Der Brief verrät, dass es N nicht so ohne weiteres und schon gar nicht aufgrund einer genialen Veranlagung leicht gefallen ist, mit durchweg überragenden Zensuren voranzukommen.
Ende September - Anfang Oktober 1861 schrieb N an seine Mutter in Naumburg:
Liebe Mutter! ….. Herzlichen Dank für das schöne Gebäck und die Menge Pflaumen, die wirklich sehr schön sind. Ich gedenke euch für alles nächsten Mittwoch mündlich zu danken, wo von nach Tisch bis 3 großer Spaziergang ist. Wir müssen uns aber zu Hause sehen, da ich eine Anzahl Bücher mitnehmen muss ….. Ich will euch nur gleich meine Wünsche [zum bevorstehenden Geburtstag am 15. Oktober] schreiben; sie sind wahrlich nicht groß und streng genommen ist es ja bloß ein Hauptwunsch [für den Geburtstag]; das ist nämlich R. Schumann op. 98, Requiem für Mignon im Klavierauszug bei Breitkopf und Härtel [einem schon damals namhaften Musikverlag. - Von Schumann, den N später verachten sollte! - und nichts von Wagner!]. Außerdem wünsche ich, dass zwei Notenhefte eingebunden werden, die ich euch nächsten Mittwoch bezeichnen werde ….. Beiläufig gesagt bin ich jetzt also Obersekundaner [mit Unter- und Oberprima noch 3 Jahre bis zum Abitur!]; ich teile Dir meine Zensur hier mit; sie ist erstaunlich schön [lauter Zweien und eine Eins, solche auch in Fleiß und Betragen] Damit kannst du wirklich zufrieden sein. Nun lebe schön wohl, liebe Mamma, noch vielen Dank von Deinem Fritz. (279)
Der Erziehungsbericht von Ns neuem Tutor Heinze dazu lautet:
Hochgeehrte Frau Pastor. Aus der beifolgenden Zensur Ihres Sohnes erfahren Sie, dass seine Lehrer mit seinem Betragen und mit seinem Fleiß in dem halben Jahr recht wohl zufrieden sind und dass auch seine Leistungen in den meisten Fächern das Prädikat „gut“, in einem und zwar einem Hauptfache (Latein) sogar das Prädikat „sehr gut“ verdienen. Es sind dies Resultate, wie sie nicht gar zu häufig hier erzielt werden und ich freue mich, dass ich Ihnen eine derartige Zensur zuschicken kann indem ich zugleich den Wunsch ausspreche, künftig immer in derselben Lage zu sein. - Dass es mir eine große Freude ist, der Tutor eines solchen Schülers zu sein, brauche ich Ihnen, hochgeehrte Frau Pastor wohl kaum noch besonders zu versichern. Genehmigen Sie bei dieser Gelegenheit den Ausdruck meiner ganz besonderen Hochachtung, mit der ich mich zeichne Ihr ganz ergebener Heinze KGBI/4.178
Am 12. Oktober 1861, einem Samstag, 3 Tage vor seinem 17. Geburtstag, schrieb N an die Mutter und die Schwester in Naumburg:
Liebe Mutter. Ich danke dir für den allerdings ein wenig kurzen Brief; es ist doch keine hübsche Einrichtung mit dem Sonnabendkistenschicken; denn dadurch werden die Briefe sehr kurz. Ich bedarf der Hefte sehr notwendig [„blaue große und kleine Hefte, die großen nicht über 4 Bogen, die kleinen nicht über zwei. Außerdem ein großes Heft von etwa 10 Bogen. Also 6 große zu 4, 1 großes zu 10, 2 kleine zu 2 Sendet mir die camera obscura, die Stiefeln“, so genau in dem Brief zwei Tage zuvor!], bis zum Dienstag [seinem Geburtstag, den er aber aus unbekannt gebliebenen Gründen an dem Tag nicht gefeiert sehen wollte] sende sie mir ja ….. Wie steht es denn mit dem Taschengeld? Du hast mir gar nicht geantwortet. - Ich schreibe jetzt übrigens wieder mit Gänsefedern; es ist das aller bequemste und ich habe mich jetzt völlig daran gewöhnt; du könntest mir ein paar mitsenden. - Morgen [am Sonntag] gehe ich [in treuer Pflichterfüllung?], wie du weißt zum heiligen Abendmahl und kann euch also nicht sehen, so sehr ich es wünschte ….. Nun noch ein spezieller Auftrag für Lisbeth, der aber die höchste Eile hat. Ich bedarf zu einer deutschen Arbeit über Hölderlin notwendig seine Biographie, sie liegt in meinem Bücherkasten. Die Kamera obscura habt ihr mir auch nicht gesendet. Alles erwarte ich spätestens Dienstag, wo ich übrigens durchaus keine Gratulation haben will, aber auch mit keiner Silbe. Denn mein Geburtstag ist erst Freitag ….. (281) [am 18. Oktober? Warum? Weil sein Geburtstag nicht mehr zugleich der des Königs war?]
