Verteidigungsminister Stimson schaltete sich ein. „General Groves. Wir wissen alle, dass es keinen Grund gibt, Lieutenant Franko zu misstrauen. Er dient seit zweieinhalb Jahren in der Armee, ist 'zig Mal überprüft worden und hat bisher ohne irgendwelche Beanstandungen gefährliche Aufträge für uns ausgeführt.“ Stimson wandte sich an die Runde. „Aber ich verstehe auch die Bedenken des Generals. Auf seinen Schultern liegt eine große Last. Dennoch dürfen wir nicht anfangen, uns in jeder Hinsicht zu misstrauen. Die Qualifikation von Lieutenant Franko standen und stehen für mich außer Zweifel. Zumal wir nicht solch' große Auswahl haben, wie General Groves vielleicht denkt.“
Stimson wandte sich an Cyrus. „Lieutenant! Wären Sie bereit, einen Auftrag anzunehmen, der Sie zweifelsohne in Lebensgefahr bringen wird?“
Cyrus blickte in die Runde und blieb an Groves missmutigem Blick hängen. „Sicher, Sir. Dafür habe ich mich gemeldet.“
„Gut“, antwortete Stimson erfreut und schaute auf seine Uhr, „dann sollten wir unverzüglich beginnen. General Groves! Bitte!“
Der General erhob sich übellaunig und stellte sich an das leere Ende des Konferenztisches. Er räusperte sich kurz, dann begann er:
„Am 21. Juli, in den frühen Morgenstunden, ist an der Ostküste Englands ein Flugzeug abgeschossen worden. Leider Gottes muss man sagen. Denn das Radar hatte es als ein allein fliegendes Objekt identifiziert und es für eine V1 gehalten. Also haben sie es runter geholt. Es war natürlich keine Flugbombe, sondern ein Vorkriegsprivatflugzeug, das die Deutschen heute wohl nur noch als Kuriermaschine für besondere Befehle benutzen. Geflogen wurde dieses Ding, und das ist in der Tat seltsam, von einer jungen Frau. Die Nazis wollen ihre Frauen lieber an den Kochtöpfen und nicht in der Luft sehen. Es gibt eigentlich nur ein paar Pilotinnen in sogenannten Überführungsgeschwadern und einige, mit denen sie angeben. Wie dem auch sei, die junge Frau war tot. Hatte sich bei der Bruchlandung auf einem Acker das Genick gebrochen.
Sie hatte nichts dabei. Keine Papiere, keine Tasche mit Unterlagen. Nur ein Namensschildchen in ihrer Fliegerkombination, die ihr viel zu groß war, und deshalb wohl nicht ihr gehörte. Dann noch eine kleine Bleischachtel, in der ein gelblicher Steinbrocken steckte. Alles seltsam, aber anscheinend für unsere britischen Verbündeten kein Grund, vom herkömmlichen Verfahrensweg abzuweichen.“
Groves schüttelte ungläubig den Kopf, machte eine Pause und räusperte sich. Dann fuhr er sich mit der Zunge über die Oberlippe. Er wirkte verunsichert, und eine kleine Antenne in Cyrus Kopf fühlte, dass Groves nicht ganz die Wahrheit sagte.
„Die Schachtel lag also ein paar Wochen in einer MI5-Filiale in einem Schrank. Der MI5 glaubte, dass die junge Frau eine geflüchtete Jüdin aus Holland oder sonst wo her gewesen sein musste und ließ die Sache auf sich beruhen. Irgendein junger Inspektor vom MI5 aber interessierte sich für die Schachtel und dessen Inhalt und ließ sie bei Marcus Oliphant und den Burschen von Tube Alloys in Birmingham untersuchen.
„Tube Alloys?“, fragte Cyrus
„Oh, das sind unsere englischen Vettern in diesem Projekt. Sie arbeiten eng mit uns zusammen.“
Cyrus nickte.
„Was dabei herauskam, machte den Briten ziemlich Feuer unter dem Hintern. Es handelte sich um einen Brocken Urangestein.
Wir wissen, dass die Deutschen Uranminen haben. In Belgien, in der Tschechei, Ungarn, vielleicht hatten sie auch in den eroberten Gebieten der Roten welche. Aber die Art des Urans, die das Mädchen mit sich führte, ist ... gelinde gesagt eine kleine Sensation. Es handelt sich ...“
Dr. Bush unterbrach in rüde. „General, vielleicht ist es an der Zeit, dem Lieutenant doch ein paar Details zu erklären. Sonst wird er unsere Sorge über den Fund nicht nachfühlen können. Sie zäumen das Pferd ja von hinten auf.“
Groves stierte böse auf den Berater des Präsidenten, schluckte kurz und wandte sich wieder Cyrus zu. „Wissen Sie, was ein Atom ist, Lieutenant?“
„Natürlich! Das kleinste uns bekannte Teilchen in der Natur“, sagte Cyrus kurz.
