Eddie schluckte. Sein Vater sah ihn mit warmem Blick an und legte ihm die Hand auf die Schulter. Im Auto sagte Horschell etwas in sein Handy, das so klang wie: „Francis Sohn Peter ist von zwei Zytterianern entführt worden, leitet sofort eine Suchaktion ein!“
Ja, das war das wirklich erschreckende an der Sache. Nicht, dass es Monster oder Außerirdische gab. Sondern, dass sein Vater offensichtlich darüber Bescheid wusste. Dass er diese Außerirdischen kannte.
Und sein Geschäftsfreund auch. Der hatte sogar gerade eine Suchmeldung durchgegeben. Aber an wen? Wem gab man eine Suchmeldung nach zwei Aliens und einem entführten Bruder durch? Der Polizei? Sicher nicht. Also mit wem sprach Horschell die ganze Zeit?
Was, wenn diese violetten Wesen nicht die einzigen Außerirdischen auf der Erde waren? Was, wenn es noch andere gab? Und wieso kannte sein Vater die? Im Fernsehen wurde nie davon gesprochen, dass es welche gab. Da wurden Leute, die ihnen angeblich begegnet waren immer als Verrückte dargestellt. War sein Vater verrückt? Und Horschell auch?
Oder sagte man ihnen nicht alles? Hatten die ganzen Verschwörungstheoretiker vielleicht am Ende doch Recht? Hatte es bereits einen Kontakt mit Außerirdischen gegeben? Und wenn ja, warum wusste dann sein Vater davon? Gehörte er vielleicht einer Gruppe von Leuten an, die Kontakt mit Außerirdischen hatte? Kannte er sich deshalb so gut mit diesen Aliens aus? Oder gab es einen anderen Grund dafür?
Als Eddie diesen Gedanken weiter verfolgte, stockte ihm plötzlich der Atem. Er bekam Angst. Große Angst. Nicht so sehr vor dem, was ihm möglicherweise passieren würde. Nicht davor, genau wie sein Bruder entführt zu werden. Sondern davor, was all dies möglicherweise bedeuten konnte.
Was war, wenn es einen guten Grund dafür gab, dass sein Vater sich so gut mit diesen Dingen auskannte. Was, wenn er nicht nur beruflich mit Außerirdischen zu tun hatte? Was... wenn er selbst einer war?
„Wir sollten ihn in Sicherheit bringen.“ Horschell deutete auf Eddie.
Eddies Vater nickte.
„Ja, du hast recht“, sagte er und sah seinen Sohn an. „Ich bringe dich nach Hause, Eddie. Bis wir wissen, was hier eigentlich los ist.“
Aber das war doch genau die Frage. Was war hier eigentlich los?
„Warum haben die Peter entführt?“ fragte Eddie, während sein Vater ihm die hintere Tür des Autos öffnete.
„Ich weiß es nicht.“
„Was sind das für Leute?“
„Böse Leute!“
Eddie blieb stehen. Er stieg nicht ein und sah stattdessen seinen Vater an.
„Was wollen die von uns?“
Francis Toast schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht, Eddie. Wirklich nicht.“
„Hat es etwas mit dem zu tun, was du tust?“ wollte Eddie wissen, der sich noch immer weigerte, ins Auto zu steigen, bevor er nicht alle seine Fragen beantwortet hatte.
Sein Vater schluckte. „Möglicherweise“, sagte er nach einem Moment.
Das brachte Eddie zu der wirklich wichtigen Frage.
„Und was tust du?“
Eddie war schon immer misstrauisch gewesen. Niemand wusste genau, woran es lag, aber er war ein grüblerischer kleiner Bursche, der selten etwas so hinnahm, wie es zu sein schien. Seine Mutter fand, er mache sich zu viele Gedanken. Immer musste er die Dinge hinterfragen. Außer, wenn man ihn überforderte. Zum Beispiel, indem man ihn erschreckte. Wenn man ihn mit einer Situation konfrontierte, die er spontan nicht verarbeiten konnte. Vielleicht war das der Grund, warum sein Vater so oft versuchte, ihm Streiche zu spielen. Um ihn davon abzubringen, ständig nur nachzudenken. Um ihn dazu zu bringen, etwas mehr wie das Kind zu sein das er war.
Jetzt saß Eddie am Küchentisch, sein Bruder war von Außerirdischen entführt worden und sein Vater schien wohl auch nicht das zu sein, was er immer vorgegeben hatte.
