Das war von Weltverbesserungsansätzen und -Ansprüchen nicht frei! Die Erkenntnis von der fatalistischen Weltschmerzfreiheit war nicht auf Ns eigenem Mist gewachsen, sondern frisch, fromm, fröhlich und frei aus Emersons „Führung des Lebens“, Kapitel 1: „Das Fatum“, Seite 3. gewonnen. Dort hatte N gelesen:
Der Spartaner, der seine Religion in seinem Lande verkörpert, stirbt für dessen Ruhm ohne irgendwelche Frage. Der Türke, welcher glaubt, dass seine Bestimmung auf eiserne Tafeln geschrieben ist, seit dem Tage, da er das Licht der Welt erblickte, stürzt sich mit ungeteiltem Willen in des Feindes Schwert. Türke, Araber, Perser, nehmen ein vorbestimmtes Schicksal an.
„Nie wirst an jenem Tage dem Schicksal du entgehen, Der von urew’gen Zeiten bestimmt und vorgesehen; Da kann nicht Arzt noch Salbe dich retten vor dem Tod, Noch an allen andern dich schlagen der Hölle gesamtes Aufgebot.“
Emerson kennzeichnete diese Zeilen mit den Anführungszeichen als ein Zitat; - ohne den eigentlichen Verfasser anzugeben, was er sonst für gewöhnlich tat. Es dürfte also nicht allzu fern liegen, anzunehmen, dass diese Zeilen von ihm selber stammten, ohne dass er sich damit offiziell geschmückt sehen wollte, denn er war, trotz seiner großen Sprüche ein eigentlich sehr bescheidener Mann. Zur Bekräftigung seiner Meinung fuhr er dann fort:
Der Hindu unter dem Rade [neben dem Schneckenhorn, dem Lotus und der Keule ein Attribut des Gottes Vishnu] ist eben so fest; selbst unsre Kalvinisten in der jüngstvergangenen Generation hatten etwas von dieser stolzen Würde. Sie fühlten, dass die Wucht das ganzen Universums sie an ihrer Stelle festhielt; was konnten sie tun? - Weise Männer fühlen, das etwas da ist, das nicht abgestritten oder abgeleugnet werden kann ….. EL.3
Hier ist zu beachten, dass Emerson bei der Betrachtung des Fatums gar nicht in gegensätzlichem Sinn vom Christentum sprach, - dass aber N, der nur dieses - als seine tiefst innerlich abgelehnte Realität ! - kannte, sofort frontal eine Gegenposition zu ihrer vermaledeiten Jetztzeitigkeit aufbaute und behauptete, dass die Fatalisten sich durch besondere Kraft und Willensstärke auszeichnen würden, was nur nachgeplappert war. Auch wenn N seinen Brief mit einem prinzipiellen Einwand gegen das Christentum begann, versuchte er noch seine neue, auf das Fatum vertrauende Weltsicht mit dem gewohnten Glauben verbinden. Deshalb fuhr er an seine Freunde gerichtet fort:
Die Hauptlehren des Christentums sprechen nur die Grundwahrheiten des menschlichen Herzens aus; sie sind Symbole, wie das Höchste [der von N so heftig geliebte, greifbare Grenzwert!] immer nur ein Symbol des noch Höheren sein muss [schon hier findet sich die - N niemals bewusst gewordene! - endlose Fortsetzbarkeit „superlativistischsten“ Höherstrebens ohne zu bemerken, dass das für ein einzelnes Leben kaum einen Sinn haben kann !]. Durch den Glauben selig werden heißt nichts als die alte Wahrheit, dass nur das Herz, nicht das Wissen glücklich machen kann. Dass Gott [in Jesus Christus] Mensch geworden ist, weist nur darauf hin, dass der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeit suchen soll, sondern auf der Erde seinen Himmel gründe; der Wahn einer überirdischen Welt hatte die Menschengeister in eine falsche Stellung zu der irdischen Welt gebracht [womit ausgedrückt sein sollte, dass die Welt auf dem falschen Weg war und er, N, folglich einen richtigeren kennen und nehmen würde!]: er [dieser Wahn] war das Erzeugnis einer Kindheit der Völker. Die glühende Jünglingsseele der Menschheit nimmt diese Ideen mit Begeisterung hin und spricht ahnend das Geheimnis aus, das zugleich auf der Vergangenheit in die Zukunft hinein wurzelt, dass Gott Mensch geworden. Unter schweren Zweifeln und Kämpfen wird die Menschheit männlich: sie erkennt in sich „den Anfang, die Mitte, das Ende der Religion.“ Lebt herzlich wohl.
