Die Luke wurde geschlossen, Charisa und die Anderen traten einige Schritte zurück. Nach etwa einer Minute fuhren die Systeme des fremdartigen Raumschiffs mit einem leisen Surren hoch. Die Antriebe begannen, zu arbeiten. Das Surren wurde von dem immer lauter werdenden Geräusch der Plasma-Antriebe übertönt und auch die anderen vier Antriebe begannen, leise Geräusche von sich zu geben, während sich unter den Photo-Kollisions-Schubgeneratoren ein immer intensiver werdendes, rotes Licht zeigte. Das schwere Schiff hob langsam vom Boden ab, verließ den Schutz des Waldes und flog in Richtung des Himmels. Es entfernte sich immer weiter und weiter, bis es nur noch als kleiner Punkt an dem blau-grünlichem Firmament zu sehen war und schließlich ganz verschwand. Die Menschen auf Aztlán blickten ihren aufgebrochenen Freunden und Bekannten hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Dann machten sie sich auf den Rückweg durch den geheimnisvollen Wald. Sie hätten nicht zu lange dort ohne das schützende Dickicht bleiben sollen. Die Gefahr, durch Teleskope der Silizoiden entdeckt zu werden, war nach wie vor präsent. Außerdem mussten Charisa und die Anderen die letzten Vorbereitungen treffen, bevor sie erneut nach Rubia aufbrechen konnten. Einige der Stadtbewohner hatten sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, ihre SLS-Waver zur Verfügung zu stellen, wenn sie dadurch den Silizoiden auf irgendeine erdenkliche Weise Schaden zufügen konnten. Jeder in Alocan hätte einen Angriff auf die Glanzhäute unterstützt, auch wenn kaum jemand selbst mitgekämpft hätte. Es erschien den Leuten zu unrealistisch und sie hatten kaum noch Hoffnungen, dass sich jemals etwas zum Besseren verändern würde. Dazu kam, dass die Meisten von ihnen nicht kämpfen konnten und auch sonst kaum hilfreiche Erfahrungen hatten. Doch durch das Bereitstellen ihrer Gefährte konnten sie wenigstens ein wenig Unterstützung für den Kampf gegen die Übermacht der Silizoiden leisten.
Am nächsten Tag war es schließlich soweit. Es wurde ernst. Barrex und Jenny hatten die Leute in den letzten Tagen so gut vorbereitet, wie sie in der kurzen Zeit eben konnten; unsere kleine Sturmtruppe hatte eine Chance. Die Waffen besorgten Jack und seine Leute vom Schwarzmarkt und auch auf Aztlán gab es einige verfügbare Ionenpistolen und EM-Geschütze, die Kira besorgt hatte. Unsere Freiheitskämpfer fuhren mit der Seilbahn über die Stadt hinweg, durchschritten die beliebte Lounge und erreichten den geräumigen Hangar in der Bergwand, der direkt über dem Restaurant lag. Die Seilbahnfahrt, die sie dafür hinter sich bringen mussten, war wieder einmal beeindruckend gewesen; und dieses Mal hatte die Überquerung der Stadt auch klargemacht, was sie vor sich hatten. Sie wollten hoch hinaus; daher konnten sie tief fallen. Charisa, Barrex, Josh und Chiara stiegen in eines der simplen Fahrzeuge, in einen wenig beeindruckenden, blauen Viersitzer, der auf der untersten der breiten Abstufungen im Hangar direkt unter der großen Öffnung in der Bergwand, die von leicht transparenten Hologrammen verdeckt wurde, stand. Nicht jeder unserer tapferen Freiheitskämpfer konnte ein Hovercar steuern, deswegen mussten sie sich gut strukturiert auf die Waver verteilen. Die einzigen anderen Piloten neben Barrex waren Adnia, Kian und Al. Kira flog zusammen mit Adnia, genau wie Jadon und Dana. Für Gero, Eike, Al und Kian stand noch ein relativ geräumiger, grüner Gleiter zur Verfügung, der von Kian gesteuert wurde. Diese Fahrzeuge waren nicht für Kämpfe ausgelegt, doch einen gewissen Schutz boten die Karosserien aus Stahl dennoch, denn als Raumschiffe mussten die Waver starken Unterdruckbedingungen standhalten können – mit dem Vakuum des Weltalls war nicht zu spaßen. Dementsprechend stabil waren sie gebaut. Die Piloten aktivierten die Antriebe, die Fahrzeuge hoben ab und verließen durch die holografische Wand den Hangar. Die drei Hovercars schwebten über die schimmernden Baumkronen des magischen Waldes hinweg in Richtung des unendlich erscheinenden Weltraums. Sie waren alle angespannt, denn ihr Vorhaben hatte eine große Bedeutung für sie alle.
