„...heißt das noch lange nicht, dass ich mir von jedem Erwachsenen“, er sah seinen Vater an, „oder Leuten, die nur das machen, weil es mein Vater auch macht“, Eddies Blick streifte Horschell nur ganz am Rande, aber es war dem Mann besonders unangenehm, „auf der Nase herumtrampeln lassen muss, oder?“ Er sah Horschell direkt in die Augen. „ Oder?“
Horschell schüttelte nervös den Kopf.
Eddie seufzte. Ja, er musste es ja zugeben, er war darauf hereingefallen. Er hatte sich selbst zum Narren machen lassen. Er hatte geglaubt, Aliens hätten seine Familie aufgefressen. Oder irgendetwas in der Art. Ja, er hatte es sich ja selbst zuzuschreiben. Wenn man ihn an der Nase herumgeführt hatte mit etwas so völlig unsinnigem, dann war er ja selbst schuld.
„Okay“, meinte er also deshalb, „ich bin ja schon schön blöd, wenn ich diesen Alien-Quatsch geglaubt habe, aber einmalhätte doch wohl gereicht, oder.“ Er sah seinen Vater an. „Ich meine, mich nicht zu wecken und die Sache in der Küche und so, das war ja ganz okay. Aber denselben Gag noch mal zu machen und Peter zu entführen, das reizt den Scherz doch ein bisschen zu sehr aus.“
„Was?“ Eddies Vater wurde ernst.
Eddie schüttelte den Kopf.
„Was soll das sein? Überraschung? ‚Oh, unser Sohn wurde entführt?‘ Ja, von Außerirdischen. Selber Scherz, zweite Anwendung. Nicht witzig!“
Eddies Vater stieg aus dem Wagen. Er sah nicht mehr so aus, als wäre ihm nach scherzen zumute. Horschell ging es ebenso. Er griff nach einem kleinen Gerät in seiner Jacke, sowas wie ein Handy.
„Peter ist entführt worden?“ Eddies Vater schüttelte den Kopf. „Das waren wir nicht. Das ist kein Scherz. Das hat nichts mit dem Streich zu tun, den ich dir heute Morgen gespielt habe. Erzähl mir ganz genau, was passiert ist.“
Eddie erzählte es ihm. Von den zwei Männern in Anzügen, die auch Alien-Masken getragen hatten, die aus dem Auto gesprungen waren und seinen Bruder mitgenommen hatten, kurz bevor sein Vater mit seinem Geschäftsfreund neben ihm anhielt. Horschell tuschelte derweil etwas in sein Handy hinein.
Eddies Vater ging in die Hocke, so dass er auf gleicher Augenhöhe mit seinem Sohn war.
„Wie haben die beiden Leute ausgesehen, die Peter ins Auto gezerrt haben?“ fragte er.
Eddie seufzte. Das hatte er doch schon mal erzählt.
„Sie hatten Anzüge an. Genau wie ihr. Und ich dachte auch erst, es wärt ihr beide. Aber sie hatten die falschen Anzüge an. Über die Gesichter kann ich euch nichts sagen, weil sie ja diese blöden Alien-Masken aufhatten.“
Eddies Vater nickte.
„Ja“, murmelte er. „Erzähl mir... erzähl mir bitte ganz genau... Wie haben diese Aliens ausgesehen?“
Eddie musste einen Augenblick nachdenken. „Also“, begann er, nachdem er sich ein paar Mal am Kinn gekratzt hatte. Im Wagen sprach Horschell noch immer aufgeregt auf sein Handy ein. „Diese Typen waren groß. So groß wie du. Und sie trugen Anzüge. Irgendwie billige Anzüge. Als würden sie ihnen nicht richtig passen.“
„Ja“, sein Vater nickte. „Und die Gesichter? Wie haben die Gesichter ausgehen?“
„Ich hab doch schon gesagt, dass es Masken waren...“
„Ja“, Vater nickte, „die Masken. Wie haben die ausgesehen? Bitte, ganz genau!“
Horschell verstummte im Auto. Er sah Eddie aufmerksam an, genau so wie sein Vater.
„Die waren... die waren... violett. Ja, sie hatten violette Masken auf.“ Und Handschuhe an, fiel ihm jetzt ein. Er hatte es gesehen, als sie seinen Bruder gegriffen hatten. Ihre Hände waren auch violett gewesen. „Sie hatten violette Masken und violette Handschuhe an.“
„Und die Masken? Beschreibe die Masken!“
„Die... die...“ Eddie dachte angestrengt nach. Er versuchte, sich die „Gesichter“ der Entführer vorzustellen. „die waren violett und über den Augen hatten sie so rote Ausbeulungen. Ja, rote Beulen waren über den Augen.“ Genau, so hatten sie ausgesehen. Violett mit roten Beulen. „Und zwei Fühler. Auf der Stirn. Die hatten sie auch noch...“
Eddie stutzte. Wieso wollte sein Vater wissen, wie die Masken ausgesehen hatten? Als ob das irgendeinen Hinweis auf die Täter...
