G. T. Selzer
An trüben Wassern
Ein Kriminalroman aus Frankfurt
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G. T. Selzer
AN TRÜBEN WASSERN
Ein Kriminalroman aus Frankfurt
ISBN 978-3-945343-26-5
1. Auflage August 2017
© 2017 by PINTAS-VERLAG, Frankfurt am Main
www.pintas-verlag.de
Umschlaggestaltung, Montage, Satz und Layout:
selzer-werbung, Frankfurt • www.selzer-werbung.de
Fotos: Hausboot an der Nidda (Frankfurt-Höchst) © by Joachim Reisig/pixelio.de
Opernturm © Adornixderivative work: Dontworry Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=25413372
Alle Rechte vorbehalten.
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Er schrie.
Begonnen hatte er mit einem leisen Wimmern, das lauter wurde, fordernder, schnell zu einem unartikulierten Brüllen anschwoll und nun in voller Lautstärke die nächtliche Stille des Flusses durchbrach.
Mit einem lauten Stöhnen warf sich Tobias im Bett herum und zog mit der rechten Hand das Kissen fester um den Kopf. Seine Linke tastete suchend nach der anderen Hälfte des Bettes, fand ihr Ziel und rüttelte unsanft an Coras Schulter.
„Er hat Hunger!“
Unverständliches Brummen.
Ein weiteres Rütteln.
Cora drehte sich auf die andere Seite und verschwand unter der Decke.
„Hab gerade. – Windel.“ Nicht mehr als ein Nuscheln unter den Daunen.
Tobias seufzte, blickte auf den Radiowecker – halb drei – und sprang aus dem Bett. Er ging zur Wiege hinüber, nahm das schreiende Baby vorsichtig heraus und verließ hastig das Schlafzimmer. Sachte zog er die Tür hinter sich zu.
Augenblicklich war der Kleine ruhig geworden, sah seinen Vater mit großen Augen an, das kleine Köpfchen noch rot vor Zorn, die Händchen zu drohenden Fäusten geballt, Arme und Beine in stetiger Bewegung. Dann verzog sich der winzige Mund wieder unwillig nach unten, und Tobias löste sich rasch aus der Verzückung, die ihn jedes Mal überkam, wenn er seinen Sohn betrachtete. Bevor das Baby noch den nächsten Brüller von sich geben konnte, eilte er barfuß ins Kinderzimmer hinüber, leise und beruhigend auf den Kleinen einredend, und legte ihn auf den Wickeltisch.
Er hatte kein Licht gemacht. Ein voller Mond stand noch niedrig am klaren Himmel der warmen Augustnacht, goss verschwenderisch pures Silber auf die glatte Oberfläche des Mains und sandte sein weiches Licht direkt durch das gekippte Fenster ins Kinderzimmer. Es war hell genug, um die nunmehr seit fünf Monaten geübten Handgriffe – Saubermachen, Cremen, Wickeln – professionell und rasch auszuführen.
„Hallo Luca, schau mal, hier ist der Papa!“
Tobias beugte sich nach getaner Arbeit über das Baby, das jetzt zufrieden und so aufmerksam zu ihm aufsah, als könne es die leisen Worte verstehen. „Alles wieder gut, wir gehen jetzt ins Bettchen.“
Tobias hatte den Kleinen eben wieder auf den Arm genommen und sich zur Tür gewandt, als er mitten in der Bewegung reglos verharrte.
Ein langer, markerschütternder Schrei zerriss die Nacht.
Luca an seine Schulter gelehnt, blieb Tobias mitten im Zimmer stehen. Wartete – doch die Stille dehnte sich wieder durch die Dunkelheit, als sei nichts gewesen.
