Wenn in Filmen Liebespaar einschläft oder aufwacht, so tun sie das immer gelöffelt: Die Liebenden sind aneinandergeschmiegt eingeschlafen, haben sich – oh Wunder! – in der Nacht nicht ein einziges Mal bewegt und erwachen wie auf Hochglanz polierte Löffel.
Bei mir läuft etwas falsch, wie verliebt ich auch sein mag, wie kopflos und glücklich – Löffeln macht mir ein paar Minuten Spaß, dann …
… schläft der Arm ein.
… wird mir heiß.
… kitzeln mich Haare.
… verkrampft sich mein Nacken.
… werden meine Beine unruhig.
Wenn das geschieht (und es geschieht immer), versuche ich, den Arm sachte in eine neue Position zu bringen; versuche, die Beine nicht zu bewegen; versuche, mit dem Fuß die Decke etwas hinunterzuziehen; drehe den Kopf – nun bin ich die Haare los, dafür ersticke ich im Kissen. Tove zieht die Decke hoch und findet mit dem Po eine ideale Position an meinem Bauch.
Ich überlege mir, wie lange ich gelöffelt liegenbleiben muss, bis ich mich entziehen kann, ohne dass Tove das als Liebesentzug auslegt. Ich entziehe doch keine Liebe, nur meinen tauben Arm!
Tove dreht sich, und die Decke zieht sie mit. Mein Hintern friert in der klirrenden Luft. Vorsichtig mache ich mich daran, die Decke Millimeter um Millimeter zurückzuerobern.
Tove brummt: „Kannst du dich nicht eine Minute stillhalten?!“
Ich kichere nervös und halte eine Minute still.
„Schatz, deine Beine machen mich schon wieder nervös!“
Sie hat diese rührende Angewohnheit, mich Schatz zu nennen, wenn sie nicht zufrieden mit mir ist – es ist ihre Versicherung, dass sie mich vergöttert, auch wenn ich anders, besser, netter, schöner oder eleganter sein sollte.
Ich murmle eine Entschuldigung.
„Schon gut.“ Tove nimmt meine Hand, die als einziger Körperteil in Freiheit gelebt hat, und zieht sie zu sich. Sie raunt sinnlich „lass uns schlafen“, küsst meinen Handrücken und legt die Hand an ihre Brüste. Das beruhigt mich nicht. Tove hingegen beginnt hier und da zu zucken, ihr Atem wird tiefer und langsamer – bald schläft sie.
Die Hand bei ihren Brüsten, mein rechtes Bein zwischen ihren Beinen – wie komme ich da weg?! Vorsichtig – vooorsiiichtiiig! – entziehe ich meinen Körper. Der Mond geht auf und zieht gemächlich über den Sternenhimmel, er bescheint matt meine Befreiungsaktion. Endlich habe ich mich fast entlöffelt, da seufzt Tove auf, packt meine Hand und zieht sie – zusammen mit dem Rest von mir – wieder zu sich.
Wie sehr sie mich liebt!
Wie egal es mir im Moment ist, dass sie mich liebt – ich will meinen Körper! Ich will kein Löffel sein, sondern ein Korkenzieher, der allein, aber frei in der Schublade liegt. Ich will den Handstand machen, wenn mir danach ist, ich will Liegestützen machen, wenn mir danach ist, und auf der Matratze hüpfen!
Würde Tove das doch verstehen: Ich eigne mich zur Löffelstellung wie der Elefant zum Klöppeln.
Ewigkeiten später habe ich mich aus dem liebevollen Zangengriff befreit. Ich rücke glücklich zum Bettrand, wackle mit den Füssen, zapple, wälze mich, drapiere das Kissen und befehle meinem inneren Wecker, fünf Minuten vor dem äußeren zu klingeln.
Als es fünf Minuten vorher ist, lege ich mich an Toves Rücken und tue so, als sei ich seit gestern Nacht dort gelegen. Tove öffnet die Augen, streckt und reckt sich und grünzelt zufrieden: „Schatz, schon wieder haben wir die ganze Nacht in der Löffelstellung geschlafen. Das ist sooo romantisch!“ Sie küsst mich.
Ich lächle erschöpft, aber stolz und unterdrücke ein Gähnen.
Manchmal sehne ich mich nach dem Mittelalter zurück, als man mit Fingern und Messern aß und jeder seinen eigenen Holzlöffel besaß, den er an einer Schnur um den Hals trug und in keine Schublade legte. Und wenn doch, hätten die handgeschnitzten Löffel nicht ineinandergepasst, und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass zur Liebe das Löffeln gehört. Tove und ich wären nebeneinander gelegen, hätten den muffigen Duft des Strohsackes eingeatmet und dem gemütlichen Grabbeln der Wanzen gelauscht. Wir hätten uns nach Herzenslust gekratzt, hätten gezappelt und geflucht (die Wanzenstiche) und wären glücklich eingeschlafen.
