Von Seiten der Herausgeber von Ns Gesamtwerk gibt es zu diesem intellektuell erschütternd dürftigen Text keinen Kommentar!
Das war also - nach den „philosophisch so hoch bewerteten“ Jugendaufsätzen! - in Bezug auf eine praktische Lebenssituation ! - das erste Produkt aus Emersons hochfliegenden Tiraden und Ns ureigenstem Charakterbild! Ein gefährliches Gemisch aus „Philosophie“, Selbstsucht und autistischer Unfähigkeit bei zugleich hoher rhetorischer Begabung - in deutlicher Trotz- und Rechtfertigungshaltung aufgrund eines eingehandelten, ungewohnten und schwer zu verdauenden Rüffels. Hier hatte sein „Panzer“ gegen die verweigerte Bedeutung der Außenwelt für die Existenz des Individuums in der Gesellschaft einen schweren Schlag und Kratzer bekommen. Bei näherem Hinsehen ist auch dieses Dokument erschütternd, weil es bereits alles enthält, was kommen wird und - weil sich die ganze Dürftigkeit der später entwickelten Moral in ihrer Egozentrik hier ansatzweise bereits festgelegt findet und N selber auf diese Weise belegt, dass er sich von hier aus weder seelisch noch menschlich zu wirklicher philosophischer Weisheit entwickeln konnte! - Die unmittelbar nach dem „Zwischenfall“ aus reiner Selbstverteidigung entstandene, an Zynismus kaum zu überbietende Notiz „beweist“, dass das Ereignis N, der sich souverän witzig zu geben erlaubt hatte, bei all seiner Uneinsichtigkeit weit schwerer getroffen hatte als er sich selbst und der Mutter gegenüber eingestehen wollte.
Wie tief das „erlittene“ Ereignis - bei aller vorgeschützten Gleichgültigkeit und Unbelehrbarkeit! - das Selbstverständnis von Ns Ego beschädigt hatte, geht überdies aus einem weiteren Detail hervor: Im Juli/August 1879 - also 17 Jahre später ! - hielt N die folgende Behauptung in seinem damals aktuellen Notizbuch fest:
Als Atheist habe ich nie das Tischgebet in Pforta gesprochen und bin von den Lehrern nie zum Wochen-Inspektor gemacht worden. Takt! 8.608
Was von N aus so viel heißen sollte, man hätte Respekt vor ihm als Ausnahme-Person, gehabt! - Diese mir nichts dir nichts in die eigene Tasche gelogene Notiz gibt Anlass nachzudenken: So ohne weiteres ist nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei diesem Eintrag um einen weit in die Zukunft hinein gewirkt habenden „Verdrängungsmechanismus“ gehandelt hat. Am 10. März 1861 war N konfirmiert worden. Da war er bereits zweieinhalb Jahre lang Alumnus in Pforta! Es kann gar nicht angehen, dass er dort die ganze Zeit , was ja das Wort „nie“ beinhalten würde, als Atheist behandelt worden wäre! Was hätte auch ein Atheist mit einer Konfirmation zu schaffen? Im Gegenteil : N schrieb Glaubens-Gedichte voll Inbrunst und Unterwerfungslust und will im Nachhinein nicht einmal mitgebetet haben? In dem Punkt hat N allerlei „ausgeblendet“ und behauptete etwas, weil er es nicht mehr wahrhaben wollte, obgleich es den Tatsachen nicht entsprach, was er wusste!
Zum anderen war N - wie alle anderen neuen Primaner ! - zum „Wochen-Inspektor“ eingeteilt, - hatte aber für sein deutliches Versagen durch „Nicht-Ernst-nehmen“ dieser Aufgabe einen Verweis mit Karzer- und Ausgehverbotsstrafe diktiert bekommen, und eine „höhere Art von Unbrauchbarkeit“ bewiesen! Aus einem Brief an die Mutter geht hervor, dass er im März 1863 noch einmal in die Inspektionswoche eingebunden war. Er schrieb dazu „so bin ich heute und diese ganze Woche in voller Amtstätigkeit“ 8.3.63- Auch diese Tatsache hat N später einfach ausgeblendet. Für den älter werdenden N war es typisch, solche unrühmlichen Fakten in eine Vorrangstellung umzudeuten. Schließlich hat ihn die Angelegenheit weit mehr gewurmt als zugegeben, so dass es für ihn - nach 17 Jahren noch! - nötig war, auf den eigentlich längst vergessenen Vorfall a) überhaupt zurückzukommen und b) zu versuchen, ihn für ungeschehen zu erklären oder gar zu eigenen Gunsten umzuwerten ! Diese Fiktion bewertete er als „Takt“ ihm gegenüber seitens der Lehrer, also als Anerkennung und ihn auszeichnenden Respekt vor seiner Person! In der Wirklichkeit seines Lebens stand er zu jenem Zeitpunkt am Beginn seiner Zeit als krankheitshalber „emeritierter Professor der Philologie“, um ab da sehnsuchtsweise als „freischaffender“ und „freidenkender Philosoph“ Anerkennung zu finden; - und bei all dem befindlich in den nicht zu lösenden - ja nicht einmal erkannten ! - Fesseln von Ralph Waldo Emerson!
