Zusammen mit seinen Freunden Gustav Krug und Wilhelm Pinder begann N also ab Oktober in der Quinta, der zweiten Klasse, den Schulbesuch im Naumburger Domgymnasium; - bis zum Oktober 1858, wo er dann eine Freistelle in der Landesschule Schulpforta zugesprochen bekam und ins knapp 4,5 km entfernte Internat aufgenommen wurde.
Das Domgymnasium ….. machte ihm bis auf das Griechische im Anfang keine größeren Schwierigkeiten, wenngleich er nun schon mehr für die Schule arbeiten musste. Er saß oft bis elf, zwölf Uhr nachts des Winters über seinen Heften und musste schon um fünf Uhr wieder aufstehen [was bedeutete, dass ihm der Lernstoff nicht zufiel]. Zuerst war er ängstlich und scheu, allmählich fand er sich zurecht, obgleich er auch hier niemals in dem allgemeinen Schülerleben aufging; aber er war sehr stolz auf seine Gymnasiastenwürde, die er besonders gern gegen seine Schwester herauskehrte.
Was diese Jahre ausfüllte, war nicht die Schule, sondern das Dichten und Musizieren, die Freunde und die Ferien. Was ihn zum Dichten brachte, war der Trieb, an allem, was er sah und las, produktiv zu werden [und Sich, oft mit Erfolg, durchaus legitim, darzustellen !] ….. Die dramatischen Versuche und die Gedichte, die der Zehn- bis Vierzehnjährige zustande brachte und an denen er sich nach eigenem Geständnis sehr quälen musste, [weil sie N - wegen keinerlei vorliegender Genialität letztlich! - ihm nicht nur so zufielen! - und], da er Reim und Versmaß nicht sehr in der Gewalt hatte, zeigen [sich in den vielen aus dieser Zeit nachgelassenen Schriftstücken] keine eigentliche Begabung und Originalität. J1.55So bestätigt es Paul Janz, wogegen niemand, der diese Schriftstücke liest, mit vernünftigen Gründen Widerspruch üben würde.
1855
Der Basler Professor und Kulturhistoriker Jacob Burckhardt, 1818-1897, den N 15 Jahre später als Kollegen umwerben sollte, veröffentlichte seinen geschmacksprägenden Kunstführer für Italien, den „Cicerone“. Der Mount Everest wurde als höchster Berg der Welt erkannt. In Paris gab es eine „Weltausstellung“ als Leistungsschau der Industrie und zum ersten Mal ein Warenhaus. Die Stahl-Massen-Erzeugung mit der Bessemer-Birne wurde erfunden. Darwins Erkenntnisse zur Evolution standen vier Jahre vor ihrer Veröffentlichung. In Amerika erschien die noch unbetitelte Erstausgabe der später so genannten „Leaves of Grass“ [Grashalme], 12 Gedichte des Druckers, Lehrers, Zeitungsherausgebers und Mitbegründers der modernen amerikanischen Dichtung, Walt Whitman (1819-1892), ein Band, der in den Folgeausgaben der nächsten Jahres dann unter dem berühmt gewordenen Titel bereits 34 und 1860, in der dritten Ausgabe 154 Gedichte umfassen sollte und von Anfang an die uneingeschränkte Bewunderung des für N so wichtig werdenden amerikanischen „Philosophen“ Ralph Waldo Emerson (1803-1882) wecken sollte. Bei seiner Afrika-Durchquerung entdeckte der schottische Missionar und Forscher David Livingstone, 1813-1873, die Viktoria-Fälle. Von dem französischen Diplomaten, Schriftsteller und Wagnerbewunderer C omte de Les Pléiades , Arthur de Gobineau, 1816-1882, erschien der vierbändige „Versuch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen“, eine „Geschichtsphilosophie“ zur Begründung von dessen Theorie der überlegenen arischen Herrenrasse, die sich am besten, reinsten und hoffnungsvollsten als „weiße Urrasse“ in Skandinavien und - wie durchsichtig - im französischen Adel erhalten hätte, „während die Deutschen [nach Gobineaus Meinung] lediglich eine Mischung aus Kelten und Slawen darstellten.“ Andere sahen das anders. - Das Werk wurde später von einem Mitglied des Bayreuther Kreises um Cosima Wagnerins Deutsche übersetzt und nahm Einfluss auf Cosima Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, 1855-1927, der Gobineaus Grundgedanken mit einem stark antisemitischen Akzent „bereichern“ sollte. Mit dem neuen russischen Zar Alexander II. erfolgen Lockerungen, u.a. hinsichtlich der Leibeigenschaft. Während die aufgekommene Entwicklung industrieller Massenproduktion Fortschritte machte und das Netz der Eisenbahnverbindungen sich verdichtete hatte sich die Industrie-Produktion gegenüber dem Jahr 1800 mehr als versechsfacht, veränderte vorerst aber nur wirtschaftliche Schwerpunkte; es erreichte den Einzelnen im deutschen Spätbiedermeier noch nicht auf spürbare Weise.
