Natürlich lässt sich dieser Text hinsichtlich anderer Ausgangssituationen auch vielfach anders interpretieren. So persönlich genommen aber, wie N alles undistanziert auf sich selbst bezog, liegt es nahe, dass er seine Allzusammenklangsmomente als derart grundlegende „Gedanken“ und „Bewusstseins“-Zustände wie hier beschrieben erlebte , und angesehen hat und für sie in Emersons Worten eine „Bevorrechtigung“ fand. Verständlich wird dann, dass und wie er mit völlig unkritischem Glauben alles aufnahm, was Emerson ihm in diese Richtung hin „ erklärte “, weil diese Art von Erklärungen Ns Rettung vor dem Unverstandenen war, dem er sich immer wieder gegenübergestellt sah. Dabei waren Emersons Weisheiten wohl anders gemeint, - er hat schließlich nicht mit einem Ereignis wie N rechnen können! Nichts war von vornherein auf Ns Natur zugeschnitten, passte aber hervorragend zu seinem Naturell, dieses mit den „logischen Brüchen“, die an N hafteten, zu versöhnen und sie nicht so genau zu nehmen. Emersons Aussagen waren danach geraten, von Ns Natur ohne unüberwindbare Schwierigkeiten konsumiert zu werden und sich in etlichen empfindlichen, ansonsten immer verschwiegenen und zu verschweigenden „Dingen“ und „Fragen“ unversehens in Bestätigungen zu verwandeln, was N erlaubte, davon abzuleiten, dass sein vielfaches Missverstehen und Missverstanden-werden sich auch als Auszeichnung und als sein „ Voraus vor den Menschen überhaupt“ 13.597verstehen ließ!
Aus den Monaten nach Ns Emerson-Infektion gibt es bis zur Niederschrift der Jugendaufsätze zu Ostern 1862 kaum einen deutlichen Hinweis, darauf, dass N sich mit Emerson beschäftigt hätte, auch nicht durch Rückäußerungen von Jemandem, den N vielleicht in sein Geheimnis eingeweiht hätte. Nach den im oben beschriebenen Umfang erlebten , unfreiwilligen, N seelisch vollständig umkrempelnden „Emerson-Ferien“ wieder in Pforta angelangt, schrieb er am 5. August 1861 an die Mutter in Naumburg:
Liebes Mutterchen! Es ist jetzt Montag, ¼ auf 6 Uhr früh; zum ersten Mal wieder um 5 aufgestanden! - Ich bin noch gar nicht so eingewöhnt und denke noch zu oft an die vergangenen Tage, bin sonst übrigens ganz wohl auf. Ich danke dir, liebe Mamma, noch viele Mal für alle Freuden und Annehmlichkeiten, die du mir in den langen Ferien bereitet hast. Wie oft bin ich im Geiste noch bei euch, wie oft auch in meinem Stübchen; es war doch alles so hübsch gemütlich! [Das war alles fast zu lieb. Von Nürnberg, von der ganzen „geistig“ doch ungeheuren Reise kein Wort! Als hätte er die ganze Zeit in seinem Stübchen mit „Tisch, ein Stuhl und ein Bücherkasten“ gesessen; mit am „Fenster ein paar Blumen des Geruchs halber, einen Krug Wasser der Erfrischung halber, meine Uhr, Stöße von Schriften und Noten usw.; so denke ich mir meinen schönen Aufenthalt.“ 2.6.61- So hatte es ja in Erwartung der Ferien geheißen. Und nun? Als wäre außer einem ungewöhnlichen Traum inzwischen nichts weiter geschehen! Dabei wurde der 17-jährige N so sehr mit Emersons Weisheiten „in der Wolle“ durchfärbt und getränkt dass er sich in so gut wie keinem Punkt wieder daraus lösen konnte. Nirgends gab es einem Schimmer von Distanz dazu. Nichts davon war ihm „bewusst“ und es ging - scheinbar ! - alles weiter wie bisher:] ….. Mir fehlen noch meine Morgenschuh und Seife [an die er von sich aus wieder einmal nicht rechtzeitig genug gedacht hatte, sie tags zuvor in Naumburg, bei der Rückkehr nach Pforta, mitzunehmen !]. Du kannst dir denken, dass das etwas sauer wird, wenn man so lange Ferien gehabt hat. - Grüße Lisbeth schön von mir, sie will mir ja einen langen Brief schreiben! Nicht wahr? Lebe recht wohl! Dein Fritz NB. Ich brauche ein kleines Trinkgläschen sehr nötig (253) [denn auch das hatte er nicht mitgenommen!].
