„Du hast dich wirklich erschreckt, oder?“ fragte Peter, der unter seinem Schultornister fast verschwand.
„Ja, das hab ich“, gab Eddie zu. Es war ihm ein bisschen unangenehm. Immerhin war er der Ältere von ihnen. Und doch hatte es sein Vater geschafft, ihm einen Streich zu spielen. Dabei glaubte er noch nicht mal an Monster. Er glaubte, dass Menschen schlimmes tun konnten und dass manche von ihnen es auch taten. Manchmal bekam er etwas davon mit. Wenn seine Eltern ihn die Nachrichten kucken ließen. Das machte ihm Angst. Was da draußen in der Welt passierte. Was die Menschen da draußen in der Welt einander antaten. Er war der Meinung, Kinder sollten keine Nachrichten sehen. Nachrichten waren für Kinder definitiv nicht geeignet! Aber an Monster, die aussahen wie Monster, an so was glaubte er nicht. Und doch hatte sein Vater es geschafft, ihm einen höllischen Schrecken einzujagen...
Mit quietschenden Reifen hielt ein Wagen vor ihnen an. Sie waren an der Ampel gegenüber dem Spielplatz stehen geblieben. Eine Hauptstraße trennte sie von dem kleinen Waldstückchen. Es war immer die gefährlichste Stelle und ihre Mutter hatte immer Angst, wenn sie alleine die große Straße überqueren mussten. Nun blieb vor ihnen ein Wagen stehen, der definitiv zu schnell gefahren war. Zwei Türen öffneten sich und zwei Männer sprangen heraus.
Nein, korrigierte sich Eddie beim näheren Hinsehen. Es waren keine Männer. Es waren zwei Monster in Anzügen. Das war ja mal etwas ganz neues. Die beiden steuerten direkt auf sie zu. Eddie unterdrückte ein Gähnen und sah den beiden entgegen.
„Was wollen die von uns?“ fragte Peter.
Eddie hob die Schultern.
„Vielleicht haben wir irgendwas vergessen und Papa bringt es uns jetzt oder vielleicht fahren sie uns zur Schule oder vielleicht... entführen sie uns?“
Die beiden gut gekleideten Monster blieben vor ihnen stehen. Sie hatten eine violette Haut mit roten Wulsten über den Augen und zwei Fühler auf der Stirn. Das eine trug einen passenden blauen Anzug, das andere einen braunen Zweireiher.
„Was ist?“ wollte Eddie, der keine Lust auf weitere „Scherze“ mehr hatte, von den beiden wissen. Sie blieben abrupt stehen und sahen einander an. „Haben wir was vergessen?“
Nach kurzem Überlegen nickten die beiden. Ein Lächeln erschien auf ihren Masken.
„Die sind aber gut gemacht“, meinte Peter.
„Und was haben wir vergessen? Wir sind langsam spät dran!“ Eddie sah auf die Uhr. Wenn sie weiter trödelten, würden sie zu spät zur Schule kommen.
Eins der Anzug-Monster deutete auf Eddies Bruder.
„Sie haben mich vergessen“, sagte Peter.
„Aha.“ Eddie hatte die Faxen dicke. „Und was jetzt?“
„Ich glaube, Papa will mich in die Schule fahren“, meinte Peter.
„Ja, das wäre vielleicht eine gute Idee“, murmelte Eddie. Peter trippelte auf den Wagen zu, da fiel Eddie etwas ein. „ Moment!“
Die Armani-Ungeheuer sahen Eddie überrascht an.
Da war irgendwas. Eddie wusste es. Irgendwas... Er deutete auf die beiden Monster: „Papa hatte einen grauen Anzug an und Herr Horschell einen braunen!“
Die Monster waren in blau und braun gekleidet. Und ihre Lippen hoben und senkten sich langsam... ihre Augen bewegten sich, sahen einander an... waren das wirklich Masken, oder...
Bevor Eddie seinen Gedanken zu ende führen konnte, stieß ihn eins der beiden Monster um. Das andere schnappte sich seinen Bruder und trug ihn zum Wagen. Eddie versuchte sich hoch zu rappeln, aber er war nicht schnell genug. Die Monster zerrten Peter in den Wagen und das Auto fuhr mit quietschenden Reifen los. War das wieder nur ein Scherz seines Vaters gewesen? Hatte er ihm nur wieder einen Streich spielen wollen? Hatte er mit seinem Kollegen angehalten und Eddies Bruder „entführt“?
