„Wohin?“, fragte er wenig später, als sie sich in dem schon etwas älteren Opel Vectra anschnallten, den man ihnen gegeben hatte.
„Das war im Brentanopark … Moment.“ Langer fasste in seine rechte Jackentasche, fischte einen Zettel hervor, verwarf ihn wieder und kramte in der linken Tasche. Korp trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad und versuchte, ruhig zu bleiben.
„Hier.“ Langer war fündig geworden. „Brentanopark, direkt an der Nidda. Am südlichen Ende des Bades. Fahren Sie über die Thudichumstraße und dann links irgendwo rein.“
Es war wieder ein schöner Augusttag gew0rden, nicht mehr zu heiß – die leichte Ahnung des Herbstes, die man frühmorgens noch wahrgenommen hatte, war einer angenehmen sommerlichen Wärme gewichen, jedenfalls warm genug, um Menschenmassen ins Grüne zu locken. Korp lenkte den Wagen über den Alleenring Richtung Rödelheim und malte sich in düsteren Bildern aus, wie die vielen Spaziergänger des Parks und die Gäste des Brentanobads auf die Anwesenheit von Spurensicherung, Rechtsmedizin, Kriminalpolizei, Absperrband und weißen Overalls reagieren würden. Sicher fanden sie es spannend. Sicher würden sie wieder stören.
Das Brentanobad, nicht nur das größte Freibad der Stadt, sondern mit seinen zweihundertzwanzig Metern Länge auch das größte Beckenbad Deutschlands, war in den Neunzehnhundertzwanziger Jahren aus einem Altarm der Nidda entstanden. Die riesige Liegewiese mit dem alten Baumbestand scheint – obwohl durch einen Zaun von ihm getrennt – nahtlos in den benachbarten gleichnamigen Park überzugehen. Jenen Park übrigens, in dem Goethe unter dem mächtigen alten Ginkgo sein berühmtes Gedicht über diesen Baum geschrieben haben soll - eine Legende, an der die Frankfurter beharrlich festhalten.
Die Kollegen von der Kriminaltechnik und Dr. Eilers waren bereits vor Ort. Ebenfalls die erwartete Zuschauermenge, für die ein Kollege in Uniform abgestellt war, um sie außerhalb der Absperrung zu halten.
Korp parkte an einer Gaststätte in unmittelbarer Nähe des Flusses. Zusammen gingen sie über eine kleine Brücke ans andere Ufer hinüber, wo Büsche und Sträucher so dicht unter den alten Laubbäumen standen, dass die Kollegen, nach entsprechender Sicherung der Spuren, eine kleine Schneise durch das Unterholz hatten schlagen müssen, um zu der Leiche zu gelangen.
„Wer um Himmels Willen hat den denn da gefunden?“, brummte Langer in einem Ton, der deutlich machte, dass er es vorgezogen hätte, wenn der Tote nie entdeckt worden wäre.
Cem Özil, der Chef der KTU, deutete stumm auf eine junge Frau mit einem schneeweißen Labrador, die etwas abseits der Schaulustigen stand.
Langer nickte. „Der Klassiker.“ Er winkte Korp zu, der sich daraufhin langsam auf die junge Frau zubewegte, dann schaute er Özil fragend an: „Kann ich schon?“
Der nickte ebenfalls. Langer bückte sich ächzend und ging geduckt in die schmale Öffnung hinein.
Dr. Eilers blickte auf, als er ihn sah, und trat einen Schritt beiseite, musste aber gebeugt stehen bleiben, weil die Höhle nicht hoch genug war. Er gab den Blick frei auf einen menschlichen Körper, der auf dem Rücken lag, noch halb von fauligem Laub, Zweigen und Gestrüpp bedeckt. Die Leiche war vollkommen nackt.
„Männlich, etwa Mitte bis Ende Vierzig. Nach erster Einschätzung etwa zwölf bis dreizehn Stunden tot, also gestern Abend zwischen neun und zehn Uhr; Liegezeit hier etwa genauso lange. Todesursache war höchstwahrscheinlich dieser Messerstich“, Eilers bückte sich und zeigte auf eine schmale, offensichtlich tiefe Wunde im linken Brustkorb. „Direkt ins Herz. Sicherheit natürlich erst nach der Obduktion. Kampf- oder Abwehrspuren auf den ersten Blick keine.“
Es war ein gut aussehender Mann mit braunem, leicht welligem Haar und sportlich durchtrainiertem Körper.
