Denn wie vermöchte man die Autorität zweier Jahrtausende [in diesem Rahmen spielte sich sein Gedankenspiel von Anfang an ab!], die Bürgschaft der geistreichsten Männer aller Zeiten durch die Resultate jugendlichen Grübelns [mit dem Er gerade begonnen hatte und damit allen Ernstes vollauf beschäftigt war, zu] vernichten, [was offenbar seine Absicht war!] wie vermöchte man sich mit Phantasien und unreifen Ideen [diese „Unreife“, das „Unzureichende“ daran, war ihm also nicht entgangen!] über alle jene in die Weltgeschichte tief eingreifenden Wehen und Segnungen einer Religionsentwicklung hinwegsetzen? [Denn auch dieses „sich-hinwegsetzen“ hatte bereits in seinen ersten Absichten gelegen!]
Im Gebrauch der beiden Worte „vernichten“ und „hinwegsetzen“ meldete sich in N mit einem gewissen Nachdruck der werdende totale und maßlose Rebell - der keinerlei Ahnung von seinen eigenen, ihm real gesetzten Grenzen hatte! So trat er gleich in einer superlativen , das gesamte Christentum umfassenden und herausfordernden Dimension auf; - was ihm „erlaubte“, sich vor den Einzelheiten, in denen ja für gewöhnlich die eigentlichen Probleme stecken, zu drücken ! Im nächsten Absatz schrak er erst einmal vor dem eben genommenen Anlauf zurück:
Es ist vollends eine Vermessenheit, philosophische Probleme lösen zu wollen, über die ein Meinungskampf seit mehreren Jahrtausenden geführt ist [allerdings setzte die von N gewählte Formulierung voraus, dass er - bislang allerdings ohne vorzeigbares Resultat! - für sich selbst eine derartige „Vermessenheit“ bereits „ins Auge gefasst“ hatte]: Ansichten umzustürzen, die den Menschen nach dem Glauben der geistreichsten Männer erst zum wahren Menschen erheben: BAW2.54
Das war - entsprechend Emersons Vorgaben! - ein für N sehr wichtiger Satz! - „Ansichten umzustürzen“! Dazu hatte sich N in Ausübung seines „Herrscheramtes“ - und wohl als einer, „der Luther ähnlich sähe und am Ende ein Luther“ 30.7.56 würde - ohnehin entschlossen: Dazu war er von Emersons superlativer Ankündigung verführt - durch dessen verinnerlichtes Satzgefüge:
Seht euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt. Alles ist dann in Gefahr. Es ist, wie wenn in einer großen Stadt eine Feuersbrunst ausgebrochen ist, wo Keiner weiß, was eigentlich noch sicher ist und wo es enden wird. Da ist nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte [daraus ist Ns „umzustürzen“ und später dann das „Umwerten“ geworden!]; da gilt kein literarisches Ansehen mehr [aus dem der Bücherwurm N seine ganze Welterfahrung gesogen hatte!], noch die sogenannten ewigen Berühmtheiten, alles unterliegt einer Revision und muss sich verdammen lassen [wozu N entschlossen war, den das Vorgeschriebene erfüllenden Mut aufzubringen !]. Die unmittelbarsten Hoffnungen des Menschen, Gedanken, die er sich ganz zu eigen gemacht hatte, die Religion von ganzen Nationen, Gewohnheiten und Sitten der Menschheit im Allgemeinen, sind alle der Gewalt einer neuen Verallgemeinung anheim gegeben. Verallgemeinung ist nichts anderes, als dass der Geist des Menschen aufs Neue einer göttlichen Eingebung unterliegt ….. EE.226
Ns Problem mit derlei verkürzten Darstellungen von Emerson war, dass er - weil „die Anderen“ nie in sein Blickfeld gerieten! - das alles allein auf sich - auf seine eine Person! - bezog, was von Emerson allerdings als von vielen geleistete geschichtliche Entwicklung gemeint gewesen war ! Die von Emerson angegebene „Eingebung“ bezog sich nicht auf einen einzigen, sondern auf viele Beteiligte an der „ geistigen Evolution “. - N verstand aber unter dieser „Eingebung“ die noch völlig unklare Empfindung für eine besser zu ihm und seinen ihm angeborenen „Wahrheiten“ passende Vorstellung davon, wie die Welt eigerichtet sein müsste, um ihm zu genügen! Frei von all dem, was er - für sich ! - als unpassend erachtete und wogegen er in dunklem Unbewusstsein entschlossen war einzuschreiten und sich etwas einfallen zu lassen, - weil sein Bedarf über alle Maßen in eine andere Richtung ging! - Sein weiteres Leben wird viele Belege dafür liefern, ihn auf diesen Pfaden befindlich und fortschreitend zu zeigen!