„Richtig, und wie wir dachten, nicht spaltbar. Unveränderlich. Haben wir bis '38 auch fest geglaubt, aber dann kam dieser beunruhigende Aufsatz aus Deutschland. Von Hahn und Straßmann. Darin beschrieben sie, dass Uran in Barium umgewandelt werden kann. Bevor wir das hier in den Staaten verstanden, setzten sich in Schweden zwei Physiker, Robert Frisch und seine Tante Lise Meitner, eine ehemalige Mitarbeiterin von Hahn, zusammen und versuchten den Aufsatz zu verstehen. Frisch hat es mir selbst erzählt. Sie gingen also in einen Wald, setzten sich auf einen Baum und malten zwei Zeichnungen. Jeder so, wie er den Aufsatz verstand. Dann tauschten sie ihre Zeichnungen untereinander aus und verstanden sie nicht. Bis sie erkannten, dass sie das Gleiche gezeichnet hatten, nur aus zwei unterschiedlichen Blickrichtungen. Als sie das verstanden hatten, sahen sie ein Uran-Atom! Gespalten. Drei Tage später gaben sie dem Kind einen Namen. Fission = Spaltung. Bis Mitte Januar hatte jeder ernst zunehmende Physiker begriffen, was das bedeutete.
Ein paar Leute sahen ziemlich schnell, dass man dieses Wissen auf zweierlei Art nützen kann, denn eine Fission setzt enorme Energien frei. Möglichkeit A: Man kann damit Atommaschinen bauen, die praktisch über Jahre laufen. Möglichkeit B: Man kann damit eine Bombe bauen, die die herkömmliche Zerstörungskraft des bekannten Sprengstoffs etwa um den Faktor tausend überbietet. Und das ist, wie sie wahrscheinlich als Sprengstoffspezialist wissen, eine ganze Menge.“
Groves griff nach einer kleinen Flasche Wasser, die auf dem Tisch stand und trank daraus mit kräftigen Zügen. Dann fuhr er fort.
„Die praktische Umsetzung ist natürlich mit enormen Problemen behaftet. Vor allem die Separation des Urans zur Herstellung eines bombenfähigen Stoffes. Unsere Regierung hat sich daher auch dagegen ausgesprochen, solch eine Forschung zu finanzieren. Zu kompliziert, zu langwierig. Wir kriegen die Deutschen und Japaner auch so klein.
Bis jetzt hatten wir darüber hinaus keine Informationen, dass die Fritzen tatsächlich an so einem Ding basteln. Sie haben sich recht ruhig verhalten. Keine Überläufer, die uns was erzählt hätten, keine auffälligen Versuchsanlagen, keine Berichte von Testexplosionen, nichts, was man aus der Luft fotografieren könnte. Wir waren schon dabei, unsere Vermutungen hinsichtlich ihres tatsächlichen Wissensstandes zu korrigieren. Und da taucht plötzlich dieses Flugzeug auf. Mit einer kleinen Rothaarigen und einer Bleischachtel Uran. Und jetzt brennt die Hölle.“
Der General schaute entgeistert in die Luft und rang seine Hände. Cyrus nutzte die dadurch entstehende Pause und warf eine Frage ein. „Da es, so denke ich, Rothaarige auch in Deutschland in größeren Mengen gibt, ist die Bleischachtel mit Urangestein anscheinend das Problem. Das verstehe ich doch richtig?“
„Oh ja, verdammt noch mal. Ja!“ Groves haute mit der Hand auf den Tisch. „Dieses Urangestein hat eine ganz andere Zusammensetzung, als das uns bekannte. Es hat bereits einen Anreicherungsgrat von fast 15 Prozent anstelle der normalen O,7. Das heißt, die Deutschen könnten mit sehr viel weniger Aufwand zum Ziel kommen, eine solche Bombe zu bauen. Das ist beängstigend.“
„Hatte das Mädchen außer dem Brocken noch etwas bei sich?“, fragte Cyrus.
„Nein, das Cockpit hatte Feuer gefangen und dabei müssen eventuelle Unterlagen zerstört worden sein. Wir haben nur den Stein. Sonst nichts“, erwiderte Groves kurz. „Und einen Namen!“
„Welcher Name?
„Ein gewisser Leutnant Grewe. Namensschild an der Fliegerkombination der Toten. Aber das kann Zufall sein.“
„Sehr beängstigend“, wiederholte Army Chief Marshall noch einmal und stierte an Cyrus vorbei zum Fenster hinaus, während er hinzufügte: „Gerade jetzt, da wir in Frankreich gelandet sind und der Krieg Weihnachten vorüber sein kann, können wir uns keine Überraschungen mehr erlauben. Wir müssen wissen, was da drüben hinter dem Rhein los ist. Wie weit die Nazis mit diesen ... Atom-Forschungen sind.“
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