Basta! Das war Ns letzte Erkenntnis im Versuch, seine alten Anschauungen mit seiner neuen zu versöhnen, - eine „Emersonierte“ Christlichkeit: Der Mensch gewordene Gott Christus im Gewand übermenschlich verliebter Genieseligkeit unter Auslassung „der Anderen“! Es hat nicht lange gehalten, zeigt aber, dass N nicht so ohne weiteres aus seiner alten „Schule“ herausgekonnt hatte. Der Übergang vom Einen zum Anderen ist aber nicht mit ernsthaften Seelennöten verbunden gewesen, denn weder das eine noch das andre ging in ihm selbst wirklich tief; - sonst hätte sich - da so vieles von dem, was sich in N regte, gesammelt und gehütet wurde! - von dahingehenden Zweifeln, Problemen, „Gedanken“ etwas erhalten, was davon zeugen würde. „Die Anderen“ waren für Ns zum Autistischen veranlagtes Wesen einfach nicht vorhanden; - sie wurden nicht wahrgenommen, nicht vermisst und waren damit auch nicht in der Lage, ihm in seinen Selbstbetrachtungen „Probleme“ zu bereiten.
In Emersons Essays zur „Führung des Lebens“ heißt es, einige Seiten weiter, und dass N dies wahrgenommen hat, geht indirekt aus seinen Zeilen an die Freunde hervor:
Der beste Gebrauch, den man vom Fatum machen kann, ist, einen fatalistischen Mut daraus zu schöpfen. Geh dem lodernden Feuer, der brandenden See, der Cholera in deines Freundes Hause oder dem Dieb, welcher in dein eignes bricht und jeder Gefahr die im Wege deiner Pflicht liegt, mutig entgegen und wisse, das der Cherub der Vorbestimmung [ein gedachter Engel, Paradieswächter, ursprünglich ein geflügeltes Wundertier mit menschlichem Antlitz, das oder der nichts anderes zu tun hat als] dich beschützt [bis du vor lauter Leichtsinn bei nächstbester Gelegenheit, nicht mehr bist, - könnte die sehr wahrscheinliche Fortsetzung dieses unüberlegt vorgebrachten Satzes lauten!] Wenn du zu deinem Schaden an das Fatum glaubst, so glaube es wenigstens auch zu deinem Besten [was sich nur leisten kann, wer über ausreichend Kenntnisse verfügt, den jeweils drohenden Gefahren mit überdurchschnittlichem Erfolg begegnen zu können. Der Aberglaube an den beschützenden „Cherub“ allein dürfte nicht allzu viel helfen]. Denn wenn das Fatum allmächtig ist, so ist auch der Mensch ein Teil von ihm und kann Fatum dem Fatum entgegenstellen. EL.17
Aber das bedeutet eine die Grenze der Fahrlässigkeit überschreitende Gläubigkeit an die Theorie einer Weltsicht, die kaum irgendwo eine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit beanspruchen konnte. Bedauerlicherweise lassen sich zu den Emerson-Texten aus der „Lebensführung“ keine An- und Unterstreichungen Ns mehr nachweisen, weil sein Handexemplar als verloren zu gelten hat. So kann man nur aus der Erfahrung mit Ns Reaktionen auf die Inhalte der „Essays“ auf Ns ähnlich gelagerte Verhaltensweisen gegenüber den Essays der „Lebensführung“ schließen, - verfügt dafür aber über keine unmittelbaren „Beweise“.
In seinem Brief an die Freunde hat N letztendlich auf kürzeste Weise das dargestellt, wobei er - wenn man es genau betrachtet! - letztlich sein Leben lang geblieben ist ! Auf den ersten Blick sieht das nach Glaubensproblemen aus. Es sind auch welche; allerdings nicht die eines an sich gläubigen Christen, sondern von einem, der sich bedingungslos neu zu orientieren wünschte und an etwas glauben wollte, von dem er jedoch selbst noch nicht genau wusste, wie das aussehen könnte, aber doch in so vielen Punkten mit seiner „Realität“ übereinzustimmen schien. Über die hier angerissenen Details ist er bis zu seiner geistigen Umnachtung im Prinzip - der „philosophischen Substanz“ nach, wenn man so will! - nicht hinausgekommen ! Noch auf anerzogen alten Glaubens -Pfaden wandelnd, sind hier seine seit einigen Monaten in ihm gärenden Lieblingsgedanken aus der Emerson-Lektüre mit ihm durchgegangen: Ohne den Freunden gegenüber Emersons Namen zu nennen ! - Denn die Identifikation mit dessen Weis- und Wahrheiten war vollbracht ! Noch an christlichen Idealformen hängend, glaubte er gleichzeitig an das Abwracken und Überwinden der christlichen Religion, die für ihn - und damit für alle Welt! - durch die neu zu ihm gedrungenen und besser auf seine Existenz zutreffenden Erkenntnisse Emersons zu ersetzen waren! Kraftvoll und „Männlich“ selbstverständlich! - und in entschieden zu engem Sinn nur sich selber verantwortlich !
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