„Ihren Gegenüber müssten Sie auf jeden Fall kennen: Der Generalstabschef der Army, Georg C. Marshall und, wie ich aus gut unterrichteten Schmierfink-Kreisen bei Time Life gehört habe, einer der hoffungsvollsten Anwärter auf den Titel Mann des Jahres .“ Cyrus hörte einen leicht ironischen Unterton bei Stimson heraus.
„Sie sind bloß eifersüchtig, Henry“, brummte der Generalstabschef und musterte dabei Cyrus mit der gleichen offenen Neugier, wie zuvor Stimson.
„So wird es sein!“, stellte der Kriegsminister mit einem Schmunzeln fest und wandte sich dem vierten Mann zu, der neben Marshall saß und von allen der Jüngste war. Er machte einen massiven, kräftigen Eindruck und blickte mit starrer Miene zu Cyrus herüber.
„Und zu guter Letzt der wohl wichtigste Mann für das Thema, welches uns hier zusammengeführt hat: Brigade General Leslie R. Groves. Ich hoffe, das R. steht nicht für Ruben, Leslie? Ich hatte einen grässlichen Cousin, der Ruben hieß.“
„Nein Mr. Secretary. R steht für Richard. Der Name meines Großvaters.“, antwortete Groves, ohne etwas von seiner Reserviertheit abzulegen.
Stimson wandte sich lächelnd Cyrus zu.
„Nun, Lieutenant, da sie jetzt alle Anwesenden kennen, fragen Sie sich sicher, was das alles hier zu bedeuteten hat. Zu Beginn möchte ich noch betonen, daß dieses Gespräch natürlich der höchsten Geheimhaltungsstufe unterliegt. Top Secret A1!“
Der Verteidigungsminister blickte Cyrus fest in die Augen und seine dunklen Brauen hoben sich, als hätte er eine Frage gestellt. Dann fuhr er fort, und seine Stimme wurde fast zu einem Flüstern. „Lieutenant, haben sie schon mal etwas von einem Manhatten-Projekt gehört?“
Cyrus überlegte kurz, blickte unsicher in die Runde und antwortete:
„Nein Sir! Ein Projekt diesen Namens ist mir nicht bekannt.“
„Ein Zeichen, dass die Geheimhaltung funktioniert, General Groves“, rief Stimson gut gelaunt und blickte auf Groves, dessen Kopf kurz zustimmend nickte.
„Das Manhatten-Projekt ist von uns initiiert worden, um, sagen wir, besonderen Bedrohungen von Seiten Hitler-Deutschlands entgegenzutreten. General Groves hier ist der leitende General des Projektes.“
Cyrus bedachte Groves mit einem kurzen Seitenblick. Der General musterte ihn immer noch, aber er wirkte etwas entspannter.
„Dieses Projekt ...“, fuhr Stimson fort, „... seine Arbeit ist von entscheidender Bedeutung für den Verlauf des Krieges in Europa und im pazifischen Raum. Es soll uns vor üblen Überraschungen schützen. Überraschungen der wirklich gefährlichen Art“, Stimson hielt kurz inne.
„Darf ich fragen, um was es sich dabei genau handelt?“, fragte Cyrus unsicher. Anstelle Stimsons antwortete Groves.
„Nein, jedenfalls nicht im Detail. Sagen wir, dass wir alle Aktivitäten der Achsenmächte überprüfen, die von unseren anderen Geheimdiensten nicht eingeordnet werden können. Die landen dann bei uns.“ Sein Blick schwenkte herüber zu Stimson.
Cyrus war unversehens unwohl zu Mute. Er kam sich vor wie ein Schuljunge, der etwas ausgefressen hatte und nun vom Rektor verhört wurde.
„Wir würden stattdessen gerne etwas von Ihnen hören, Mr. Cyrus“, fragte Stimson in die Stille hinein.
„Ich denke, da der Verteidigungsminister sie alle hier im Raum vorstellt hat, mich aber nicht, werden sie alle meine Akte gelesen haben und genau wissen, womit ich in der letzten Zeit beschäftigt war.“
„Oh, das wissen wir“, schaltete sich Marshall ein und hielt dabei einen braunen Aktendeckel hoch, „wir wissen Ihre Arbeit auf dem Kontinent wirklich zu schätzen. Großartige Arbeit. Sie haben bewiesen, dass Sie Nerven haben. Insgesamt vier Einsätze über mehrere Monate. Und die Nazis haben Sie nicht geschnappt. Meine Hochachtung. Daher haben wir Sie auch ausgewählt, über Nazi-Deutschland abzuspringen!“
Cyrus erschrak unmerklich. Daher also wehte der Wind.
