1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 »Ihr könnt euch im Rathaus registrieren lassen. Aber dazu müsst ihr eine Unterkunft und Arbeit hier im Ort nachweisen können.«
Sam spürt, wie sein Geduldsfaden eine kritische Spannung erreicht.
»Das ist doch Unsinn, wie soll man eine Unterkunft und Arbeit bekommen, wenn ihr die Leute nicht mal ins Dorf lasst? Ihr braucht keine Angst haben, dass wir euch zur Last fallen. Wir können für alles, was wir benötigen bezahlen.«
Der Wachposten studiert Sam eine Weile.
»Wir brauchen keine Fremden. Und euer Geld interessiert uns nicht. Das hat keinen Wert hier. Wenn ihr etwas zum Eintauschen habt, könnt ihr euer Glück auf dem Markt versuchen. Aber heute ist kein Markt. Kommt morgen wieder.«
Mehr sagt er nicht. Sam wartet noch ein paar Sekunden, aber die beiden Wachposten machen keine Anstalten, noch mehr zu sagen. Ihre Körperhaltung hingegen spricht Bände. Verschwindet, wenn ihr keinen Ärger haben wollt. Wortlos gibt Sam seinen Freunden ein Zeichen, dreht sich um und marschiert mit ihnen im Schlepptau davon. Nachdem sie außer Hörweite sind, macht Urs seinem Unmut gehörig Luft.
»Du hättest mich reden lassen sollen. Mich hätten die nicht so einfach abgewiesen. Ich hätte ihnen gewaltig den Marsch geblasen. Man kann hungrige Reisende, die Schutz suchen, doch nicht so einfach abweisen. Wovor haben die denn Angst? Vor uns etwa? Das ist ja lächerlich.«
Vilca schaut nachdenklich auf das Dorf zurück.
»Doch Urs, die haben Angst vor uns. Offensichtlich sind Lebensmittel knapp und rationiert. Jeder Fremde, den sie in ihr Dorf lassen, bedeutet etwas weniger für alle. Geld kann man nicht essen. Deshalb hat es keinen Wert für sie.«
»Stimmt!«, gibt Sam ihr Recht. »Wir kommen morgen wieder. Bis dahin überlegen wir uns, was wir ihnen zum Tausch anbieten wollen, damit sie uns hineinlassen. Offenbar hat sich die Welt gewaltig verändert. Wir müssen unbedingt mehr darüber herausfinden.«
Am frühen Morgen des nächsten Tages genügt eine Flasche Schnaps, um in die Stadt zu kommen. Nichts weiter. Sam gibt sie dem Wächter, der immer noch so grimmig dreinblickt wie gestern. Der deutet ein Nicken an und lässt die Flasche in den Tiefen seines Wachhäuschens verschwinden. Danach müssen sie sich trotzdem registrieren lassen, aber die Formalität besteht lediglich aus einem Namenseintrag in einer Liste. Nicht einmal ihre Ausweise will man sehen. Es ist Markttag und der Andrang ist beachtlich. Deshalb fallen die drei Fremden nicht auf.
In Kellinghusen angekommen, statten sie zuerst dem Markt einen Besuch ab. Die Auswahl an Lebensmitteln ist übersichtlich, die Qualität schlecht und die Menge überschaubar. Dafür gibt es umso mehr Menschen, die alles Mögliche an Kleidung, Werkzeugen, Büchern, Alkohol, Zigaretten, Porzellan und vieles mehr mitgebracht haben und nun versuchen, dafür möglichst viele Nahrungsmittel zu bekommen. Sehr erfolgreich sind sie damit nicht. Die wenigen Anbieter sind eindeutig im Vorteil.
Es gibt auch einen Stand mit Treibstoffen und Öl. Sam beobachtet das Treiben dort für eine Weile und stellt fest, dass die paar, die an dieser Verkaufsbude etwas mitnehmen, alle mit Gold bezahlen.
Danach erkunden die Freunde den Gasthof Zur Post . Mit sicherem Gespür besorgt sich Urs beim Wirt an der Theke gegen Gold einen Oldesloer Kümmel, wählt einen Tisch mit zwei Bauern aus, stellt die Flasche darauf und fragt, ob sie sich dazusetzen dürfen.