Es war von draußen gekommen. Langsam löste sich Tobias aus seiner Starre, ging ans Fenster und blickte durch die Platanen am Griesheimer Ufer hinaus auf den silbernen Fluss. Alles war ruhig, auf der Straße und unten am Uferweg niemand zu sehen. Flüchtig dachte Tobias an streunende Katzen, an ihr unglaubliches Gekreische während der Rolligkeit, doch dann schüttelte er den Kopf. Es war ein menschlicher Schrei, obschon er in seinem Grauen nichts Menschliches mehr an sich hatte. Eine Frau? Ein Mann? Während Tobias, noch immer mit dem Kleinen auf dem Arm am Fenster stehend, die Straße und das Ufer beobachtete, dachte er darüber nach und kam zu dem überraschenden Schluss, dass er es nicht hätte sagen können. Doch es war eine menschliche Stimme; dessen war er sicher.
Später wusste er nicht mehr, warum ihm genau in diesem Augenblick der ‚Skipper‘ in den Sinn kam. Ein alter, schmuddeliger Mann, der unten bei den Stegen ein Hausboot liegen hatte, auf dem er auch wohnte. Weder er noch Cora hatten ihn seit ihrem Einzug richtig zu Gesicht bekommen. Doch er war mit das Erste, über das sie damals kurz vor Lucas Geburt von den Nachbarn aufgeklärt wurden.
„Der Alte wohnt schon seit Jahren da. Keiner kann sich genau erinnern, wann der mit seinem Boot hierher gekommen ist. Sieht ziemlich abenteuerlich aus, aber keine Angst“, Frau Meises Blick hatte kurz Coras dicken Bauch gestreift, „der ist harmlos. Schlurft hier manchmal rum, man sieht ihn auch oben im Ort beim Einkaufen oder mit dem Hund draußen, aber meist ist er auf seinem Boot. Tut keinem was.“
„Wir nennen ihn nur den ‚Skipper‘“, hatte Herr Neumann vom ersten Stock hinzugefügt, „seinen richtigen Namen kann sich kein Mensch merken.“
Seitdem hatten sie ihn hin und wieder vorbei gehen sehen, eine hagere, gebeugte Gestalt in einem offenen Mantel, der hinter ihm her wehte wie der Umhang eines Musketiers, einen grauen Hund im Schlepptau.
Tobias drehte sich auf die andere Fensterseite, um zu den Bootsstegen hinunterzuschauen. Das große Hausboot war hinter den kleinen weißen Booten und trotz der großen Trauerweide noch gut zu erkennen. Doch auch hier war alles still, keine Bewegung, kein Licht. Langsam kehrte er ins Schlafzimmer zurück.
Luca tat ihnen den Gefallen, sich bis sieben Uhr nicht mehr zu regen. Tobias hörte, wie Cora aufstand und das leise quengelnde Baby zum Stillen mit hinaus nahm, drehte sich wohlig seufzend auf die andere Seite und schlief weiter. Sie hatten beschlossen, dass Tobias während der ersten Wochen nach der Geburt zu Hause bleiben würde, um sich ebenfalls ganz Luca widmen zu können. Die Arbeitsteilung nachts und am Tag funktionierte reibungslos, und sie genossen es beide sehr, in der Lage zu sein, wenn nötig den verlorenen Schlaf bis in die späteren Morgenstunden nachholen zu können und nicht nach nächtlichen Baby-Eskapaden angstvoll auf den Wecker schielen zu müssen.
Andererseits – wenn Tobias ehrlich war, die ständige Nähe bedeutete eine große Umstellung für ihn; beide hatten vorher alleine gewohnt, und er fragte sich immer öfter, ob die gemeinsame Wohnung vielleicht doch etwas überstürzt in Angriff genommen worden war.
Kurz vor neun erschien Tobias in der Küche, wo Cora den Frühstückstisch gedeckt hatte. Die Sonne schien schräg ins Fenster; der Tag versprach, wieder schön zu werden, ein warmer Spätsommertag mit einem stahlblauen Himmel, vereinzelten duftig weißen Wolken und angenehmen mittleren Temperaturen. Draußen im Vorgarten neben der Hibiskushecke verbreitete der letzte Phlox in Rot, Rosa und Violett seinen betörenden Duft, doch die ersten Astern kündigten bereits unerbittlich den Herbst an.
„Guten Morgen.“ Er streichelte Cora über die blonden, kurzen Locken und küsste sie flüchtig. „Was macht er?“
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