Eine Woche nach der eingesteckten Rüge schrieb N - am Mittwoch, den 19. November 1862 - an die Mutter nach Naumburg:
Liebe Mamma! Das war mir sehr unangenehm, dass ich vorigen Sonntag [am 16. November, der noch unter der strafend verordneten Ausgangssperre lag] nicht loskam und es ist unter allen Verhältnissen [auch denen, dass er „unter Strafe“ stand?] eine Taktlosigkeit Peters [dem Direktor Karl Ludwig Peter, 1808-1893, klassischer Philologe, Rektor in Pforta und aller Wahrscheinlichkeit nach am „Verhängnis“ des Strafmaßes beteiligt] gegen Hr. Rath Krug [dem angesehenen Naumburger Appellationsgerichtsrat und Vater des musikalischen N-Freundes Gustav Krug, welcher N schriftlich in aller Dringlichkeit zum 16. November zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen hatte! Auf eine von Vater Krug schriftlich gestellte Ausnahmeregelung hatte N nämlich als hohen Einspruch gehofft!]. Ich habe am folgenden Tag an Gustav [einen nicht erhalten gebliebenen Brief] geschrieben ….. Ich habe jetzt immer erstaunlich viel zu tun, befinde mich aber wirklich wohler als je, so wohl körperlich als geistig. Bin immer in heiterer Stimmung und arbeite mit großer Lust. Ich kann nicht begreifen, wie du dich nur noch einen Augenblick über die Folgen jener Geschichte bekümmern kannst, da du ja sie richtig aufgefasst und mir in dem Briefe [vom 12. November] vorgehalten hast. Ich werde mich auch wohl vor ferneren Unüberlegtheiten hüten; aber dass ich nur etwas länger darüber verstimmt gewesen, daran ist nicht zu denken [das hat er in der Phase seines manisch „euphorischen“ Wohlbefindens - der wohl auch seine Wocheninspektorats-Witzeleien entsprungen waren! - verdrängt , - weshalb er die Einsicht, in den eigentlich geleisteten - realitätsblinden! - Fehler verweigerte!]. Mögen Heinze [Ns Pfortaer Tutor] und andere darin suchen was sie wollen - ich weiß was drin lag und damit bin ich völlig beruhigt [zu Unrecht, denn bis auf den wahren Grund ist er nicht gedrungen: Es fehlte ihm - wie sein Leben lang! - die distanzierende Einsicht in seine eigenen, ihn und sein Tun treibenden Motive, was sehr weitgehend mit seinen Schwierigkeiten im Umgang mit der ihn umgebenden Realität - und allem, was außerhalb der Grenzen seinen eigenen Haut lag! - zu schaffen hatte!]. Wie gesagt, ich habe mich selten in einer wohleren [wie vorgenommen: reueloseren !] Stimmung [tatsächlich aber wohl einer „manischen Phase“ im Krankheitsbild bipolarer, in seinem Alter oft mal erstmals aufscheinender Stimmungszustände] gefühlt als jetzt, meine Arbeiten gehen mir gut vorwärts, ich habe sehr vielfachen und angenehmen Umgang - und an ein Beeinflussen [durch andere Schüler, - wahrscheinlich immerhin doch von Guido Meyer, der Anfang März 1863, aus Unterprima abzugehen hatte, - bestimmt jedoch durch Emerson! Aber das konnte N nicht überblicken! - Deshalb sein Urteil, an Reue und „an ein Beeinflussen“] ist nicht zu denken, da ich da erst Personen kennen lernen müsste, die ich über mir fühlte [und solche hat es - außer vorübergehend in Schopenhauer und Richard Wagner! - in seinem Leben nicht gegeben! Auch nicht durch Emerson, denn mit dem war er - durch Identifizierung ! - gleich ! - - Und nun brach N unvermittelt ab und wechselte das Thema:] Auch die kalte Temperatur finde ich ganz gemütlich - kurzum ich fühle mich sehr wohl [was wesentlich durch seine derzeit manische Gestimmtheit verursacht war] und bin gegen niemand, auch gegen die Lehrer nicht in verbitterter Stimmung. Vielleicht konnten sie als Lehrer die Sache nicht anders auffassen. [Womit sie und nicht N die Beschränkten waren! Sicherlich konnte N gar nicht anders, als sich so überaus wohl gelaunt eigentlich „im Recht“ zu fühlen, weil ihm gar nicht gegeben war, die ganze Angelegenheit ohne speziell seine selbstmittelpunktliche Perspektive anzusehen und versuchsweise „objektiv“, auch von einer anderen Seite her, zu betrachten.] Ich übersende heute schmutzige Wäsche und bitte dich mir bald neue zu übersenden. Wenn du übrigens ein feines, großes Halstuch hättest, so wäre mir dies jetzt lieber als das Tragen von Schlips. Herzliche Grüße an Lisbeth und den lieben Onkel! Dein Fritz. (338)
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