„Ehrwürdiger Vater, ich verstehe das nicht. Du willst mir also damit sagen, dass unsere Ahnen einer hochtechnologischen Zivilisation entstammen, deren Errungenschaften unsere Vorfahren bei der Ankunft in diesem Sonnensystem einfach so weggeworfen haben?“
„Nun, mein Sohn – das ist nur bedingt richtig. Unsere Vorfahren konnten ihre Fernraumschiffe nach der Landung auf SANTOR 5 nämlich nie wieder benutzen, weil deren Triebwerke nach dem langen Flug völlig ausgebrannt waren und es hier bei uns auf den Planeten des Santor-Systems keinen Treibstoff für deren Weiterbetrieb gab.
Daher haben unsere Vorfahren auch auf die Instandsetzung der Generationenschiffe verzichtet, von denen jeweils etwa die Hälfte hier bei uns und die andere Hälfte auf SANTOR 4 gelandet war. Diese Aufteilung hatte man übrigen schon vor dem Start festgelegt.
Der Grund dafür war, dass die Agrarier unter den Aussiedlern hierher nach SANTOR 5 wollten. Dieser Planet – das hatte man schon bei den ersten Umrundungen per Sensoraufklärung erkannt – verfügte nämlich auf seinen fünf Kontinenten mit den weiten Ebenen zwischen den Ozeanen und den bewaldeten Bergen über ausreichend landwirtschaftliche Nutzfläche. Genau dort war also Ackerbau und Viehzucht möglich, womit man die Versorgung aller Auswanderer sicherzustellen gedachte.
Jedoch brauchten die Siedler für ihre landwirtschaftlichen Produkte zusätzlich ja auch noch eine verarbeitende Industrie, um beide Planeten mit Waren des täglichen Bedarfs zu versorgen. Und deshalb landeten vor allem die Techniker und Ingenieure unter den Siedlern mit den übrigen Fernraumern auf dem heißeren Nachbarplaneten SANTOR 4, wo sich heutzutage die Regierungszentrale der verhassten STYXX-Insekten befindet.“
„Diese Arbeitsteilung setzte allerdings voraus, dass man Pendeltransporte zwischen unseren Planeten einrichten musste. Wie hat man das denn gemacht, wenn doch die großen Schiffe gar nicht mehr flugfähig waren?“, warf Marek-Than an dieser Stelle eine weitere Frage ein.
„Das stimmt, mein Sohn. Ich sehe, du denkst mit. Also, gib weiter acht,“ erwiderte Koro-Than, ehe er mit seinem Bericht fortfuhr.
Nun, die an Bord der Fernraumer mitgeführten sechzig Kurzstrecken-Shuttles blieben zunächst noch eine ganze Zeit lang nutzbar. Dies deshalb, weil man für die erste Zeit vorsorglich einen begrenzten Treibstoffvorrat für diese Beiboote an Bord der Fernraumer mitgenommen hatte.
Außerdem gelang es den technisch bewanderten Einwohnern auf SANTOR 4, die benötigten Antriebsstoffe in begrenztem Umfang aus Ressourcen unseres Nachbarplaneten zu raffinieren. Und genau deshalb konnte man die Shuttles noch etwas länger zum Warentransport einsetzen.
Weil unsere Vorfahren jedoch von Anfang an wussten, dass die Brennstoffvorräte letztlich nicht ewig reichen würden, hatten die Techniker auf SANTOR 4 eine geniale Idee. Sie entwickelten nämlich ausklappbare Sonnensegel, mit denen sie die kleinen Schiffe ausstatteten, um sie so auf den Pendelflügen zur Brennstoffeinsparung mit Sonnenenergie zu versorgen.
Wegen dieses findigen Umbaus der Transportshuttles benötigte man die konventionellen Triebwerke somit nur noch bei Start und Landung. Allerdings ging der Güterverkehr zwischen SANTOR 4 und SANTOR 5 hierdurch deutlich langsamer vonstatten. Doch das war letztlich unproblematisch. Denn die große Anzahl an Beibooten reichte – trotz der längeren Flugzeit – für die Versorgung der Menschen beider Planeten völlig aus.
Warum lief das alles in dieser Weise ab? Nun, unsere Ahnen sahen vor allem in der Technik des überlichtschnellen Raumflugs ein notwendiges Übel, das man nach dem erfolgreich beendeten Langstreckenflug zu überwinden gedachte.
Deshalb wrackten die ersten Santoraner ihre Transportschiffe auch schon bald nach ihrer Ankunft ab und fingen an, aus den so gewonnenen Teilen und mit den vor Ort verfügbaren Materialien, Wohnhäuser – und speziell auf SANTOR 4 zusätzlich noch kleinere Fertigungsanlagen zu bauen.
