„Ja? Hatten Sie dieses Gefühl? Seit wann denn?“, wollte sie nun wissen.
John überlegte wieder einen Moment.
„Seit über sieben Jahren, um genau zu sein. Nur hatte es damals keine Gelegenheit gegeben, dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Außerdem…“
John brach ab, denn offenbar war er im Begriff etwas zu sagen, das er nun doch lieber verschweigen wollte. Bella ahnte, was es war.
„Außerdem bin ich nur eine Bedienstete und Sie sind ein angesehener Earl“, beendete Bella nun etwas gekränkt, aber durchaus realistisch seinen Satz.
John schwieg, was für Bella eine stille Zustimmung war. Unwillkürlich löste sie sich aus seinen Armen und trat einen Schritt zurück.
Es war recht düster in dieser Ecke, John konnte aber deutlich erkennen, wie ihre wunderschönen großen, dunklen Augen ihn nun anfunkelten. Bereits jetzt tat ihm leid, was er da soeben begonnen hatte und nun selbst nicht mehr weiterwusste.
„Warum haben Sie das dann überhaupt getan? Wollten Sie nur kurz Ihren Spaß haben? Glauben Sie, nur weil ich von niederer Herkunft bin könnten Sie mit mir Ihre Spielchen treiben?“
Oh nein, sie war offenbar richtig wütend geworden. John wollte keinesfalls nur seine Spielchen mit ihr treiben. Aber sie hatte recht, was wollte er eigentlich? Und seit wann war er derart impulsiv und gab so unüberlegt seinen Gefühlsregungen nach? So kannte er sich gar nicht. Diese Zofe löste irgendetwas in ihm aus, das ihm bislang unbekannt gewesen war.
„Nein, ich möchte keinesfalls nur Spielchen mit Ihnen treiben. Ich hatte doch bereits gesagt, ich empfinde da etwas und wollte dem nachgehen, sehen wo es hinführt. Ich weiß selbst nicht, was ich eigentlich erwartet hatte. Vielleicht, dass wie durch ein Wunder alles gut werden würde.“
Nun war auch John etwas erregt und stützte ein wenig verzweifelt und ratlos seine Hände in die Hüften.
„Aber Sie können doch nicht einfach so über mich herfallen und erwarten, dass ich die Situation für uns beide löse! Außerdem sind Sie verlobt! Stellen Sie sich nur vor, man hätte uns dabei gesehen“, gab Bella nun sehr erregt von sich.
In diesem Augenblick wurde ihr auch klar, dass jemand ihr Gespräch belauschen könnte und sie rief sich rasch zu innerer Ordnung. Schnell richtete sie sich gerade auf und strich ihre Schürze und ihr Kleid wieder glatt.
„Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muss weiterarbeiten“, gab sie gespielt kühl von sich und wollte gehen.
Er hielt sie aber sanft am Arm fest und zog sie noch einmal an sich heran. Schnell legte er seine Lippen auf die Ihren und gab ihr einen sanften Kuss.
„Es tut mir leid“, raunte er. „Manchmal weiß ich nicht, was ich tun soll. Und ich hatte wohl gehofft, hier mit Ihnen die Antwort darauf zu finden. Ich wollte Ihnen keineswegs schaden. Bitte verzeihen Sie mir.“
Bella sah ihm in die grünen aufrichtigen Augen. Er meinte es ernst. Aber wie konnte ein derart mutiger und anscheinend aufgeräumter Mann selbst so mit seinen Gefühlen hadern? Was steckte dahinter? Bella empfand Mitgefühl, obwohl er ihr eigentlich komplett fremd war. Dennoch hatte sie ihn schon derart lange in ihrem Herzen getragen, dass da bereits eine gewisse unnatürliche Verbundenheit vorhanden war.
„Ist gut, ich bin nicht böse. Ich muss nur mein eigenes Herz schützen. Ich habe Angst, verletzt zu werden“, gestand nun auch sie offen und ehrlich und war darüber selbst überrascht.
Dankbar blickte er sie an und schenkte ihr noch ein sanftes Lächeln. Dann ließ er sie ziehen.
Bella eilte rasch zurück in Richtung Küche, entschied sich dann aber spontan, kurz den hoffentlich einsamen Speisesaal aufzusuchen. Sie musste unbedingt für einen Moment alleine sein, um wieder zu Sinnen zu kommen. Sie war derart aufgewühlt und verwirrt, so konnte sie unmöglich unter die Augen der anderen treten.