Im August übergab N der „Germania“ seine Komposition für das Klavier zu vier Händen. Der Titel davon lautet „Schmerz ist der Grundton der Natur“; grad so, als demonstriere er damit eine ideale Voraussetzung für seine „Bereitschaft“ zur Weltsicht von Arthur Schopenhauer, welchem er aber erst in vier Jahren - wieder mit erheblicher Bereitwilligkeit zur Identifikation! - begegnen sollte. Die Musik allerdings ist hervorgegangen aus einem von August 1860 bis März 1861 versuchten Weihnachtsoratorium, bzw. aus dessen Vorarbeiten dazu: Drei Instrumentalstücke [„Heidenwelt“, „Sternerwartung“ und „Der Könige Tod“] NM.350. was als „musikalisches Material“ offenbar zu unterschiedlichsten Anlässen verwendbar war. Das vor den Ferien feierlich geplante Stiftungsfest zum einjährigen Bestehen des Vereins „Germania“ war allerdings inzwischen verpasst und „ins Wasser gefallen“.
Am 20. August 1861 schrieb N an die Mutter in Naumburg:
Liebe Mamma! Hr. Prof. Buddensieg [Ns bisheriger Tutor, 44-jährig] ist tot! Diese Nacht um zwei Uhr ist er gestorben. Ach du glaubst nicht, wie mir traurig zu Mute ist! Wir haben ihn alle so sehr geliebt; wir alle sind außerordentlich ergriffen; überall ist es totenstill. Wir wussten es gestern genau, dass er die Nacht nicht mehr überleben würde. Der Doktor hatte es vorausgesagt. Näheres über sein Ende weiß ich gar nicht; man kann auch nicht fragen. Ach, es ist schmerzlich! Doch - was Gott tut, das ist wohlgetan! - Ihr kommt doch wohl zu seinem Begräbnis heraus; ich muss nun einen neuen Tutor haben und werde H. D. Heinze heute oder morgen darum ansprechen. Wenn du damit einverstanden bist oder etwas dagegen hast, so schreib mir nur auf das eiligste . Denn sonst kommen wir zu spät; Heinze wird viele neue Empfohlene bekommen. Willst Du ihm nicht auch schreiben? - Lebt recht wohl und weinet mit mir, liebe Mamma und Lisbeth! Dein sehr betrübter Fritz (Sendet mir ja weiße Wäsche zum Begräbnis.) (257)
Das nach der nicht sonderlich „gelungenen“ Konfirmation und dem Emerson-Erlebnis! - nur der Mutter zu Liebe? - Oder war das nur ein standhaftes Pastorensohn-Bekenntnis?
Am 20. September 1861 schrieb der musikalisch bewanderte Freund Gustav Krug aus Naumburg an N in Pforta:
Lieber Fritz! Endlich komme ich dazu Dir die Dante-Symphonie und die August-Lieferung [seine „Produktion“ für den Germania-Verein] zu schicken ….. Ich bin begierig, ob bald die Faustsymphonie [wie die Dante-Symphonie von Franz Liszt, 1811-1886] erscheinen wird und was der Klavierauszug kostet, denke jedoch nicht, dass ich die Absicht habe diesen zu kaufen, bei weitem lieber hätte ich etwas von Wagner, etwa Lohengrin, Tristan und Isolde. Nach letzterer habe ich mich immer sehr gesehnt. Wenn ich nur das nötige Geld dazu hätte, sie mir anzuschaffen. Dies muss ich jedoch auf spätere Zeiten verschieben und meine Ungeduld zurückhalten ….. S.M.N.A. [semper manet nostra amicitia, Ewig bleibe unsere Freundschaft, wie unter fast jedem Brief] Vivat Germania !!!!!
Eine Erwiderung auf diesen Brief blieb nicht erhalten. Aber es ist von Ns Seite auch keine anderweitige Erwähnung von Wagners „Tristan und Isolde“ aus ungefähr dieser Zeit erhalten. Den Klavierauszug gab es seit 1859. Dies hier nur, weil N später, als es darum ging sich herauszustellen, des Effektes wegen, ganz andere Angaben dazu machte.
An seine Mutter schrieb N am 26. September 1861:
Liebe Mutter! Ich freue mich sehr, dass nun mein ganzes Examen [die Versetzungsprüfungen] glücklich überstanden ist [offenbar war er dessen nicht in jedem Fall sicher! Seiner angeblichen Genialität war es jedenfalls nicht beschert, einmal eine Klasse zu überspringen, was durchaus nicht unüblich gewesen wäre!]. Nun ist beinahe alles vorüber, morgen Zensur, Sonnabend Versetzung. - Wie seid ihr denn gestern zurückgekommen, ich habe noch gar nichts davon gehört. Es wird dir doch gut bekommen sein? Schade, dass wir uns gar nicht so hübsch unterhalten konnten, da der Regen so dazwischen kam. Nächsten Mittwoch werde ich nach Naumburg kommen; um 1 Uhr erwarte mich nur. Da werde ich auch meinen Wunschzettel [für den zunächst anstehenden Geburtstag] mitbringen. Ich bin sehr froh, dass ich wieder eine Klasse überstanden habe. Das ist wirklich nichts Kleines [und ist ihm nicht genialisch leicht gefallen!]. Lisbeth will, glaub ich, auch schreiben. Nun leb recht wohl, liebe Mamma und fühle dich nicht so einsam, wenn wir fort sind! Dein FWN. (278)
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