Unsere Vorfahren auf SANTOR 5 begannen hingegen ein einfaches Leben als Bauern und Viehzüchter zu führen. Dank des ganzjährig milden Klimas und des fruchtbaren Bodens legten sie rund um ihre damals aus Stein gebauten Ansiedlungen vor allem große und ertragreiche Obst-, Gemüse- und Getreideplantagen an.
Außerdem bauten sie Stallungen für ihr Nutzvieh und ließen die mitgeführten Tiere auf den zahlreich vorhandenen üppigen Grasflächen weiden.
Wobei sie mehr und mehr auf technische Hilfsmittel verzichteten. Letztlich entsprach das ja auch ihrer Lebensphilosophie – zu der sie auf einem unberührten und für Menschen sehr angenehmen Planeten endlich die einzigartige Chance bekommen hatten.“
„Der Preisgabe technischer Annehmlichkeiten ist doch schon seit Jahrtausenden ein grundlegender Bestandteil unserer Lebensphilosophie, Vater. War es aber mit Blick auf die Invasion der STYXX vielleicht doch falsch, so rigoros auf technische Errungenschaften zu verzichten?“
„Nein, Marek. Ich glaube fest daran, dass unsere Ahnen Recht hatten, sich von der Technologiewut und den daraus resultierenden Vernichtungskriegen im Laro-System abzuwenden. Nur haben wir Santoraner es in der Nachschau damit in früheren Zeiten eindeutig zu weit getrieben. Aber lass mich jetzt weiter berichten.
Das, was ich dir für heute noch mitteilen will, dauert sicher noch eine Weile. Aber dennoch sollten wir nicht mehr zu lange diskutieren. Morgen ist schließlich auch noch eine Nacht, in der wir miteinander reden müssen. Die zwei Monde unseres Planeten sind ja schon aufgegangen. Und eigentlich müssten wir Menschen ja spätestens zu diesem Zeitpunkt im Bett liegen – ein STYXX-Befehl, dem wir jedoch heute Nacht nicht folgen werden.
Ich sagte ja bereits, dass mich mein schon lange verstorbener Vater als Vorsitzender des Ältestenrats schon in jungen Jahren dazu bestimmt hat, das überlieferte Wissen unserer Gemeinschaft auswendig zu lernen, um es später an meine Kinder weitergeben zu können. Das ist jedoch für heute viel zu viel Stoff und deshalb werden wir uns morgen Abend noch einmal zusammensetzen müssen.“
Nach diesen Worten machte der alt und kränklich wirkende Plantagenvorarbeiter eine kurze Pause, ehe er mit Blick auf seinen gespannt lauschenden Sohn fortfuhr:
Nun, ganz ohne Technik zu leben bedeutet zugleich, etwaigen Feinden gegenüber schutzlos ausgeliefert zu sein. Das habe ich ja eben bereits angedeutet. Denn es war gerade die überlegene Technik unserer Sklavenhalter, die vor etwa 10.000 Jahren zur völligen Unterwerfung unseres Volks führte und der wir nichts entgegenzusetzen hatten.
Was du darüber hinaus noch unbedingt wissen musst, betrifft eine Entdeckung, die unsere Vorfahren schon geraume Zeit vor der Invasion der STYXX bei der Suche nach Rohstoffen in den Bergen unseres Planeten machte.
Es handelt sich dabei um eine technische Einrichtung, die eine Gruppe unserer Prospektoren in einer pyramidenförmigen Berghöhle fand.
Diese torförmige, an einen Energieerzeuger angeschlossene Metallkonstruktion sowie die in der Höhle angebrachte Bilderschrift deuten darauf hin, dass in früheren Zeiten, also weit vor unserer Besiedelung, speziell auf SANTOR 5 schon einmal humanoide Wesen gelebt haben.
Wer sie waren und zu welchem Volk sie gehörten, ist jedoch unbekannt. Und da unsere Vorfahren den Zweck der Anlage nicht enträtseln konnten, verschlossen sie die Berghöhle mit Gesteinsbrocken und erklärten das gesamte Gebiet zur Tabuzone, die man anschließend nie wieder betrat.“
Damit beendete Koro-Than in dieser Nacht den ersten Teil seiner aufwühlenden Erzählung, wobei er seinen Sohn Marek zugleich bat, ihm am folgenden Abend zur Fortsetzung seines Berichts erneut zur Verfügung zu stehen.
Marek-Than lag in dieser Nacht noch lange wach und diskutierte das Gehörte mit seiner Schwester Amanda.
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