„Ihre militärische Reputation steht zwar außer Zweifel,“ Groves übernahm wieder das Wort, „aber wie sieht es mit Ihrer politischen Einstellung aus? Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Italiener. Sie sind ja eigentlich nur ein halber Amerikaner.“
Cyrus war irritiert. Er hatte sich sofort nach Kriegsbeginn freiwillig gemeldet um zu zeigen, dass er loyal zu Amerika stand und nicht mit dem Deutschen Reich sympathisierte. Seit dem Überfall auf die Tschechei war man deutschstämmigen Amerikanern gegenüber äußerst reserviert. Die meisten verheimlichten es so gut es ging.
Er schaute Groves an und erkannte dessen steinernes Gesicht. „Ich denke, ich habe durch meine Einsätze hinlänglich bewiesen, dass ich keine Probleme habe, Deutschland, das Land meiner Mutter, zu bekämpfen wenn mein amerikanisches Vaterland es verlangt. Sir!“
Dr. Bush schaltete sich mit einer Bemerkung ein. „Lieutenant Franko, nehmen Sie es nicht persönlich, General Groves ist sich nicht sicher, ob Sie nicht zu germanophil sind. Der General hält nationale Herkunft für fest im Gehirn eines jeden Menschen implementiert. Kommt dieser Mensch dann in eine nationale Gefahrenzone wie der deutschen, wird er wieder das, was er sowieso zur Hälfte von Geburt an war. In Ihrem Fall zum Deutschen oder im günstigsten Falle zum Sympathisanten. Habe ich Ihre Befürchtungen richtig wiedergegeben, General Groves?“, fragte Bush, lehnte sich zurück und schob sich die Pfeife mit einem leichten ironischen Lächeln in den Mundwinkel.
Cyrus verzog keine Mine, merkte aber, dass Dr. Bush ein unsichtbares Ventil in ihm geöffnet hatte. Seine Verärgerung wich. Betont sachlich sprach er in Richtung Groves. „Wenn General Groves Probleme hat, mich für einen Auftrag nach Deutschland zu schicken, soll er es halt lassen. Ich für meinen Teil fühle mich als Amerikaner und nicht als Deutscher. Nicht, nach dem was ich in Italien und Frankreich getan, gesehen und gehört habe.“
Groves ließ sich nicht beirren.
„Sie haben bis zu Ihrer Meldung als Freiwilliger dem deutschen Debattierklub in der University of Chicago angehört! Sie haben Deutschland in diesen Debatten vehement verteidigt. Hitler sei nur eine Verirrung, Deutschland würde seinen Irrtum einsehen, es sei nur eine Episode, usw.“
„Ich habe mich geirrt!“
„Viele Ihrer Kommilitonen sind nach Spanien gegangen, haben gegen den Faschismus gekämpft und sind dort gefallen. Warum nicht Sie?“
„Ich war nicht ihrer Meinung. Ich war auf Seiten Deutschlands. Wie übrigens viele meiner Kommilitonen. Ich bin kein Sozialist. Haben Sie denn in Spanien gekämpft, General?“
Cyrus wurde das Verhör durch Groves zu dumm, aber er beherrschte sich. Zu oft hatte er Leute in der Army kennen gelernt, die ihm mangelnden Patriotismus vorgeworfen und misstrauisch beäugt hatten. Er sprach zu gut Deutsch, das musste doch mit einer Liebe zu diesem brauen Drecksland einhergehen. „Hören sie, General! Ich habe auch mit Ihren echten, reinen Amerikanern, mit den White Anglos Saxon Protestants , die ebenfalls im Debattierklub waren, die Reden von Hitler, Goebbels und Görings im Radio gehört. Irgendwann waren wir alle empört. Auch ich. Falls das nicht in Ihrem Bericht steht. Zuerst ging es nur darum, die Deutschen von den Lasten des Versailler Vertrages zu befreien. Deutschland wieder zu einem vollwertigen Mitglied der Völkergemeinschaft zu machen. Aber dann zeigte Hitler sein wahres Gesicht. Ich bin nun mal Germanist. Deutschland fasziniert mich. Hat es immer. Seine Geschichte, seine Ideen, seine Denker. Die Leidenschaften. Deshalb bekämpfe ich all das, was Deutschland nicht ist. Und deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet und das obwohl ich, Ihrer Meinung nach nur ein halber Amerikaner bin.“
Cyrus verschwieg seine tiefe Enttäuschung über den Fall Deutschlands in die Barbarei, die ein wesentlicher Grund für seine Entscheidung war, den Spezialtruppen des OSS beizutreten. Es war das Gefühl, hinter einem schönen Mädchengesicht einen hässlichen Charakter entdeckt zu haben. Das hatte ihn maßlos erschreckt und enttäuscht.
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