„Der unbekannte Tote ist nicht mehr unbekannt. Die DNS des Mannes war in unserer Datenbank.“
„Aha, also ein Kunde von uns?“
„Das wissen Sie besser als ich, wenn Sie in Ihrer Datenbank wühlen. Ich schicke Ihnen die Einzelheiten gleich rüber.“
„Und der Finger?“
„Tja, bringen Sie mir eine Leiche dazu.“
„Er wurde also keinem Lebenden abgehackt?“
„Nein, postmortal entfernt. Auch männlich, nach erster Einschätzung ebenfalls zwischen Vierzig und Fünfzig.“
„Und diese DNS ist nicht zufällig auch in der Datenbank?“
Dr. Eilers lachte. „Sie sind wohl nie zufrieden! Möglichst alles auf dem Silbertablett, wie? Nein, nach dem Schnelltest – der ausführliche dauert noch – gibt es keine Übereinstimmungen.“ Dr. Eilers machte eine Pause. „Obduktionsüberblick der kompletten Leiche kommt gleich per Mail. Der Finger dauert noch bis Montag. Einen schönen Tag noch!“
„Können Sie uns recht bald den Ring ...“
„Klar, schon unterwegs.“
Es klickte in der Leitung. Den Hörer noch in der Hand, sah Korp seinen Chef an, leichter Vorwurf im Blick.
„Was denn, ich habe die Leiche nur da im Dickicht gesehen und auch da war sie noch halb verdeckt. Die Hände habe ich mir nicht angesehen!“ Langer ruderte mit den Armen.
Korp legte nachdenklich den Hörer hin, stand auf und holte sich noch einen Kaffee.
Wenn er jetzt wieder anfängt zu rühren, dachte Langer, dreh ich durch. Doch Korp schien seine Geistesabwesenheit überwunden zu haben, checkte seine E-Mails und nahm den Drucker in Betrieb.
„Trommeln Sie die Mannschaft in Gottes Namen also noch mal zusammen und“, Langer stand auf und ging zu dem großformatigen Stadtplan hinüber, während er weiter sprach, „lassen Sie das Gebiet rund um die erste Fundstelle und natürlich besonders da auf dem kleinen Inselchen absuchen. Ordern Sie den Leichenspürhund.“ Er dachte an das undurchdringliche Gelände und zuckte die Schultern. „Hoffen wir, dass wir dort Glück haben, sonst … .“
Korp kam mit den Ausdrucken von Eilers‘ Bericht zu den Schreibtischen zurück.
Langer beugte sich darüber. „Todeszeitpunkt vorgestern, Mittwoch, zwischen 19.30 und 21.00 Uhr. – Da war es in dieser Ecke schon ziemlich dunkel. Die KTU ist doch der Meinung, dass die Tat in unmittelbarer Nähe stattgefunden hat?“
Korp nickte. „Sie haben außerhalb der Büsche noch Schleifspuren entdeckt. Sind zwar nachlässig verwischt worden, waren aber noch erkennbar.“ Obwohl dieses Hundevieh Edelgard van der Wieauchimmer auch noch darüber gestiebt ist, dachte er flüchtig und fuhr fort: „Cems Truppe hat auch zwei Blätter mit Blutanhaftungen des Toten direkt vor dem Gestrüpp gefunden. Was wahnsinniges Glück oder das Ergebnis ihrer akribischen Arbeit war, weil bei dieser Todesart fast kein Blut fließt. – Keine Tatwaffe gefunden.“
„Kampf? Abwehrspuren?“ Langer sah suchend über den Text.
„Nein.“
Langer brummte und las weiter: „Todesursächlich war der Stich ins Herz mit einer etwa fünfzehn Zentimeter langen und zwei Zentimeter breiten Klinge. Der Mann war sofort tot; der Stich ging von vorne direkt ins Herz; Todesursache Perikardtamponade .“ Er sah auf. „Der Täter ist kleiner als der Tote, höchstens einsfünfundsiebzig und Rechtshänder.“ Langer blätterte. „Na ja, der Tote war knapp ein Meter neunzig groß. – Ansonsten ...“ Er blätterte wieder. „Gute Kondition, regelmäßig Sport, Nichtraucher, wenig Alkohol, hätte hundert werden können.“
„Was das Messer betrifft: Könnte ein ordinäres Küchenmesser sein.“
„Im Park?“
Korp zuckte die Schultern. „Vielleicht ein Picknick, das aus dem Ruder gelaufen ist?“
„Hm.“ Langer nickte. „Checken Sie, ob die KTU womöglich Anzeichen für ein Picknick gefunden hat. Und Schmidtbauer soll ein paar Mann rausschicken, Zeugen suchen.“ Er sah Korps zweifelnden Blick. „Ja, ich weiß, aber versuchen müssen wir es.“ Er setzte sich gerade hin. „Und wer ist nun unser Toter?“
Korp klickte, scrollte. „Rolf Suttner, geboren am 12. Juni 1971“, antwortete er dann. „Wohnhaft in Kronberg, war CEO der deutschen Niederlassung der TransAt Corp ., ebenfalls Kronberg, Hauptsitz Boston, Massachusetts, USA. Suttner wurde vor sechs Jahren wegen fahrlässiger Tötung zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, ohne Bewährung.“
„Hm.“ Langer grunzte wieder. „Nicht unser Bereich. Schauen Sie mal in die schlaue Kiste nach dem Vorgang. – Familie?“
„Ehefrau Betty und zwei Töchter. Und einen Bruder Oliver Suttner. Kennen Sie vielleicht.“
„Sollte ich?“
„SUTTNER IMMOBILIEN – Wir finden Ihr Zuhause! Schreit einem aus jedem Anzeigenteil entgegen.“
Langer, langjähriger Besitzer eines Einfamilienhauses in Schwanheim, schüttelte nur den Kopf. Korp begann, in seinem Terminal nach der Akte Suttner von vor sechs Jahren zu wühlen, als ihn das Telefon wieder unterbrach.