Die Kleidung der Bauern ist abgetragen, ungewaschen und sie riechen nach Kuhstall. Sam schätzt ihr Alter auf einen niedrigen Sechziger-Wert. Einer von ihnen hat einen Bart. Beide sind abgemagert und haben den typischen Haarkranz älterer Männer. Er betrachtet sie und stutzt. Sam fragt sich, was mit ihnen nicht stimmt. Während er noch darüber grübelt, ist Urs fleißig beim Einschenken. Der Bärtige starrt ihn an. Er deutet mit dem Finger auf ihn.
»Trägst du etwa einen Holoport?«
So wie der Landwirt ihn anschaut, sträuben sich Sams Nackenhaare. Deshalb beschließt er, vorsichtig zu sein.
»Nein, ich habe keinen Holoport. Wie kommst du darauf?«
»Hm, ich dachte, ich hätte da was gesehen.«
Er steht auf, beugt sich über den Tisch zu Sam und inspiziert dessen Kopf von links und rechts. Sam rührt sich nicht und lässt ihn gewähren. Er verlässt sich auf sein sündteures Hochtechnologie-Holoport, das mit einer Schicht aus Metamaterial überzogen ist, die das Licht herumleitet. Es ist unsichtbar. Man müsste schon in den Haaren herumtasten, um es zu finden. Der Bauer erweckt den Eindruck, genau das zu tun. Da bekommt Sam unerwartet Rückendeckung.
»Lass ihn in Ruhe, Elias. Der Typ sieht ganz und gar nicht danach aus. Und die anderen auch nicht.«
Elias dreht sich dem Sprecher zu. Dabei fällt sein Blick auf die vollen Schnapsgläser. Sofort verändert sich sein Ausdruck. Es wirkt, als würde er aus einer anderen Welt zurückkehren. Seine Hand greift nach dem Oldesloer Kümmel und hält ihn fest.
»Du hast recht, Noah. Der sieht tatsächlich nicht so aus. Ich weiß auch nicht, was ich glaubte, da gesehen zu haben. Das liegt alles an dem verfluchten Cyber-Blackout. Seit dem ist nichts mehr so, wie es sein sollte. Ich bin nicht der Einzige, dem das Gehirn hin und wieder einen Streich spielt.«
Er schüttelt den Kopf. Dann hebt er das Glas und leert es in einem Zug. Noah beeilt sich gleichzuziehen. Urs schenkt nach.
»Es wäre auch dumm, so einen Holoport zu tragen.«, brummt Elias hinterher. »Abgesehen davon, dass er nicht funktioniert, ist er auch verboten. Die Einzigen, die das dürfen, sind die von Militär und Polizei.«
»Und die Spitzel.«, ergänzt Noah.
»Spitzel? Welche Spitzel?«, fragt der Bärtige. »Ich habe noch nie einen gesehen. Du etwa?«
Noah kratzt sich am Kinn.
»Nein, aber es muss welche geben.«
Elias zuckt mit den Schultern und leert auch das zweite Glas in einem Zug. Noah zögert, dann zieht er gleich.
»Wieso muss es welche geben?«, erkundigt sich Urs betont beiläufig. Gleichzeitig schenkt er wieder ein.
»Na, weil die alles wissen.«
»Ach so.«, antwortet Urs. »Das ist aber nichts Neues. Es gab schon immer welche, die alles wissen. Es kommt darauf an, was mit dem Wissen passiert.«
»Genau das ist das Problem.«, stimmt Elias zu und kippt den dritten Kümmerling hinunter.
»Genau!«, pflichtet Noah bei und leert auch sein Glas.
Danach fließen die Informationen in Strömen. Die beiden erweisen sich als wahre Goldgrube für die Art von Auskünften, hinter denen Sam, Urs und Vilca her sind.
Eine gute Stunde später wissen sie Bescheid. Die Menschen teilen die Zeit in vor und nach dem Cyber-Blackout ein. Der weltweite elektromagnetische Impuls hat, wie erwartet, zu einem Totalausfall der Kommunikation, der Energie- und der Informationsversorgung geführt. Auch das Chaos danach, die Plünderungen und Gewalttaten überraschen sie nicht. Erstaunlich ist allerdings, wie schnell das Militär und die Polizei eingegriffen und Recht und Ordnung wieder hergestellt hatten. Sie verfügen über funktionierende Infrastruktur, Treibstoff, Kommunikationsgeräte und Fahrzeuge. Sie scheinen alles zu wissen, haben detaillierte Informationen über jeden einzelnen, wissen über seine Vorlieben und Schwächen Bescheid und wo er zu finden ist.
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