Der Junge nahm das dampfende Gefäß in die Hände, lehnte sich lässig gegen den Automaten und beobachtete mich von der Seite. Überprüfte er, ob ich aus alles richtig machte?
Ich versuchte ihn, so gut es ging zu ignorieren, fütterte das Gerät mit Annikas Euro und drückte die Taste für den Kaffee.
„Gehst du zu diesem sagenumwobenen Fest nächstes Wochenende?“, wollte der Blonde unvermittelt wissen.
Augenblicklich hatte er meine gesamte Aufmerksamkeit. Nur vage bekam ich mit, wie ein Pappbecher herausploppte und sich schwarzbraune Flüssigkeit hineingoss.
Ich wirbelte herum und starrte den Jungen mit geweiteten Augen an. Warum fragte er mich so was? Nur, um Konversation zu machen? Er könnte auch einfach verschwinden. Er hatte bereits seinen Kaffee und ich den Automaten.
Ich schluckte und versuchte mich wieder etwas zu beruhigen. „Weiß ich noch nicht“, murmelte ich. Ich wollte gleichgültig klingen, fürchtete jedoch, dass mir das nicht sonderlich gut gelang. Gleichzeitig beabsichtigte ich, auf keinen Fall zuzugeben, dass ich keine Begleitung hatte.
„Geh mit mir hin“, bat er mich. Meine Augen wurden - wenn das möglich war - noch größer. Er merkte wohl selbst wie verrückt er klang und verbesserte sich rasch: „Ich meine, du könntest mit mir hingehen.“
Es war nun ein Angebot, machte den Satz aber kein Stück harmloser.
„Ich kenne dich doch überhaupt nicht“, wich ich aus.
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Ich hab dich heute auch zum ersten Mal gesehen. Aber das Fest hat so einen fantastischen Ruf, willst du wirklich wegen einer Kleinigkeit darauf verzichten?“
Kleinigkeit? Man konnte doch unmöglich mit einem Unbekannten auf einer Veranstaltung für Liebespaare auftauchen!
„Ich heiße Finn“, erklärte er und streckte mir die Hand entgegen.
Ich starrte ihn immer noch an, unfähig etwas zu erwidern.
Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen, ließ die Hand wieder sinken und fragte: „Und du?“
„Miriam“, gab ich widerwillig preis.
„Siehst du, jetzt kennen wir uns schon ein bisschen. Und auf dem Fest haben wir jede Menge Zeit noch mehr voneinander zu erfahren.“
Ich betrachtete ihn zweifelnd. Etwas in mir warnte mich. Es erschien mir grundverkehrt mit jemandem fortzugehen, den ich gar nicht kannte. Dabei war es gar nichts Schlimmes. Einfach nur ein Date. Und wenn ich dafür endlich selbst die Bootsfahrt erleben könnte, wäre es das doch wert. Egal mit wem. Oder?
Eine fremde Stimme riss mich aus meinen Gedanken. „Gehört der Kaffee euch?“ Erschrocken wirbelte ich herum. Ein Mann mittleren Alters war plötzlich aufgetaucht und deutete auf den Automaten, in dem noch immer mein Pappbecher stand. Die Flüssigkeit war inzwischen durchgelaufen und kühlte ab. Ich hatte ihn in all der Aufregung total vergessen. Ich merkte, wie ich knallrot anlief, schnappte mir hektisch den Becher und machte dem Fremden Platz.
„Sehen wir uns dann am Freitag?“, zog Finn meine Aufmerksamkeit wieder an sich. „Vor dem Eingang?“
„Ähm...“ Ich hatte noch immer keine Entscheidung getroffen. Das plötzliche Auftauchen des fremden Mannes hatte mich zusätzlich durcheinandergebracht. „Eigentlich...“ Ich wich Finns Blick aus, drehte den Pappbecher nervös in den Händen. Was sollte ich sagen? Mein Kopf war wie leergefegt. Mir fiel nicht einmal eine glaubhafte Ausrede ein. Dabei konnte ich sonst immer Gründe finden - egal ob dafür oder dagegen.
„Ach komm schon. Ich möchte wirklich hingehen. Alle anderen Mädchen, die ich gefragt habe, hatten bereits eine Begleitung. Du bist wahrscheinlich das einzige Mädchen, das nicht dort sein wird.“
„Wie beruhigend!“, murmelte ich. Dabei sprach er genau das aus, was ich mir schon seit Wochen dachte. Jeder redete nur von diesem dummen Fest. Was er anziehen würde, was er dort tun würde und welche traumhafte Person ihn begleiten würde.
„Wenn du mit mir hingehst, bist du auch dort“, versuchte Finn, mich zu überzeugen.