„Mit der Identifizierung könnte es schwierig werden“, fuhr Eilers fort. „Keine Papiere, kein Ausweis, kein Handy, keine Schlüssel.“
„Das heißt, Ihr Hund war nicht angeleint hier im Park?“
Korp steckte seinen Ausweis wieder ein, den er der Zeugin kurz unter die Nase gehalten hatte, und versuchte, ein strenges Bullengesicht zu machen. Was ihm angesichts der kecken Endzwanzigerin, die brav darauf gewartet hatte, ihrer Bürgerpflicht nachzukommen, nicht recht gelingen wollte. Ihre langen, gebräunten Beine steckten in engen Shorts, das knappe Top ließ kaum Wünsche offen.
„Das müssen Sie mir erst mal beweisen, Herr Kommissar!“ Sie lachte ihm fröhlich ins Gesicht und warf mit einem gekonnten Schwung die langen blonden Haare über die Schulter. Der Fund einer Leiche beim morgendlichen Gassigehen im Park schien ihr nicht das Geringste ausgemacht zu haben.
„Na, hören Sie mal, wie sollte der Hund denn sonst da hinten ...“ Korp merkte, wie ihm allmählich wärmer wurde, was nicht nur an der steigenden Hitze des Vormittags lag. Er winkte ab. „Lassen wir das. Ihre Personalien, bitte.“
Die junge Frau verzog das Gesicht zu einer krampfhaft ernsthaften Miene, während ihr weiterhin der Schalk aus den Augen sprühte, stand still, legte kurz die Hand an eine imaginäre Uniformmütze und ratterte: „Jawoll, Herr Kommissar, zu Befehl. Helene Hohenstein, siebenundzwanzig Jahre alt, Studentin der Medizin, wohnhaft in Frankfurt-Rödelheim.“
Das erklärt zumindest, dass sie die Nerven nicht verloren hat, dachte Korp.
Sie machte eine Pause, doch nicht wegen Korps warnendem Blick, sondern um triumphierend hinzuzufügen: „Und das ist Edelgard van der Grooten, genannt Elsie, Herr Kommissar.“
Er schaute irritiert von seinen Notizen auf. Helene Hohenstein zeigte stumm neben sich. Er folgte ihrem Zeigefinger, der auf den Labrador wies, holte tief Luft – und gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, dass Zuchthunde tatsächlich solche merkwürdige Namen trugen, die auf ihren Stammbaum verwiesen. Trotzdem – dieses junge Luder sollte es nicht auf die Spitze treiben. Außerdem hätte er sein Jackett im Büro lassen oder wenigstens auf die Weste verzichten sollen …
Das junge Luder hatte inzwischen recht umständlich und auf wunderbare Weise eine Börse und ein Smartphone aus der engen Gesäßtasche hervorgezerrt – nie im Leben hätte Korp einen Cent darauf verwettet, dass dies im Bereich des Möglichen gelegen hätte, so knapp, wie der Stoff bemessen war. Aus der Börse zog sie ihren Personalausweis. Korp warf einen Blick darauf, nickte und gab ihn ihr wieder zurück.
„Soll ich jetzt erzählen, wie es war, Herr Komm...“
„Korp, Oberkommissar Korp“, fiel er ihr rasch ins Wort.
„... Herr Korp?“ Ihr Ton sagte: Na, geht doch!
„Ja, bitte, Frau Hohenstein.“
„Aaalso.“ Wieder warf Helene Hohenstein kokett ihre Haare zurück und zeigte in Richtung des schmiedeeisernen Tors am Eingang des Parks. „Wir kamen von da und gingen dann rechts durch den Rosengarten in einem Bogen auf die Nidda zu. Elsie war angeleint, wie immer.“ Sie sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. „In dem kleinen Gebüsch hier habe ich sie los gelassen, sie geht so gerne ins Wasser, Sie wissen doch – Labradore lieben Wasser über all...!“
„Weiter!“
„Also wirklich, Herr Korp. Lassen Sie mich doch mal … Na ja, jedenfalls ging sie dieses Mal nicht in den Fluss, sondern verschwand da im Unterholz. Ich hörte sie knurren, kam aber selber nicht rein. Ich duckte mich, konnte sehen, wie sie aufgeregt buddelte ...“
„Sie buddelte!? “
Genervt von seinen Unterbrechungen, verdrehte sie die Augen. „Na, was glauben Sie denn, was ein Hund macht, wenn er unter Erde und Laub etwas riecht, was ihn interessiert?“ Er fing sich einen spöttischen Blick ein, während er sich vorstellte, welche Spuren die Dame Edelgard van der Grooten wohl vernichtet haben könnte.
„Immer weiter ist sie in das Dickicht vorgedrungen; schließlich habe ich sie gar nicht mehr gesehen, Allerdings sah ich vor mir etwas Helles, Weißes liegen. Ein Bein war zu erkennen … Ich bin ziemlich erschrocken ...“
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