Dann begriff er es.
Plötzlich verstand er.
Er erinnerte sich. Die Masken. Sie waren zu perfekt gewesen. Keine billigen Masken aus Gummi, die man sich nur übers Gesicht zog. So, wie Horschell und sein Vater welche hatten. Nein, sie hatten echter ausgesehen.
„Ihre Lippen haben sich bewegt“, murmelte Eddie und sah seinen Vater an. „Und die Augen.“
Eddies Vater sah zu Horschell hinüber.
„Hast du alles mitbekommen?“ fragte er.
Horschell nickte. „Zytterianer“, sagte er in sein Handy.
„Das waren keine Masken“, flüsterte Eddie. „Oder?“
Sein Vater schüttelte den Kopf.
„Nein, das waren keine Masken!“
„Aber...“ Eddie erstarrte. Vor seinen Augen verschwamm alles. Was bedeutete das? Hieß das das, was er glaubte, was das hieß? „Wenn die Masken nicht echt waren“, murmelte er langsam, völlig geschockt, „dann waren es keine Masken. Dann waren es Gesichter. Und wenn es Gesichter waren...“
Dann waren es Monster. Oder Außerirdische. Oder Leute mit ganz schlimmen Krankheiten. Aber wenn das Monster waren, warum trugen sie dann Anzüge? Weil Halloween war und das ihre Art war, diesen Feiertag umzudrehen. Nein, Eddie musste sich korrigieren. Es war ja kein Feiertag. Nur irgendein Tag, der gefeiert wurde. Aber ohne dass die Schule dafür ausfiel. Und das war im Moment völlig unwichtig!
Sein Bruder war entführt worden. Von Monstern in Anzügen. Von Monstern, die sich für Halloween schick gemacht hatten. Die ihre besten Anzüge angezogen hatten, um sich ein Auto zu mieten und seinen Bruder zu entführen. Natürlich, das war die Lösung. Das war gar kein so dummer Plan. Wann sonst sollte man sich als Monster problemlos ein Auto leihen können, wenn nicht an Halloween, wo viele Leute so rumlaufen würden? Darauf hätte er auch früher kommen können. Die ganze Theorie hatte nur einen Haken: Es gab keine Monster!
Oder doch?
Eddie konnte nicht denken. Es war zuviel für ihn. Jeder Versuch, der Sache mit Logik auf den Grund zu gehen, endete in einer Sackgasse. Er kam nicht dahinter. Aber er wusste, da war irgendetwas. Irgendeine Tatsache, die direkt vor seinen Augen lag. Irgendetwas, das ziemlich offensichtlich war, das er aber nicht finden konnte.
Was war es? Er versuchte mit seinem Geist danach zu greifen, aber er bekam es nicht zu fassen. Es entglitt ihm. Jedes Mal, wenn er es zu finden versuchte.
Er begann von neuem. Da war sein Bruder. Da waren diese Monster. Warum sollten sie seinen Bruder entführen? Und, ebenfalls wichtig: Was waren das für Monster? Waren es Dämonen, so wie im Fernsehen? Oder Außerirdische, auch wie im Fernsehen? Wo kamen sie her?
„Außerirdische?“ hauchte er, während sein Geist versuchte, dieses unmögliche Problem zu lösen.
„Ja“, sagte sein Vater.
Es waren also Außerirdische. Keine Dämonen. Nur irgendwelche Wesen, die durch den Weltraum reisten und kleine Brüder entführten. Sowas schien es ja öfter zu geben. Entführungen durch Außerirdische. Auch, wenn er sich das immer etwas anders vorgestellt hatte. Und warum sollten sie am helllichten Tag in schäbigen Anzügen kleinen Kindern auflauern. Es sei denn...
„Ist das...?“ fragte er mit erstickender Stimme.
„Nein!“ Sein Vater schüttelte den Kopf. „Das ist kein Scherz!“
Und dann fand Eddie heraus, was ihn die ganze Zeit an der Sache gestört hatte. Es waren nicht nur die Monster selbst. Es war die Tatsache, wie sein Vater und Horschell damit umgingen! So selbstverständlich. Ängstlich zwar, aufgeregt. Aber nicht so, als wäre das völliger Blödsinn.
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