Die zugehörige Eintragung im Pfortaer Krankenbuch lautet: 28. -30. Oktober 1861: „Katarrh“ J1.128
Aus dieser Zeit gibt es neben Gedichtfragmenten und anderen Niederschriften nachgelassene „Lebensläufe“. Sie enthalten viele „Emersonnahe Elemente“ und können deshalb, wie von den Herausgebern seinerzeit angenommen, nicht im Mai 1861, sondern Monate später, vielleicht gar erst Anfang 1862 entstanden sein, denn sie enthalten mit dem mehrfach benutzten Wort „Stufenleiter“ und der Erwähnung einer „Sitten- und Geistesgeschichte“ sowie dem gesamten „Geist“ ihres Inhalts nach eindeutige Elemente aus Emersons offiziell erst 1862 in der Übersetzung von E. S. v. Mühlberg erschienenen „Führung des Lebens“.
Der erste Lebenslauf beginnt ganz grundsätzlich, mit einer allgemeingültigen Erklärung, die weit hinausführt über Ns eigene, gerade mal siebzehnjährige Existenz auf diesem Planeten und zeigt damit seine tief in ihm verankerte Neigung, sich selbst und seine Ansichten für „das Gesamte“ überaus wesentlich und auch für sehr maßgebend zu erachten. Der erste der drei lautet:
Die verflossene Zeit des Leben zu überschauen und Gedanken an die wichtigsten Ereignisse desselben anzuknüpfen, kann und darf Niemand [nur auf sich selbst oder ins Allgemeine zielend?] uninteressant sein, dem seine eigne Sitten- und Geistesentwicklung am Herzen liegt [wie es die Seine ihm hiermit erklärtermaßen war]. Denn wenn auch die Keime zu den geistigen und sittlichen Anlagen schon in uns verborgen liegen und der Grundcharakter jedem Menschen gleichsam angeboren ist, so pflegen doch erst die äußern einwirkenden Verhältnisse, die in bunter Mannigfaltigkeit den Menschen bald tiefer, bald flüchtiger berühren, ihn so zu gestalten, wie er als Mann sowohl in sittlicher als geistiger Beziehung auftritt [diese beiden Sätze allein sind „Emerson in Reinkultur“ aus den Kapiteln der „Lebensführung“] ….. Es ist aber ebenso undenkbar, die höchsten Interessen des Menschengeschlechts [da hatte N bereits den höchstmöglichen Superlativ am Wickel!] in die Hände eines gedanken- und unterscheidungslosen Wesens zu legen, als einem urbösen Etwas anzuvertrauen. Denn ein abstraktes, ungeistiges, Schöpferisches [das sollte bei aller Unklarheit des Gesagten alles schon recht philosophisch wirken!] kann ebenso wenig wie ein urböses Wesen [als absoluter Gegensatz zum häuslichen „lieben Gott“!] unsre Geschicke leiten, da im ersten Fall das Geistlose nicht existieren kann - denn alles, was ist, lebt - im zweiten Fall der dem Menschen angestammte Trieb zum Guten unerklärbar wäre ….. BAW1.276f
Dies Wenige verdient eine genauere Betrachtung. In einem Bericht mit dem Titel „Mein Lebenslauf“ ist N bereits im 6. Satz - 3 wurden ausgelassen - bei einem „Denken“ und „Sorgen“ in der Größenordnung für die „höchsten Interessen des Menschengeschlechts“, also - als Flucht vor der eigenen Unbedeutenheit oder um sich nicht auf Details einlassen zu müssen? - bei dem „absolut superlativsten“ Maß von denkbarer „Zuständigkeit“ angelangt! Was veranlasste einen Siebzehnjährigen an etwas derart „Nicht-zu-bewältigendes“ überhaupt zu denken? War das Genie? Ein genetischer Selbstüberschätzungs-Defekt? Das Schönburger „Herrscheramt“? Oder nur die banale Neigung sich in hoffnungsloser Unterschätzung der Realität selbst ebenso hoffnungslos zu überschätzen ? So sehr sogar, dass hier eine Neigung zu blankem, unüberlegtem und auch unüberlegbarem „Wahn“ erkennbar wird? Was er da alles zusammengeschrieben hatte, besaß in sich selbst keinerlei Logik sondern wunschhafte Forderungen, dass es - in korrekte Syntax gebracht! - so wäre! - Das zeigt, dass N sich über etwas ausließ, von dem er zumindest keine leidlich vernünftig zu nennende Ahnung, dafür aber ein allzu hochgestochenes Selbstvertrauen hatte!
