinte Chiara auf einmal. Sie meinte Charisa, Barrex, Darren und Kira. „Wir sind bereits im Archiv und suchen.“, meldete Darren konzentriert. Das momentan nahezu unbeleuchtete Archiv hatte zum Glück einen glatten Boden, sodass man hier problemlos laufen konnte. In der Mitte stand eine große Säule aus blauem Stahl, die eine den Stützpfeiler umrundende, rote Leuchte eingebaut hatte. Die Säule war umgeben von einem kleinen Labyrinth aus Regalen, in denen verschiedenste Akten lagen, angeordnet nach dem Alphabet der Glanzhäute. Der ganze Raum war außerdem mit Kameras versehen – zu viele, um sie auszuschalten. Vor allem Abrechnungen und Pläne für Bestellungen waren in diesem Archiv zu finden. Charisa, Barrex, Kira und Darren liefen durch die Gänge, sie klapperten einen nach dem Anderen an, Darren voran und zwar möglichst so, dass sie nicht von den Kameras entdeckt werden konnten. Aber der Gravianer fand die Buchstabenfolge, die er suchte, nicht.
„Das muss doch irgendwo hier sein!“, raunte er angespannt. Barrex sah sich im Raum um, am Boden, an den Wänden und Regalen und an der Decke. Da fiel ihm das große Loch über ihnen auf, durch das die dicke Säule mit der roten Leuchte in der Raummitte weiter emporstieg. Dort gelangte man in ein höher gelegenes Stockwerk. Der Durchlass war nur leider zu klein und zu rund, als dass ein Waver hindurchgepasst hätte. „Guckt mal, da oben. Da muss das Archiv weitergehen.“, erkannte Barrex. „Wie kommen wir da hoch?“ Kira hatte eine Antwort auf Charisa´s Frage. „Darren, komm mit mir.“, forderte die Nyoma den Gravianer auf. Er blickte sie kurz irritiert an, doch dann folgte er ihr. Sie hatten keine Zeit für lange Nachfragen. „Wir springen. Es könnte etwas holprig werden.“, sagte die Meditazia, dann lehnte sie sich mit dem Rücken an Darren´s Vorderseite, legte seinen rechten Arm über ihre Schulter und hielt sein Handgelenk und sein Ellenbogen fest. Ihr Körper fing an, den seltsamen, schwarzen Nebel ihres Kekkis abzusondern, den Darren misstrauisch beobachtete. Er wusste nicht, was das war oder was Kira vorhatte. Sie ging soweit in die Hocke, wie es ging, dann sprang die selbstbewusste Nyoma zusammen mit dem Gravianer hoch in die Durchführung; diese war bestimmt zehn Meter über ihnen. Die langjährige Kekkiani hatte ihre Kraft vor allem in den Beinen konzentriert und verstärkt – so konnte sie selbst mit dem schweren Gravianer diese Hürde überwinden. Die Beiden landeten sicher in der oberen Etage, in der tatsächlich noch mehr hohe, metallene Schränke mit den sortierten Schubladen standen. Auch hier gab es eine rote Leuchte, die den großen Stützpfeiler umgab und den Raum in ein dunkles, rotes Licht tauchte – und noch mehr Überwachungskameras. Spätestens jetzt wurden sie durch die Kameras in dem oberen Geschoss des Archivs entdeckt. „Passt auf, dass keine der Wachen durchkommen, sobald sie hier sind!“, sagte Kira zu Charisa und Barrex über ihr Headset, dann setzten sie ihre Fahndung umgehend fort.
Während die Vier fleißig am suchen waren, versteckten sich Jack, Jay, Al und Jadon zwischen den mehrstöckigen, aber niedrigeren Häusern, die um den Festplatz herum standen. Sie änderten stetig ihre Position, um den Sicherheitskräften auszuweichen. Es waren immer noch eine Menge Zivilisten hier, die wild durcheinander flogen. Einige Silizoiden schwebten bewusstlos in der Luft; sie waren von den in Panik geratenen Festbesuchern überwältigt worden. Ihre Körper wurden von den bunten Flutlichtern der Jubiläumsfeier in ein makaberes Licht getaucht. Weitere Einsatzfahrzeuge der Polizei erreichten den Schauplatz; aber diese Hovercars sahen anders aus. Sie waren bestimmt anderthalb mal so breit wie die anderen Polizeiwagen und schienen schwer gepanzert zu sein; und dann bekam Jack einen gewaltigen Schock, als er den Schriftzug auf den neu eingetroffenen Schwebefahrzeugen las. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Bauchgegend breit. „Sondereinsatzkommando! Rückzug!“, gab er über sein Mikrofon zu verstehen. „Charisa, wie weit seid ihr?“, fragte Al. „Wir brauchen noch ein bisschen...“ „Dafür habt ihr keine Zeit! Macht das ihr da rauskommt! Wir können euch nicht länger den Rücken freihalten!“ „Nur noch eine Minute...“ „Nein! Bewegt eure Ärsche da raus, bevor es zu spät ist! Wir müssen hier sofort weg! Sofort!“, fuhr der Gravianer das Mädchen an. Das letzte Mal, als er und seine beiden Kumpanen einem Sondereinsatzkommando begegnet waren, wurden zwei der Silizoiden, mit denen sie zusammengearbeitet hatten, festgenommen und der Dritte getötet. Die Angst des Gangsterbosses, der sich in seinem schnellsten Dauerlauf vom Festplatz entfernte, war also begründet.
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