Ns Schülerleben am Domgymnasium lief so dahin. Etwas Besonderes gibt es aus dieser Zeit nicht zu berichten. Die Knaben spielten parallel zum Russisch-Türkischen Krieg anhand von Nachrichten über das wirkliche Kriegsgeschehen mit Bleisoldaten die Belagerung von Sewastopol. Man besuchte den Zirkus, spielte Klavier, dichtete, lernte in einer in sich abgeschlossenen Welt, und blieb von den Veränderungen, die sich in erheblicher Entfernung abspielten weitgehend unberührt.
Was über N speziell zu erwähnen wäre steht in einem Brief der Mutter vom 15. Mai 1855 an ihre Eltern in Pobles über den von dort zurückgekehrten Sohn:
Mein guter Fritz kam etwas matt hier an und war einige Tage nicht so wohl also sonst, er hatte sich wahrscheinlich von seinem kleinen Unwohlsein noch nicht ganz erholt und war den Morgen doch wieder so nass geworden. Heute ist er ganz Feuer und Flamme da er von Gustav Krug diesen Mittag von 11 bis 1 Uhr zu einer musikalischen Unterhaltung eingeladen war und wohl noch 30 Personen, indem die Gebrüder Müller aus Braunschweig (große Violin-Virtuosen) welche schon kürzlich einige Tage hier waren und Herrn Rat Krug [der Vater von Freund Gustav] als Musikvirtuosen kennen gelernt, an selbigen geschrieben haben um sich die Erlaubnis zu erbitten in seiner Familie einige Quartetts von Herrn Rat komponiert vorzutragen und eines ist mit größtem Beifall geschehen. Überhaupt hat er durch die Familie manche Freude, als am Donnerstag, wo er mit Krugs zum Pfortaer Bergtag ging [das war ein Festtag der „Gelehrtenschule“ und dem Internat Schulpforta].
Über eine besonders stabile Gesundheit verfügte N offenbar nicht. Es gab etliche gesundheitliche Zwischenfälle, für die zumeist überhaupt, vor allem jedoch eindeutige Belege fehlen. Von N selber gibt es aus diesem Jahr nur einen kurzen, belanglosen, dreizeiligen Brief an den innig geliebten, nur zwölf Jahre älteren Onkel Edmund Oehler, das achte von den elf Kindern der Großeltern in Pobles, der zu der Zeit Student der Theologie und als Hauslehrer in der Familie eines Pfarrers in der Nähe von Magdeburg beschäftigt war.
1856
Der Krimkrieg Russlands gegen die Türkei ging zu Ende. Von Amerika ging eine Weltwirtschaftskrise aus. In der Wetterforschung wurden erste Erfolge erzielt; was sich positiv auf die zu erwartenden Ernten auswirkte.
Im Erziehungsbericht des Domgymnasiums vom 15. Januar 1856 wurde über Fritz N vermerkt:
Er hat sich stets durch rühmlichen Fleiß und gutes Betragen die Zufriedenheit seiner Lehrer zu erwerben gewusst.
In einem Brief vom 10. Februar 1856 berichtete die Mutter über die darstellerischen Erfolge ihres Sohnes, um den es ihr in erster Linie ging weil dieser Gelegenheit hatte, sich in derlei zu üben:
Freitag war ich zu einer im höchsten Grade ergötzlichen Vorstellung bei Ratsherren Pinders, indem unsre beiden Söhne [Wilhelm und N] ein Stück „die Götter auf dem Olymp“ [also nach Superlativen] betitelt, selbst erdichtet und an selbigem Abend von N als Mars, Hr. Rat Pinder als Jupiter, Wilhelm Pinder als Apollo, Sophiechen Pinder als Diana, Gretchen Pinder als Juno und Elisabeth N als Pallas Athene vorgetragen wurde, wir haben zu viel Spaß dabei gehabt.
Die Osterferien - um den 23. März herum - wurden bei den Großeltern in Pobles verbracht und wieder in Naumburg schrieb die Mutter am 29. März an ihre Eltern: so lockend mir Deine Einladung mein Väterchen klang, so muss ich doch wohl auf diese verzichten, da die Kinder, vorzüglich Fritz, keine Stunde, wie mir heute der Herr Direktor versicherte, versäumen dürfte.
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