Von einem tatsächlichen Genie sollte - jedenfalls ansatzweise zumindest! - zu erwarten sein, dass es, so früh es auch „ nach den höchsten Kronen greift “ 30.4.84oder zu greifen wagt, verantwortlich und ausreichend selbstkritisch erwägt, ob der im „Geiste“ hier getane Griff nach den „höchsten Interessen des Menschengeschlechts“ sich überhaupt von einem Einzelnen mit keinem irgendwie gearteten „Erfolg“ verbinden lässt, weil doch die unendlich erscheinenden Verschiedenheiten hinter dem Begriff „Menschengeschlecht“ für einen Einzelnen prinzipiell „ zu viel “ sein müssen, um eine sinnvolle „Aussage“ dazu von sich geben zu können! Zu einer solchen, genialischen Einsicht hat es bei N „nie nicht gereicht“! Kurzum, zum Genie hätte gehört, das Missverhältnis zwischen „Zuständigkeit“ und „Können“ zu erkennen oder zumindest doch zu erahnen und in angemessener Bescheidenheit entsprechende Zurückhaltung und Umsicht walten zu lassen. Im Gefüge derartiger Ahnungslosigkeit ging es bei N mit Getöse und gewaltiger Unordnung der Begriffe in diesem „Lebenslauf“ fort:
Es gibt in allem Geschaffenen Stufenleitern [ein Wort, welches auch der inhaltlichen Verwendung nach, eindeutig aus Emersons übersetztem Sprachgebrauch der „Führung des Lebens“ entnommen war!], die sich auch auf unsichtbare Wesen erstrecken müssen, wenn nicht die Welt selbst die Urseele sein soll. So bemerken wir den Fortschritt des Lebens, ausgehend vom Stein, überhaupt dem scheinbar Festem, Starren, fortschreitend zu Pflanzen, Tieren, Menschen und auslaufend in Erde, Luft, Himmelskörper, Welt oder Raum, Stoff und Zeit [was alles, abgesehen davon, dass Emerson ihm dies - zwar auf andere Weise und in anderem Zusammenhang! - vorgekautund eingeblasen hatte, und so modern und neuzeitlich N sich bei der „Verwendung von derlei“ fühlen und zeigen mochte, seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse, die in Pforta in nicht nennenswerter Weise gefördert wurden, keinesfalls über die Lehre der 4 Elemente der Antike hinausgehend, nicht überstieg!]. Soll hier die Grenze und das Ende sein? Nein, über das stoffliche, Räumliche, Zeitliche hinaus ragen die Urquellen des Lebens, sie müssen höher und geistiger sein, die Lebensfähigkeit unendlich, die Schöpferkraft unbegrenzt sein [alles orientierungshalber in Superlative gebettet, so dass nichts aus dem Rahmen des ja nur Vorstellbaren fallen konnte!].
Eine andere Stufenleiter bildet die anwachsende Verteilung der Geisteskräfte und hier steht von allen sichtbar der Mensch an der Spitze, da er die größte Geistesausdehnbarkeit hat. Aber die Unvollkommenheit und Beschränktheit des menschlichen Geistes, der die Welt klar durchdringen müsste wenn er der Urgeist [wer war das? - und bei welcher Lebensquelle sollte dieser angesiedelt sein? Hatte N Kenntnis von diesem aus dem Gefühl des Allzusammenklangs in seinen besonderen „Momenten“? - Was der „Urgeist“ also] sein sollte, leitet unsre Blicke auf eine höhere, erhabenere Geisteskraft, von der alle andern Geisteskräfte wie von einer Urquelle her fließen. So lassen sich noch viele solche Stufenleitern finden, wie der anwachsende Fortschritt des Stofflichen, Räumlichen, Zeitlichen, der Moral usw. Alle aber - und das ist das wichtige, bestimmen uns erstens die Existenz des ewigen Wesens, dann auch die Eigenschaften desselben. BAW.277f
Was waren das für Töne! Welche „Weltumspannung“ brach da - und mit welcher Macht vor allem! - plötzlich hinein in die bisherige Naumburgisch-Pfortensische Versorgt- und Behütetheit - einerseits in den Glauben von zu Hause und andererseits in das unausweichliche Eingespanntsein in die puritanische Schulorganisation! - Da tauchten etliche, hier eigentlich gar nicht recht passende exotische Worte auf: Da gab es in der „Realität“ von Ns Wahrnehmung unversehens „Stufenleitern“, eine „Urseele“, einen „Fortschritt vom Stein über Pflanzen und Tiere zum Menschen“. Über diesen hinaus die „Luft“, die „Himmelskörper“, das „Weltall“, „Stoff“ und „Zeit“. Der Mensch steht noch an der Spitze, - noch weist kein Übermensch über diesen hinaus, aber es gibt schon ein deutliches Anstoßnehmen an der „Unvollkommenheit“ und „Beschränktheit des menschlichen Geistes“ von dessen „Urquell“ her und es gibt eine nicht zu übersehende Einbeziehung der „Moral usw.“ in einen als „Stufenleiter“ - vom Primitiven her - aber wohin? - vorgestellten „Fortschritt“ des „Stofflichen, Räumlichen, Zeitlichen“, also auch eine in Relativierung befindliche „Moral“! - Aus dem Nichts heraus ist das einfach gewaltig ! Wo kam das alles so plötzlich her? Aus dem mittlerweile vertieften Umgang mit Emerson, der derartig in N „rumorte“, blähte und Blasen schlug, um die Begeisterung für den eigenmächtigen Umgang mit „höchsten Dingen“ auszuleben, sich zu versuchen, sich darzustellen, - weil diesem - wie N viele Jahre später gesteht! - „mein weiteres Leben geweiht ist - es ist mir zu schwer zu leben, wenn ich es nicht im größten Stile [rundum umgeben von Superlativen!] tue“, wie es Mitte Juli 1882 in einem Brief dann ganz deutlich heißen sollte: Es geht darum, sich selbst , bewehrt mit den Einflüsterungen Emersons, in seinem „Herrscheramt“ auf unüberbietbare Weise zu fühlen , zu erfüllen und zu erleben !
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