Wie ich das Mittelalter vermisse.
Warum in die Nähe schweifen, wenn das Ferne so gut?
Ich habe bis vor ein paar Jahren Menschen bemitleidet, die in einer Fernbeziehung leben: Das kann nichts Rechtes sein, habe ich gedacht; so kann man keine echte Beziehung führen, fand ich; die wollen sich nicht wirklich einlassen, wusste ich; so etwas möchte ich nie und nimmer, behauptete ich.
Das Spaßige am Leben ist: Es schert sich einen Deut darum, was wir denken, glauben und wollen, sondern folgt stur seinem eigenen Kurs. So bin ich, die ich weder Fernbeziehung noch Frau mit Kind wollte, mit einer Frau zusammen, die weit weg lebt und eine Tochter hat. Ich bin auch die gewesen, die gesagt hat: In Europa fliegt man nicht, man nimmt den Zug – wegen der Umwelt. Und jetzt bewege ich mich im Flughafen Zürich und Stockholm Arlanda wie in meinem Wohnzimmer.
Wie Tove und ich uns gefunden haben, ist eine schöne und unmögliche Geschichte: Auf diese Art kann man sich nicht finden, zu viele Zufälle müssten da mitmischen. Was sie fröhlich taten.
Am Anfang unserer Beziehung dachten wir, dass wir bald einen Weg zueinander finden würden: Tove wollte in die Schweiz ziehen, verwarf die Idee jedoch wegen der kleinen Schwedin. Ich begann mir Szenarien vorzustellen, wie ich teilweise oder ganz in Schweden leben könnte. Nur leider kann man mich so problemlos verpflanzen wie eine hundertjährige Eiche: Ich habe es bisher nicht geschafft, weiter weg als fünfundzwanzig Kilometer von meinem Geburtsort zu ziehen. In meinen Adern fließt nicht das Blut einer Globetrotterin sondern einer Dorftrottelin.
Mittlerweile reden Tove und ich nur selten darüber, wie wir es anstellen könnten zusammenzuleben, denn wir sehen keinen Weg. Immer mal wieder sage ich zur Beruhigung: Nur weil man keinen Weg sieht, heißt das noch lange nicht, dass es keinen gibt – im Nebel sieht man den Weg auch nicht, und trotzdem existiert er.
Ich finde diese Metapher geistreich, aber davon lichtet sich der Nebel nicht.
Meine Freundin Sieglinde bemerkte kürzlich: „Ich befürchte, eure Beziehung hat keine Zukunft.“ Sie sagte in einem Nebensatz, was für mich sehr hauptsächlich ist. Sie mag Recht damit haben, Tove und ich werden vermutlich lange keinen gemeinsamen Haushalt aufbauen können. Nun gut, wenn ich ans Geschirrspülen denke, bin ich gar nicht so unglücklich darüber.
Aber stimmt es wirklich, dass unsere Beziehung keine Zukunft hat? Ist nicht das einzige, was man mit Bestimmtheit über die Zukunft sagen kann: Man kann nichts mit Bestimmtheit über sie sagen? Nicht mal das Wetter wird verlässlich so, wie es die Meteorologen voraussagen, und die benützen für ihre Prognostik immerhin wissenschaftliche Methoden.
In jungen Jahren war ich einmal bei einer Hellseherin. Sie war blond und drall, so wie man sich die Servicefrauen am Oktoberfest vorstellt, und sie wusste einiges: Dass ich nicht mit nackten Füssen herumgehen solle, weil meine Durchblutung schlecht sei; dass ich im letzten Leben zum Hochadel gehörte, weshalb ich so arrogant sei; dass ich mit dreißig einen spirituellen Mann heiraten und zwei Kinder haben würde. Mit der schlechten Durchblutung hatte sie Recht, aber dazu muss man nicht hellsichtig sein, sondern meine Füße berühren. Soweit mir bekannt ist, habe ich weder geheiratet noch Kinder geboren – das jedoch wegen des Hochadels stimmt, ich war im letzten Leben Marie Antoinette (ich habe kürzlich eine Biografie über sie gelesen, das ist ein Zeichen).
Mein Cousin war auch zu der Oktoberfesthellseherin mitgekommen, ihm sagte sie voraus, dass er mit sechzig in einen Baum fahren und sterben würde. Sie hat seine Lebensdauer nur gerade dreißig Jahren überschätzt.
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