John blieb in der Dunkelheit dieser Nische zurück. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Eigentlich war er hierhergekommen, um für ein paar Minuten aus den Fängen seiner herrischen Verlobten zu entkommen und kurz für sich zu sein. Er hatte nicht gewusst, wo er sonst hingehen sollte.
Als dann aber überraschenderweise diese Zofe, die anziehende junge Frau mit den einzigartigen großen Augen vorbeigekommen war, hatte wohl sein Verstand ausgesetzt. Er hatte impulsiv und unüberlegt gehandelt. Wobei, so unüberlegt war es vielleicht gar nicht gewesen. Seit er hier angekommen war und auch schon damals vor sieben Jahren, hatte er von solch einer Szene nur träumen können. Und in der Tat war es mehr als erregend und schön gewesen, sie in seinen Armen zu halten und derart leidenschaftlich und innig zu küssen. Sie schmeckte wunderbar und hatte sich einfach nur gut und weich angefühlt. Ganz so, wie er es erwartet hatte. Ohne es wirklich geplant zu haben oder lange darüber nachgedacht zu haben, hatte er sie nun endlich probieren wollen. Es war wie ein Wink des Schicksals gewesen, dass sie wieder hier war und er diese zweite Chance bekommen hatte, nachdem er sie so lange Zeit nicht vergessen hatte können. Jedoch wusste er immer noch nicht ihren Namen. Er hätte sie nun danach fragen können und hatte komplett darauf vergessen. Wenn sie aber bei ihm war, spielte dies keine Rolle. Doch nun wünschte er, er wüsste, wie er sie zumindest in seinen Gedanken nennen konnte. Derweilen würde sie wohl einfach die Zofe sein. Bei nächster Gelegenheit wollte er sie sofort nach ihrem Namen fragen.
Doch was sollte er nun tun? Würde es überhaupt eine nächste Gelegenheit geben? Oder würde sie ihm von nun an aus dem Weg gehen? John konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihn nicht auch wiedersehen, sich nicht erneut in seinen Armen finden wollte. Offenbar hatte sie es genauso genossen wie er. Nur wusste sie, dass sie beide eigentlich keine Chance hatten zusammen zu sein. Jedoch hatte sich nicht auch Miss Claire damals allen Regeln widersetzt und das Glück ihres Lebens mit einem mittellosen Stallburschen gefunden? Und alles war letztendlich gut ausgegangen.
Doch wie konnte dies nun in Johns Leben geschehen? Er hielt seinen eigenen Vater für wesentlich sturer und engstirniger, als es offenbar Lord Fortescue gewesen war. Er hatte schließlich eingesehen, dass seine Tochter Greg Harrison liebte und er sie glücklich machen würde. Doch würde es Johns Vater überhaupt interessieren, was seinen Sohn glücklich machte? Oder wollte er einfach nur einen würdigen Nachfolger heranziehen, mit der besten und vorteilhaftesten Partie an seiner Seite. So schien es John. Deshalb hatte ihn sein Vater vor fünf Monaten letztendlich auch zu dieser Verlobung überreden können. Er hatte John vorgehalten, dass er mit seinen dreißig Jahren nun endlich vernünftig werden und vorteilhaft heiraten müsse, sonst würde es ein schlechtes Licht auf ihn und seine Familie werfen. Vater wollte vermeiden, dass die Leute noch anfingen, irgendetwas über John zu denken und zu munkeln, da er sich bislang geweigert hatte, sich zu binden.
John hatte bisher aber in keiner Frau gefunden, was er gesucht hatte. Vielleicht hatten auch diese braunen Rehaugen - die er sich einfach nicht mehr aus dem Kopf hatte schlagen können - eine Rolle dabei gespielt. Nur deshalb war er so bereitwillig mit hierhergekommen. Nicht, um der eindringlichen Bitte seines Vaters zu folgen, nun endlich zu seiner Verlobung zu stehen und sich bei versammelter Gesellschaft zu präsentieren - was John bislang tunlichst vermieden hatte. Nein, er war hergekommen um vielleicht ihr wieder zu begegnen, der wunderschönen, geheimnisvollen Zofe. Und nun war es tatsächlich geschehen und er hatte es vermutlich vermasselt. Wie hatte er sich auch nur derart plump und unüberlegt an sie heranmachen können? Es sah ihm gar nicht ähnlich. Aber irgendwie schien sie das Tier in ihm zu wecken. Ob das eine gute Entwicklung war, wusste John noch nicht.
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