„Hallo, Herr Kommissar.“ Die fröhliche Stimme von Helene Hohenstein quäkte respektlos aus dem Hörer. „Wollte mich mal melden, bevor Sie die Fahndung nach mir rausgeben und mir den Streifenwagen vors Haus stellen.“
Korp räusperte sich. „Hallo, Frau Hohenstein. Was gibt’s denn?“
„Na, ich sollte doch heute zu Ihnen kommen wegen der Aussage, aber heute klappt‘s leider nicht mehr.“
„Ach, wie schade – ähm, ich meine, das macht nichts. Aber heute wäre es ohnehin schlecht. Passt es Ihnen am Montag? Sagen wir, gegen zehn?“
„Ja, okay. Und sonst? Haben Sie schon Ihren Mörder?“
„Nein, das ist noch etwas früh. Wir arbeiten daran.“
„Also dann bis Montag. Tschüss, Herr Kommissar!“
Langer war indessen in den Türrahmen zum Nachbarbüro getreten, wo der junge Obermeister seinen Schreibtisch hatte. „Schmidtbauer, geh mal die Vermisstenmeldungen der letzten zwei Wochen durch. Männlich, circa ...“
„Ja, ich hab‘s hier auf dem Bildschirm, Herr Langer.“
„Ok, und wühl auch gleich mal in deinem Kasten, ob bei den umliegenden Präsidien eine Leiche ohne rechten Ringfinger aufgetaucht ist.“
„Geht klar.“
Korp war immer noch dabei, gedankenverloren auf den Hörer in seiner Hand zu starren, als Langer an seinen Schreibtisch zurückkam und durch das Tuten aufmerksam wurde.
„Sagen Sie mal, Herr Korp, was ist denn heute mit Ihnen los?“
Korp hörte es nicht und schrak auf, als Langer ungeduldig auf den Tisch klopfte.
„Menschenskind, Herr Korp, nun kommen Sie doch mal zu sich!“ Fast so etwas wie väterliche Sorge hatte sich in seine Stimme eingeschlichen. „Wir müssen nach Kronberg. Und am besten lassen Sie mich reden. Sie scheinen mir heute nicht in der Verfassung zu sein, Todesnachrichten zu überbringen.“
Aber wann ist man das schon, dachte er.
Cora Friedemann, die Mutter des kleinen Luca, schloss den Deckel des Laptops und lehnte sich in ihrem Schreibtischsessel zurück. Die Arme über dem Kopf gedehnt, schaute sie gedankenverloren aus dem Fenster und gähnte. Ein paar Kinder spielten schreiend in der Anlage, die den Uferweg von der Straße trennte. Ein weißes Ausflugsschiff glitt langsam und geräuschlos stadteinwärts über den Main. Vom Vorgarten schickte die Sonne ihre Strahlen direkt auf die Fensterbank und ließ die blutroten Geranien leuchten. Und nebenan schlief das Baby in seiner Wiege.
Das Leben war schön.
Auch ohne Tobias. Er hatte eine kurze SMS geschickt, dass er bei seinen Eltern in Hannover Zwischenstop machen würde und danach noch für ein paar Tage an die Nordsee weiterfahren wolle. Sollte er. Sie hatte nachzudenken.
Nachzudenken über die Fotos, die Sonja ihr geschickt hatte. Fotos mit Tobias und einer anderen Frau, versteckt auf einer Bank im Grüneburgpark in unzweideutiger Situation. Ein Foto, das keine sechs Monate alt war, denn er hatte das T-Shirt an, das sie ihm im März zum Geburtstag geschenkt hatte. Damals war sie im neunten Monat gewesen ...
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