Eddie schüttelte den Kopf. Das war Blödsinn. Totaler Blödsinn. Er würde nicht zweimal am selben Tag auf den gleichen Scherz hereinfallen. Für wie blöd hielten die ihn eigentlich? Gerade verschwand das Auto der Entführer in einer Nebenstraße, als neben ihm ein anderer Wagen anhielt. Am Steuer saß Herr Horschell und auf dem Beifahrersitz... sein Vater!
„Na? Du glaubst doch nicht etwa an Außerirdische, oder?“ Horschell lächelte Eddie aus dem Fahrerfenster an und zog sich die Alien-Maske über das Gesicht. Eddie schüttelte den Kopf. Das konnte doch nicht sein. Das war doch völlig unmöglich! „Deinem Sohn hat es wohl die Sprache verschlagen“, meinte Horschell, aber auf dem Gesicht von Eddies Vater zeichneten sich erste Zweifel ab.
Langsam stand Eddie auf. Er deutete die Straße entlang, dorthin, wo vor wenigen Augenblicken das Auto verschwunden war. Das Auto, in das zwei maskierte Männer seinen Bruder gezerrt hatten. Das Auto, in dem zwei maskierte Männer mit seinem Bruder losgebraust waren...
„Ist das nur ein dummer Scherz?“ Eddie sah Horschell und seinen Vater an. „ Nochein dummer Scherz?“
Horschell zog beleidigt die Maske vom Gesicht.
„Dein Vater meinte, das wäre witzig“, murrte er.
„Und Sie machen alles, was mein Vater witzig findet?“ fuhr Eddie ihn sauer an. Er hatte genug von diesen „Witzen“. Leute in Anzügen, die sich wie Außerirdische verkleideten, seine Eltern, die sich wie Außerirdische verkleideten und ihn erschrecken wollten. Und nun auch noch sowas. In seinen Augen übertrieben sie es ein wenig zu sehr.
„Naja...“ Horschell begann rum zu stottern und sah Hilfe suchend Eddies Vater an. Der hob nur die Schultern. Horschell hatte sich selbst in diese Situation gebracht. Und er kannte seinen Sohn. Da konnte Horschell jetzt niemand helfen.
Eddie stand auf. Er wurde langsam wütend. Man hatte ihm schon vor dem Frühstück Angst einjagen wollen und so etwas wirkte sich nicht so positiv auf seine Stimmung aus. Und jetzt kam ihm der Geschäftsfreund seines Vaters auch noch großspurig. Also würde er seine angestaute Wut an ihm auslassen. Auch wenn eigentlich sein Vater hinter der ganzen Sache steckte.
„Und wenn mein Vater sagt...“ fuhr Eddie Horschell an, schwenkte dann aber in Richtung seines Vaters. Das hatte zwei Gründe. Zum einen mochte er es nicht, wenn die Leute Klischees aussprachen. Dazu gehörte auch der berühmte Satz mit dem „von der Brücke springen“. Er hasste es, wenn die Leute das taten. Als hätten sie keine eigenen Ideen, als müssten sie immer nur die Sprüche aufsagen, die ihnen andere bereits vorgesagt hatten. Zum anderen aber auch deshalb, weil das ganze nicht Horschells Schuld war. Sondern die seines Vaters. Der hatte sich diese ganze Alien-Geschichte ausgedacht und Horschell hatte dabei nur mitgespielt. Eddie mochte es auch nicht, wenn die Leute ihre Wut am Nächstbesten ausließen und nicht an denen, die für diese Wut verantwortlich waren!
„...oh ja, mein Vater...“ Eddies Blick richtete sich auf seinen Vater. Der wusste sofort, dass für Horschell keine Gefahr mehr bestand. Sein Sohn hatte ein neues Ziel gefunden. Das richtige Ziel. Es gab nur eine Möglichkeit, aus dieser Sache herauszukommen...
„Gib Gas!“ zischte er Horschell zu.
Der sah ihn perplex an.
„Was?“
„Gib Gas!“ wiederholte Eddies Vater, diesmal eindringlicher. „Er weiß jetzt, dass ich an allem Schuld bin. Wenn du nicht sofort losfährst, krieg ich enormen Ärger mit meinem Sohn!“
Horschell nickte. Ja, das war wohl wahr. Er sah in den Rückspiegel, um zu sehen, ob die Straße frei war, doch da war es bereits zu spät. Eddie stand vor dem Auto und sah die beiden Erwachsenen verärgert an.
„Zu spät“, murmelte Eddies Vater. „Du hast es verpatzt!“
„Nur weil heute Halloween ist“, begann Eddie säuerlich, „oder irgendein anderer blöder Feiertag...“
„Es ist kein Feier...“ begann Horschell, wurde bei Eddies bösem Blick aber schnell still.
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