Nach einer Stunde anstrengender Fahrt durch die Leere des intersolaren Raums erreichten die drei Piloten schließlich ihr Ziel. Sie umflogen wieder weiträumig den dunklen Wandelstern Ta Netjer und steuerten die gräuliche Sphäre an, den Mond Rubia, der wie durch Magie zwischen dem weißen Zwerg und dem Planeten festgehalten wurde. Unsere Leute trafen sich in derselben Schlucht mit Jack, Jay und Darren, in der die dunkelgrauen Metallplatten zum Abstellen der Fahrzeuge hingen. Die kleine Rebellengruppe landete ihre Waver auf den etwas speziellen Stellplätzen über dem klaffenden Abgrund und sie stiegen die dunkelblauen Rampen empor, an deren Enden bereits die drei Gravianer vor dem belebten Schwarzmarkt warteten. Die zwölf Freiheitskämpfer und die Gang der kräftigen Humanoiden, die vor einem Waver und einem Stapel von allerlei Utensilien stand, grüßten sich kurz, dann kamen Jack und Barrex aber schnell zur Sache. Sie wollten diesen Coup so schnell wie möglich durchziehen. Der Anführer der Bande hatte eine Karte von Jaru~n besorgt und legte das große Stück Papier auf dem Boden aus, sodass jeder es sehen konnte. Er erklärte den Plan noch einmal genau von vorne bis hinten für Alle, wobei Barrex noch einige Verbesserungsvorschläge hatte, bei denen er ein gutes Stück weiter ins Detail ging.
Jack ging etwas genervt darauf ein, denn er wusste, dass der Nyoma Recht hatte. Allerdings empfand der Gravianer es so, als hielte Barrex sich für etwas Besseres, was so direkt zwar nicht stimmte, aber der frühere Polizist mochte keine Kriminellen. Wer weiß, wie vielen Leuten diese Bande schon das Leben schwer gemacht hatte? Als der Gravianer fertig mit seiner Erklärung war, verteilten er und die anderen beiden Gesetzlosen die Waffen, die sie von einigen Silizoiden entweder gestohlen oder gekauft hatten, ein paar Funkgeräte, die der menschlichen Technologie entstammten, ein paar Umhängetaschen sowie Spreng- und Brandsätze. Außerdem mussten sie noch einen Säurebehälter besorgen; sie brauchten eine hoch ätzende Substanz für Barrex´ Plan, unbemerkt bei Sasoru~ einzudringen. Praktischerweise war auch so etwas auf Rubia nicht schwer zu finden. Unser relativ großer Angriffstrupp von fünfzehn Leuten teilte sich schließlich in zwei kleinere Gruppen auf. Sämtliche Gravianer, außer Darren, kamen mit Jack mit, um einige Explosionen bei dem belebten Fest auszulösen und dort völliges Chaos zu stiften. Die Polizei Scharu~n sollte in den nächsten Stunden eine Menge zu tun bekommen und konzentrierte sich hoffentlich so sehr auf die Anschläge auf dem Fest, dass Barrex, Darren und die Anderen währenddessen so ungestört wie möglich bei Sasoru~ einbrechen und nach Informationen über Pû~ram suchen konnten.
Nachdem jeder wusste, was er zu tun hatte, stiegen sie also alle in ihre Fahrzeuge und flogen von der staubigen Gegend Rubia´s aus an den zerklüfteten Randbereich von Jaru~n. Von dort schwebten die Eindringlinge in ihren Wavern weiter ins Stadtinnere, nur knapp über den unbeleuchteten, mit Sand bedeckten Boden hinweg. Über ihnen schwebte der Mond als dunkler Schatten; es sah aus, als würde er jeden Moment hinunterfallen. Der weiße Zwerg leuchtete hinter dem Trabanten, nur als Korona um Rubia sichtbar. Die Überreste des einst vergleichsweise kleinen Sterns tauchten die ganze Stadt in ein unheimliches und zugleich beeindruckendes, weißes Licht, jedenfalls die oberen Teile Scharu~n. Die vielen dunkelgrauen und schwarzen Gebäude links und rechts unseres Stoßtrupps waren zwar einigermaßen weit auseinander in der Gegend angelegt worden, aber sie schluckten trotzdem die meisten Lichtstrahlen, die der einstige Stern noch von sich warf. Zwischen den Hochhäusern, die geformt waren wie sehr spitze Pyramiden oder wie aufgespaltene Zylinder, erhellten Scheinwerfer vom Boden aus mit grellen Lichtsäulen zusätzlich den Luftraum. Doch keine Glanzhaut war zwischen den Fenstern in den Außenfassaden zu sehen. Die meisten Aliens waren wohl bei der Jubiläumsfeier. Es wirkte wie die Ruhe vor dem Sturm. Jeder Fehler hätte den Tod unserer tapferen Kämpfer bedeuten können. Allein die Vorstellung, als Mensch in eine Stadt der Glanzhäute vorzupreschen, war wahnsinnig. Wie ein Wolfsrudel, das sich in eine Metropole der Menschen wagte. Wenn sie von nur einem einzigen Silizoiden gesehen würden, hätte das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu wahnwitzigen Auseinandersetzungen geführt. Charisa und die Anderen erreichten unbemerkt einen großen Platz, auf dem anstatt des felsigen, mit Sand bedeckten Bodens in den restlichen Abschnitten Scharu~n eine Art Gras aus gelblichen Halmen vorzufinden war. Wie die Pflanzen dort wachsen konnten, wo doch kaum Licht vorhanden war, blieb ein Rätsel. In der Mitte des Platzes befand sich das Gebäude, in dem sich die Firma ´Sasoru~ befand. Im Vordergrund stand eine große Kuppel, auf der unverkennbar sein Firmenlogo auf einer der hellgrauen Platten, aus denen die Außenfassade bestand, zu erkennen war – zwei sich überlappende Dreiecke, eingerahmt von einer Sonne mit nach innen gekehrten Strahlen. Drei weitere, noch größere Kuppeln überschnitten sich mit diesem Eingangsgebäude; alles war direkt miteinander verbunden. Das Gebäude erinnerte vom Aussehen her ein wenig an den Kopf eines Blumenkohls.
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