„Vielleicht gehe ich ja hin.“
„Keiner geht alleine zu dem Fest.“
Als ob ich das nicht selbst wüsste.
„Bitte, Miriam.“ Er sah mich so flehentlich an wie ein Teddybär, der Angst hatte, im Stich gelassen zu werden. Ich brachte es nicht übers Herz, ihm einen Korb zu geben. Ich konnte ohnehin nicht recht begreifen, warum ich mich so zierte. Ich wollte unbedingt zu dieser Veranstaltung. Wen kümmerte es, ob ich meine Begleitung kannte?
„Na schön, ich komme mit.“
Finn lächelte. „Cool.“ Er stieß sich vom Automaten ab und wandte sich zum Gehen. Aber bevor er ganz verschwand, sagte er noch: „Bis dann, Miriam“ und winkte mir zu.
Meine Hand hob sich wie von selbst zum Abschied. Ich sah ihm fassungslos hinterher, wie er in der Menschenmenge verschwand. Das war total verrückt. Ein wildfremder Typ fragte mich, ob ich ihn zum Fest begleiten würde. Ich musste lächeln, so absurd war das. Aber wahr!
Eine Welle von Glück breitete sich in mir aus. Ich würde zum Fest gehen!! Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben. Was würde Annika sagen, wenn ich ihr das erzählen würde?
Mit wesentlich besserer Stimmung als vor einer Viertelstunde kehrte ich zu dem Geschäft zurück, in das meine Freundin verschwunden war. Ich fand sie, wie sie gerade ein viel zu langes violettes Kleid anprobierte, reichte ihr den inzwischen leicht abgekühlten Kaffee und fragte: „Und, hast du was gefunden?“
Annika seufzte. „Nichts Perfektes“, gab sie zu.
„Egal“, entgegnete ich fröhlich. „Wir müssen sowieso noch mal von vorn anfangen. Ich brauch jetzt nämlich auch was für’s Fest.“
Bestellt und nicht abgeholt
Annikas dummes Gesicht daraufhin war wirklich sehenswert gewesen. Ich musste lachen und erzählte ihr die Geschichte.
Ich merkte, wie sie an meinen Worten zweifelte, aber am Ende musste sie es mir doch glauben. Warum sonst sollte ich plötzlich unbedingt neue Kleidung kaufen wollen?
Wir zogen gemeinsam durch die verschiedenen Geschäfte des Einkaufszentrums, bis wir endlich etwas aufstöberten, das uns zufriedenstellte.
Annika hatte sich für ein blutrotes, eng anliegendes Kleid entschieden, wo, wie sie fand, ihre langen schwarzen Haare gut zur Geltung kamen.
Für mich war das nichts. Kleider standen mir nicht. Ich wäre am liebsten in Jeans gegangen, aber das war unmöglich. Nicht auf dem Fest. Nicht als Mädchen.
Deshalb hatte ich mir einen Wildlederrock gekauft, der mir bis zu den Knien ging. Dazu würde ich ein T-Shirt tragen, das ich bereits zu Hause hatte.
Annika war von dieser Idee nicht begeistert. Sie fand es stillos, zum Fest etwas anzuziehen, das man nicht neu gekauft hatte.
Ich erklärte ihr, dass Finn das sicherlich nicht auffallen würde, da er mich - und demzufolge auch den Inhalt meines Kleiderschrankes - nicht kannte. Das akzeptierte sie schließlich, beharrte jedoch darauf, dass ich auf jeden Fall meine lockig-braune Wuschelmähne zusammenbinden sollte. Damit war ich einverstanden. Ich war meistens zu faul, um sie in eine passable Frisur zu bringen, doch ehrlich gesagt störten sie mich manchmal schon, wenn ich sie offen trug. Oft wünschte ich, ich hätte so tolle glatte Haare wie Annika. Meine Freundin war da natürlich ganz anderer Meinung, versprach mir aber, mir bei den Vorbereitungen zu helfen.
Als ich vom Einkaufsbummel heimkehrte, berichtete ich mein unglaubliches Erlebnis auch meinen Eltern. Sie waren ziemlich baff und meine Mutter stand ernsthaft kurz davor mir zu verbieten auf die Veranstaltung zu gehen. Sie brachte lauter fadenscheinige Begründungen hervor. „Du kennst ihn doch gar nicht. Vielleicht meint er es nicht ernst, vielleicht ist das nur ein Trick. Wer weiß, was er mit dir macht“, gab sie zu bedenken. Außerdem sei ich noch zu jung und hätte noch genügend Gelegenheit später mit jemand Vernünftigen auf das Fest zu gehen.
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