Auch diese Textstelle hat N seitlich markiert. Von Emerson her war das gleichsam eine „Aufforderung zum Tanz“, etwas Besonderes, Außergewöhnliches zu vollbringen und darzustellen ! Um auf diese Weise vor allen Anderen , so, wie er sich fühlte, als etwas Besonderes zu gelten ! N hat Emersons Sprüche immer wieder in maßloser Übertreibung auf sich selbst bezogen und notierte sich im so vieles in ihm aufwühlenden und anregenden Herbst 1881:
Meine Art krank und gesund zu sein, ist ein gutes Stück meines Charakters - es rechtfertigt sich und mich. 9.620
Rein aus ihm selbst heraus! Wieder einmal! Alles bezog sich für ihn - sofern es von Nutzen war! - immer nur auf ihn selber: Ohne jeden Bezug auf etwas, das außerhalb seiner Existenz vorhanden und/oder von Bedeutung wäre. Nirgends bei N „erscheint“ neben dem „philosophisch-metaphysischen“ Stichwortgeber Emerson als eine auf dieser Welt vorhandene, Ihn relativierende Instanz außerhalb seiner selbst ! Aus seinem Satz lässt sich herauslesen, wie sehr N sein „Leiden“ - vor allem als Kopfschmerzanfälle, die ihn bis zur Verzweiflung plagen und martern sollten! - im Zusammenhang mit der „ Besonderheit seines Seins “ - sogar als deren Opfer und Preis! - empfand. Beides gehörte mit dem Dritten, mit seinen „Zuständen“, seinen Allzusammenklangs-Momenten, die ihm von Emerson in vielen Formen als etwas ihn Auszeichnendes erklärt worden waren, zusammen . Zu der eigentlichen Emerson-Aussage dieses Beispiels passt eine Aussage Ns aus dem Jahr 1882, sie ist aus dem gleichen Geist heraus formuliert. Am 15. Juli 1882 schrieb N an seinen ihm längst sehr fern geratenen ehemaligen Busen-Freund Erwin Rhode:
Mein lieber alter Freund, es hilft nichts, ich muss Dich heute auf ein neues Buch von mir vorbereiten [auf die da gerade erscheinen sollende „Fröhliche Wissenschaft“] ….. Jetzt gibt es einen eigenen Studienplan und hinter ihm ein eigenes geheimes Ziel [die ihm nie gelungene wissenschaftliche Begründung seiner Lehre von der „Ewigen Wiederkehr“!], dem mein weiteres Leben geweiht ist - es ist mir zu schwer zu leben, wenn ich es nicht im größten Stile tue [gemäß der Vorgabe Emersons „sich Andern in seiner vollen Größe und Proportion als weiser und guter Mensch mitzuteilen“!] im Vertrauen gesagt, mein alter Kamerad! …..
Zwei Jahre später schrieb N in gleichem Sinn, aber deutlicher ins Maßlose getrieben, zum einen an seinen treuesten Freund Franz Overbeck, der zwar lange schon Kenntnis von Ns bis „zum Defekt betriebenen Ehrgeiz“ NR.320hatte, aber von Ns tatsächlichem Wahn nichts ahnte, sondern sämtliche Überspanntheiten Ns verständnisvoll tolerierte, - am 25. Mai 1884:
Ich will so viel von mir [aber eigentlich hätte er schreiben müssen: für mich ! - denn für niemanden sonst hat er das „ müssen “!], dass ich undankbar gegen das Beste bin, was ich schon getan habe [zum Beispiel die „Zarathustra“-Teile 1 - 3!]; und wenn ich es nicht so weit treibe, das ganze Jahrtausende auf meinen Namen ihre höchsten Gelübde tun, so habe ich in meinen Augen [in Wahrnehmung seines „Herrscheramtes“ - als Weltregierender und zu der Zeit 1884 längstens schon größenwahnsinniger] Nichts erreicht. Einstweilen - habe ich auch noch nicht einen einzigen Jünger.“
Zum anderen schrieb er, wie zum Beweis dafür, dass das nicht nur ein Ausrutscher, eine Entgleisung, eine vorübergehende geistige Störung war, kurz darauf, in der ersten Juniwoche 1884, an seine mütterliche Freundin Malwida von Meysenbug in Rom unter Anderem:
Meine Aufgabe ist ungeheuer [die er sich selber zugewiesen hatte: maßlos und in jeder Beziehung superlativisch ausgelegt um alles darüber Hinausgehende seitens „Anderer“ von vornherein und für alle Zeiten auszuschließen und/oder gering achten zu dürfen!]; meine Entschlossenheit aber [ist] nicht geringer. Was ich will, das wird Ihnen mein Sohn Zarathustra zwar nicht sagen [er war zu der Zeit noch längst nicht bereit, vollkommen aus sich, das heißt über superlativistische Andeutungen heraus- und hinauszugehen!], aber zu raten aufgeben; vielleicht ist es zu erraten. Und gewiss ist dies: ich will die Menschheit zu Entschlüssen drängen, welche über die menschliche Zukunft entscheiden und es kann so kommen, dass einmal ganze Jahrtausende auf meinen Namen [und nicht mehr auf den von Jesus Christus oder irgendwelchen anderen „Göttern“!] ihre höchsten Gelübde tun.
