In das Gelächter stimmte dieses Mal nur gut die Hälfte der Anwesenden ein; für den Rest ohne humanistische Bildung übersetzte Peter Schrader: „ Errare humanum est heißt: Irren ist menschlich.“ Womit er einerseits einen zweiten Lacher einheimste, andererseits die Stimmung seiner Angetrauten nicht gerade verbesserte.
„Mein Gott, Lisa, nun lach doch auch mal!“ Otto Wellers dröhnender Bass legte sich über das Gelächter und deckte es zu. „Das hier is 'ne Party!“
Augenblicklich wurde es still, einzelne Blicke schossen verstohlen zu Lisa hinüber, die mühsam ihren Mund zu einem Lächeln verzog, dann fing wie auf Kommando jeder wieder an zu reden.
„Noch Wein?“ Tobias sprang hastig auf und griff nach einer Flasche auf dem Tisch.
„Himmel – Latein!“ rief Kerstin, eine Nachbarin der Neumanns, lauter als es nötig gewesen wäre, aus. „So was lernt man noch heutzutage!?“
„Echt – total old school “, grinste ihr Mann dazu.
„ Non scholae, sed vitae …!“ tönte sein Nachbar zur Linken mit schalkhaft erhobenem Zeigefinger dazwischen.
Peter hielt Tobias demonstrativ sein Glas hin. „Ich nehme gern noch ein Glas. Lisa fährt ja. Nicht wahr, Schatz?“ Er fixierte seine Frau scharf; der Ausdruck auf seinem Gesicht wollte gar nicht so recht zu seiner sonstigen devoten Art passen. Lisa lächelte verkniffen.
Isabella seufzte. Der Kollege hatte es nicht leicht mit dieser Frau, doch hätte sie sie schlecht aus der Einladung ausnehmen können. Für sich alleine genommen, war Peter Schrader ein ganz netter Kerl, im Kollegium zwar als Langweiler verschrien, doch sie hatte schon viele anregende Gespräch mit ihm geführt.
Zusammen waren die beiden eine Katastrophe.
Lisa Schrader war es dann tatsächlich, die am Steuer saß und den Wagen ins heimatliche Rotenburg steuerte. Stumm saß das Ehepaar im Auto, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, bis es Lisa nicht mehr aushielt.
„Bist du nun zufrieden, dass du mich vor aller Welt lächerlich gemacht hast?“ fauchte sie.
„Lächerlich machst du dich doch alleine, dazu brauchst du mich nicht“, erwiderte er müde.
Er hatte alles satt, so satt! Aber es würde ja nicht mehr lange dauern … Heute war wieder ein Brief gekommen, doch diesen würde er ignorieren.
Sein Entschluss stand fest. Es würde leicht werden.
Doch erst würde er auf dieses Dorffest gehen.
„Ehrlich, ich bin froh, dass ich dich morgen Abend nicht um mich habe!“, sagte er erbittert.
„Morgen?“
Er verdrehte die Augen, was sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte. Natürlich hatte sie es vergessen.
„Es ist das Fest in Heubach, aber das kann dir ja egal sein, du bleibst sowieso zu Hause. Hab wirklich keine Lust, mir von dir auch noch diesen Abend vermiesen zu lassen!“
Die Götter hatten das Ehepaar Liebig sehr großzügig bedacht. Es gab kaum eine Frau zwischen fünfzehn und fünfundsechzig, die nicht gerne einen zweiten Blick auf Andreas riskierte, wenn er ihr auf der Straße begegnete. Obwohl nicht sehr groß, wirkte er doch sportlich und durchtrainiert; sein immer noch volles, flachsblondes Haar kontrastierte auf umwerfend anziehende Weise mit braunen Augen und sonnengebräuntem Teint und hatte zudem den Vorteil, die ersten grauen Strähnen nicht sichtbar werden zu lassen. Denn Andreas Liebig war nicht mehr weit von seinem sechzigsten Geburtstag entfernt und konnte sich jedes Mal freuen wie ein Kind, wenn man ihn zehn Jahre jünger schätzte.
In Hella hatte er eine, nicht nur was äußerliche Attraktivität betraf, gleichwertige Partnerin gefunden. Ihr Haar war um einiges dunkler als seines, doch ebenfalls noch naturblond, ihre Augen von einem klassischen Blau; die leichte Fülle um die Taille machte sie nicht weniger anziehend. Ihrem natürlichen Charme – von der Art, wie man ihn nicht erlernen kann – konnte sich kaum jemand entziehen, selbst Paul Langer nicht, und das mochte einiges heißen. Er grüßte sie immerhin freundlich, wenn sie sich im Hotel begegneten, und hatte inzwischen auch nichts mehr dagegen, das Abendessen mit ihnen einzunehmen.