Diese Stelle hatte für N zentrale Bedeutung. Beginnend mit seinen Jugendaufsätzen vollzog , erfüllte und lebte er, was deren Inhalt war. In seinem Handexemplar von Emersons „Essays“, das er seit Herbst 1874 benutzte, gibt es dazu keine Anstreichungen von ihm. Die früheren Anstreichungen waren ihm mit dem ersten Exemplar „gestohlen“ worden und er hat sie nicht „wiederbelebt“ - weil sie ihm zu „ heilig “ waren ? - und nach 13 Jahren als gründlichst praktizierter Selbstverständlichkeit seines Lebens keiner neuerlichen Anstreichung bedurften ? - Denn genau davon meinte N aus seinen von Licht durchfluteten „Momenten“ heraus, doch eine ausreichende Ahnung gehabt zu haben! Dabei handelt es sich nicht um spekulative Vermutungen!
Welche Bedeutung diese Emerson-Sätze tatsächlich für N besaßen, wird hinlänglich dadurch belegt, dass er sie in der ersten Hälfte des Jahres 1874 - vor dem Verlust seines ersten Essay-Handbuches ! - in seiner Huldigung von „Schopenhauer als Erzieher“ mit voller, preisgebender Nennung von Emersons Namen, zitierte ! - Da „schenkte“ Emerson N die gleichsam „verbriefte“ Überzeugung, dass eine derart maximal weltumstürzlerische Leistung ihn „erst zum „wahren“, beispielhaften, vorbildlichen und alle anderen überragenden „Menschen“ erheben würde, denn N hatte bei Emerson schließlich auch - und hier zur Erinnerung noch einmal angeführt! - gelesen, wovon er sich leiten ließ:
Deinem eignen Gedanken Glauben zu schenken, zu glauben, dass was für dich in deinem innersten Herzen wahr ist, dass das für alle Menschen auch wahr sei, - das ist Genie [und genau das hat N unter „Genie“ und später unter dem „Übermenschen“ verstanden!]. Sprich deine geheime Überzeugung aus und sie wird die allgemeine sein, denn immer wird das Innerste zum Äußeren, - und unser erster Gedanke wird uns zurückgebracht durch die Trompeten des jüngsten Gerichts. EE.32f
Ebenso galt für ihn:
Große Menschen haben es immer so gemacht und auf kindliche Weise sich dem Genius ihres Zeitalters anvertraut, unverhohlen ihr Bewusstsein zeigend, dass das Ewige sich in ihrem Herzen regte, durch ihre Hände schaffte und in ihrem ganzen Wesen vorherrschend sei. EE.34
Sowie:
Wer ein Mann sein will, muss ein Nonkonformist sein [war das vielleicht die Aufforderung gewesen, alles besserwisserisch umzudrehen ? Alles umzuwerten ? Von allem zu behaupten, dass genau das Gegenteil wahrer und deshalb besser wäre? - Auch danach sollte N sich sein Leben lang richten!]. Wer unsterbliche Triumphe ernten will, muss sich nicht bei dem Namen der Kraft aufhalten, sondern muss [durch eigene Lebenspraxis!] erproben, ob es wirklich Kraft sei. Nichts ist endlich heilig als die Lauterkeit allein unserer eignen Seele [die bei N keinen Orientierungspunkt kannte außerhalb seinem eigenen Selbst!]. Sprich dich vor Dir selber frei und du wirst des Beifalls der Welt gewiss. EE36
Für Ns Zukunft wäre das mit den Worten zu ergänzen: Erkläre nur - wie es im Laufe des Jahres 1884 für N „wahr“ werden sollte! - Sein „Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt“ 4.340und man würde ihm jubelnd in alle daraus sich ergebenden Katastrophen folgen? Wie Recht Emerson doch in seiner Funktion von Ns umgewerteten Machiavelli hatte! Auch diese „Grundwahrheiten“ hat N nicht nochmals angestrichen. Ebenso „galt“ für ihn die schon einmal angeführte Stelle:
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