Zu Ns Geburtstag schrieb ihm sein Freund Wilhelm Pinder aus Naumburg:
Lieber Fritz! Vor allem meine herzlichsten Glückwünsche zu dem heutigen Tage, der nun leider, nachdem [der König] Friedr. Wilh. IV gestorben ist, nicht mehr im ganzen Lande gefeiert wird. Ich hoffe, dass Dir Dein Geburtstagsfest von allen Unannehmlichkeiten frei bleibt, die Dir Pforta in so reichem Maße bringt [da wird er sich also mal bei seinem Freund ausgeweint haben] ….. Mittwoch haben wir auch unsere Zensuren bekommen, sie sind natürlich in Vergleich mit der deinigen nicht einen Heller wert. Nun vielleicht wird dein gutes Beispiel uns zu größerem Eifer anfeuern! Mit unseren Oktoberlieferungen [für die „Germania“] sind wir noch immer rückständig [was auf ein gewisses Drängen durch N schließen lässt], Du sollst sie aber so bald wie möglich übersendet bekommen ….. [auch an diesen Zeilen ist abzulesen, wie sehr N die Vorbildrolle zu spielen hatte und in diese von „den Anderen“ auch angenommen wurde!]
Am 17. Oktober 1861, einem Donnerstag, schrieb N an Mutter und Schwester in Naumburg:
Liebe Mutter. Loskommen werd‘ ich morgen [am geplanten Geburtstagsfeiertags-Freitag] auf keinen Fall, indem den ganzen Nachmittag [Pfortaer] Festlichkeiten sind. Es wird wahrscheinlich erst um 1 Uhr gegessen, bei gutem Wetter (denn heute sieht es sehr bedenklich aus) würde ich sodann etwa von ¾2-4 Spaziergang haben, wo ihr mich also wenn ihr nichts wichtigeres vorhabt, erwarten könnt. Um 4 ist Schauturnen, Tierquälerei, dann Feuer auf dem Berg und Feuerwerk und abends Ball für die Primaner. - Ich danke übrigens Lisbeth schön für den Brief und für die schnelle Besorgung meiner Wünsche, ebenso für das inliegende Konfekt, das mich doch einigermaßen wieder an Königsgeburtstag erinnerte. Wir hatten gerade einen üblen und schwierigen Lektionstag. - Übrigens fehlt mir noch der erste Band von Hölderlins Leben, den will ich mir morgen noch mitnehmen ….. (282)
Zwei Tage darauf schrieb N einen sehr persönlich gehaltenen Schulaufsatz über Hölderlin, der ihm einen Rüffel eintrug, aus dem ersichtlich war, fürderhin mit Einblicken in das, was ihn wirklich interessierte und ihm wichtig war, vorsichtig, zurückhaltender, verschwiegener zu sein. Er war mit seiner Hölderlin-Bewunderung nicht verstanden worden, so viel war klar und damit hatte das Ansehen der realen Welt gegenüber seinen Idealen und Vorstellung ein Stückchen mehr an Vertrauen und Ansehen verloren.
Am 21. Oktober 1861 schrieb N an die Mutter in Naumburg:
Liebe Mutter. Es war sehr angenehm, dass wir uns gestern [am Sonntag] noch etwas sahen. Denn vorigen Freitag haben wir uns nur sehr wenig gesprochen. Also sende mir die Brille, die Stiefeln, die zwei Taler von der Tante hebe mir auf ….. Ich habe mich am 18. Oktober [dem so problematisch verabredeten Geburtstags-Freitag] mehr als je gesehnt, einen gemütlichen Nachmittag in eurem Kreis zuzubringen und ich fühlte mich sehr ungemütlich in Pforta. Das Schauturnen furchtbar langweilig, auf dem Berge Feuerwerk und Feuer etwas weniger, dann aber wieder der ganze Abend! Das ist schrecklich. - Dein Geschenk liebe Mama [der Klavierauszug von Schumanns „Requiem für Mignon“] erfreut mich ungemein; es wird euch wohl auch gefallen wenn ich’s euch vorspiele. Der Kuchen und die Weintrauben - alles sehr delikat. Hast du mir vielleicht den Don Juan mitgebracht? Ich habe es vergessen, neulich danach zu fragen. Ich bin übrigens durch die hübschen Photographien darauf gekommen, mir Weihnachten wieder welche zu wünschen; es sind viele von großen Männern der Neuzeit erschienen. - Nun lebt recht wohl ….. (283)
Am 28. Oktober 1861 schrieb N an die Mutter:
Liebe Mutter. Ich muss euch leider die unangenehme Mitteilung machen, dass ich heute wieder veranlasst worden bin, auf die Krankenstube zu gehen. Ich habe einen auffallend schnellen Pulslauf und dicken Hals und Schmerzen im Hinterkopf. Dabei gräulichen Frost. Alles so dumpf. Im Allgemeinen wirklich dem vorjährigen Zustand beim Eintritt der Kopfschmerzen gleich. Deshalb hielt ich es für meine Pflicht, dem Doktor Mitteilung zu machen, der mir herüber zu kommen riet [auf die Krankenstube]. Ich werde mich zu Bett legen. Sende mir schleunigst den Bettüberzug, ein weißes Hemd, wollne Strümpfe und Geld, das ich hier nötig brauche. Lisbeth wird mir den „Muretus“ [ein Buch des französischen Humanisten Marc Antoine Muret, 1526-1585, der 1550 eine lateinische Tragödie „Julius Caesar“ veröffentlicht hatte] beilegen. Nun lebe recht wohl, hoffentlich geht es bald besser. Dein Fritz. (284)
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