Horschell stand an der offenen Tür und warf einen Blick auf die Straße. Er musterte jede Person und jedes Auto, die die Straße herunterkamen sehr genau. Dabei hatte er die ganze Zeit sein komisches Handy am Ohr und sprach hinein. Das war nicht gerade etwas, das Eddie beruhigte.
Eddies Mutter machte ihm einen Kakao, während sein Vater in ein Handy sprach. Er sprach in einer Sprache, die Eddie noch nie gehört hatte. Und die irgendwie merkwürdig klang. Auch das beruhigte Eddie nicht gerade.
„Sokk tol war da’nut“, sagte sein Vater und klappte das Handy zu. Falls es denn ein Handy war. Heute waren für Eddie schon mehrere Weltbilder zusammengebrochen, also warum nicht auch dieses?
Francis Toast sah seine Frau an.
„Und?“ fragte sie. Sie wollte wissen, was los war. Genau wie Eddie. Nur schien sie mehr zu wissen als er.
„Sie wissen noch nichts. Die haben sich noch nicht gemeldet!“
Aha , dachte Eddie. Das waren ja schon mal ein paar Puzzlesteine mehr. Leider keine, die er wirklich gebrauchen konnte. Was er wusste war nicht mal ein Bruchteil von dem was er nicht wusste. Er hatte genug Filme gesehen, um sich ein wenig zusammenzureimen. Irgend jemandschien noch nichts zu wissen. Das waren wohl die, die mit seinem Vater zusammenarbeiteten. Mit etwas Glück waren das die Guten! Und „die“, die sich nicht gemeldet hatten, waren dann wohl die Entführer, denn es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sich Entführer meldeten. Um ihre Forderungen zu stellen, um ein vollgetanktes Flugzeug zu verlangen und all sowas. Eddie hoffte, dass „die“ die Bösen waren. Aber sicher sein konnte er da nicht mehr.
„Was tun wir jetzt?“ fragte Eddies Mutter. „Was werden die mit Peter machen?“
„Ich weiß es nicht. Ich glaube... ich glaube, sie wollen ihn für Verhandlungen einsetzen.“ Eddies Vater kratzte sich am Kinn. „Sie wollen mich damit unter Druck setzen. Damit sie ihren Willen bekommen. Wir können nur warten, bis sie sich melden.“
Da waren neue Informationen. Leider halfen sie ihm auch nicht weiter. „Die“ verhandelten scheinbar mit seinem Vater. Aber über was? Und warum? Und scheinbar wollten sie sich einen Vorteil verschaffen. Indem sie seinen Sohn als Geisel nahmen. So dass sein Vater offener für die Vorschläge von „denen“ war. Blieb die Frage: Wer waren „die“ und mit was für Verhandlungen hatte sein Vater zu tun?
Eddies Mutter sah aus dem Fenster. Sie schien Angst zu haben. Bei jedem Wagen der vorbeifuhr zuckte sie zusammen. Eddie hatte sie noch nie so erlebt.
„Sind wir hier sicher?“ fragte sie.
„Ich weiß es nicht, Carol“, sagte sein Vater. „Aber wir können hier nicht bleiben.“
Carol Toast deutete auf ihren Sohn Eddie.
„Was ist mit ihm?“
„Ich glaube nicht, dass er in Gefahr ist. Sie hatten die Möglichkeit, auch ihn zu entführen. Sie haben es nicht getan. Ich glaube, sie meinen, eine Geisel reicht ihnen um mich zu beeinflussen.“
Eddies Mutter nickte. Das machte Sinn. Das machte es sogar für Eddie. Es sei denn... es sei denn, „die“ hatten ihn nicht mitgenommen, damit er seinem Vater von der Entführung berichten konnte. Damit er ein Zeuge war und sein Vater möglichst schnell eingeschüchtert war, noch bevor die ersten Forderungen gestellt wurden.
„Wir werden zum Großen Rat müssen“, seufzte Francis Toast. „Hier können wir nichts ausrichten.“
Eddies Mutter nickte zustimmend.
„Ich werde gleich packen.“
Sie wollte die Küche verlassen, blieb dann aber stehen und sah ihren Sohn an.
„Und was ist mit Eddie?“
Francis Toast schüttelte den Kopf.
„Es besteht keine Gefahr für ihn, wenn er hier bleibt. Ich habe mich schon um alles gekümmert. Sie schicken jemanden, um auf ihn aufzupa... sie schicken einen Babysitter!“
Na toll. Ein Babysitter. Für wie alt hielten sie ihn eigentlich? Und wenn für ihn keine Gefahr bestand, wieso brauchten sie dann jemanden, der auf ihn aufpasste? Warum durfte er nicht einfach mitkommen? Und... wohin wollten sie überhaupt?
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