Das war es - wie sich aus vielerlei Anlässen noch zeigen wird! - worum es N bei allem, was er tun würde, gehen und wozu ihm das, was als seine „Philosophie“ gilt, dienen sollte! All das, was - durch Jahrzehnte hindurch! - streng im von Emerson vorgegebenen und diesen erfüllenden „Geist“ entstehen sollte! So steht es auch als Notiz aus der Zeit „Frühjahr 1884“ in seinen Notizen:
Meine Aufgabe [die ihm von niemandem gestellt war und ihm überhaupt niemand stellen konnte! - Es gibt kein Wort von N, mit dem er sich eindeutig dazu geäußert hätte - denn in Wahrheit war das Wort „Aufgabe“ für ihn nichts anderes als eine Verleugnungsvokabel für das unbedingt zu vermeidende, dort aber hingehörende Wort „Lust“! Für sein Bedürfnis, seinen Zwang, eben]: die Menschheit zu Entschlüssen zu drängen, die über alle Zukunft entscheiden! 11.118
Im Zuge der hier allgemein gepflegten und offenbar werdenden hochsubjektiv gestrickten Beliebigkeit der Ansichten ist an Ns Einschätzung seiner selbst prinzipiell schwerlich viel auszusetzen. Jeder sieht sich, wie ihm behagt. Die ernsthaft zu stellende Frage ist aber doch, welche Gültigkeit ein auf derart extreme Weise nur auf N selbst bezogenes und beruhendes Selbst-Verständnis haben kann, - wird doch sein wahrer, auf eine gewisse „Wirklichkeit“ ausgelegter Wert hauptsächlich vor , in und von „den Anderen“ gebildet, denn nur vor jenen kann man „etwas“ wirklich - mit Wirkung nämlich! - sein ! Ausschließlich allein auf und vor sich selbst gestellt - nur auf eignen Kredit hin ! - ist eh alles mit „einem selbst“ so spurlos gründlich vorüber als wäre es nie gewesen! Was aber konnte von Einem bleiben , wenn „die Anderen“ derart gründlich aus der eigenen Weltsicht ausgeschlossen wurden, wie bei N? - Nur der Irrtum über eine Philosophie, die - außer für N krampfhafte Orientierungsversuche abzugeben! - nie eine gewesen ist!
Was dein Herz für groß hält, das ist groß [dies aber nur für Dich! Nicht in gleichem Maß auch für „die Anderen“!]. Die Emphase [die Begeisterung] der Seele hat immer Recht [ebenso: nur für Dich ! - Denn die Emphase Deiner Seele kann sich für und über andere Seelen auch gewaltig irren! Sogar über sich selbst!]. An alle Dinge, die seiner Natur und seinem Genius angenehm sind, hat der Mensch das höchste Recht [wenn er nebenbei gleiches „den Anderen“ zubilligt, wovon aber hier - gleichsam N gegenüber, der dies las - nichts geschrieben steht und auch von ihm im Entferntesten niemandem außer ihm selber eingeräumt wurde!]. Allenthalben mag er sich nehmen, was zu seinem geistigen Vermögen gehört [was allerdings für den Genius so gut gilt wie für den Idioten!], er kann gar nichts anderes nehmen und wenn ihm alle Türen geöffnet wären, noch kann eine menschliche Macht ihn hindern, so viel zu nehmen wie er will [dabei jedoch sollte man es nicht unbedingt belassen, denn diese „Weisheiten“ hat Emerson in einem reichlich fatalistisch geprägten Stil von sich gegeben und in seinen nach der Katastrophe des amerikanischen Bürgerkrieges von 1861 bis 1865 entstandenen Werken auch nicht wiederholt, - weshalb N alles andere von Emerson unbedeutend erschien!]. Es ist vergeblich, ein Geheimnis vor Jemand bewahren zu wollen, der ein Recht hat, es zu wissen. Es wird sich selbst verraten. EE.108
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