Zusammen gab das Ehepaar Liebig in jeder Umgebung ein perfektes Team ab – sei es bei gesellschaftlichen Anlässen oder in seinem Frankfurter Autohaus. Besonders dort. Seit sie es knapp zehn Jahre zuvor von Andreas‘ Vater übernommen hatten, war es stetig damit bergauf gegangen; mit Fug und Recht konnte man behaupten, dass ein Großteil ihres geschäftlichen Erfolges im Charisma begründet lag, das das Paar ausstrahlte. Dass dabei Hella die männlichen Kunden betreute und Andreas den weiblichen Teil, verstand sich von selbst.
Und keiner, der sie dort kannte, ahnte, durch welche Hölle sie miteinander gegangen waren.
Jetzt saßen sie auf der Veranda des Hotels und schauten im dunkler werdenden Abend auf das Tal hinunter. Hella legte langsam das Handy beiseite und sah Andreas an.
„Sie will uns nicht sehen.“
Andreas zuckte die Schulter und nippte an seinem Aperitif. „Um ehrlich zu sein, ich habe nichts anderes erwartet. Ich fürchte, sie hat geahnt, dass du dich nur wegen Ralph mit ihr treffen wolltest. Sie hat eine neue Familie, sie ist jung und muss nach vorne schauen, Hella. Für sie ist es Vergangenheit.“
„Das verstehe ich ja. Aber dass sie so jeglichen Kontakt vermeidet … Es täte mir so gut, mit jemandem über Ralph reden zu können ...“
„Hella,“ in seiner Stimme lag eine leichte Ungeduld, „versteh‘ doch: Genau das ist es, was sie nicht will. Sie hat einen Mann und ein Kind und ein neues Leben.“
„Warum sind wir dann hier?“, fragte sie leise.
Er gab keine Antwort, wusste er doch, dass sie keine erwartete. Statt dessen blickte er in den Speisesaal, wo das Ehepaar Langer gerade seinen Tisch ansteuerte.
„Weißt du, dass er Polizist ist?“ Er deutete mit seinem Glas in das Innere des Hotelrestaurants.
Hella schreckte aus ihren Gedanken hoch.
„Wer?“ Sie drehte sich herum. „Langer?“
Andreas nickte. „ Hauptkommissar, Kripo Frankfurt. Morddezernat.“
Hella lachte ungläubig. „Du machst Witze!“
Er schüttelte den Kopf.
„Und du wusstest das?“, fragte sie erstaunt. „Woher?“
„Ich bekam eine leise Ahnung, als Gerda neulich so schnell mit dem Beruf ‚Beamter‘ herausgerückt ist, erinnerst du dich?“, sagte ihr Mann. „So Spielchen haben wir doch auch oft gespielt – damals.“
Sie nickte lächelnd.
„Seit heute Nachmittag weiß ich es definitiv. Ich habe mich erkundigt.“ Er grinste schwach. „Ich habe noch meine Quellen, wie du weißt.“
„Aber warum?“
„Warum was?“
„Warum hast du dich nach ihm erkundigt?“
Sein Lächeln wurde breiter. „Konnte nicht anders. Der Typ hat mich neugierig gemacht.“
Beide beobachteten sie amüsiert den kleinen, korpulenten Polizisten, der jetzt um seine Frau herumwieselte. Sie hatten offensichtlich einen Spaziergang vor dem Essen gemacht. Er nahm ihr den Mantel ab, hängte ihn auf, schob ihren Stuhl zurück – Aktivitäten, die bei ihr eine Mischung aus Amüsement und Befremden auslöste – und ließ sich endlich selber auf einen Stuhl plumpsen.
„Ulkiger Kerl, wirkt so harmlos, doch ich glaube, man sollte ihn nicht unterschätzen.“
„Ich mag Gerda“, meinte Hella nachdenklich. „Eine patente Frau. Langer kann sich glücklich schätzen, sie bekommen zu haben.“
Andreas lachte. „Auch er ist ganz in Ordnung, denke ich. Obwohl – ich glaube, zum Kollegen hätte ich ihn wohl nicht haben wollen.“
„Gut, dass du jetzt in der Lage bist, dir deine Kollegen selbst auszusuchen, mein Lieber.“ Sie lächelte ihn an.
Er stand auf und bot ihr die Hand. „Komm, lass uns reingehen, es wird kühl. Außerdem habe ich Hunger.“
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