“Was machen wir mit dem Hauptmann?”, Robertson hatte mit ähnlichen Gedanken gespielt, wie Wellesley. Arthur zuckte mit den Schultern und lächelte den Benediktiner traurig an. “Entweder ich schneide ihm heute Nacht irgendwo im Wald die Kehle durch, oder ich stelle ihm einen Passierschein aus und benutze ihn, so lange es geht, als zusätzliche Informationsquelle. Lassen Sie mich ein paar Minuten alleine, mein Freund! Ich muss darüber nachdenken.” Nachdem Robertson den Saal verlassen hatte, setzte Arthur sich auf eine Steinstufe. Wenn d’Argenton ein Provokateur war, dann hatte er möglicherweise zuerst Informationen über das anglo-portugiesische Feldheer gesammelt und wollte jetzt ausloten, aus welchem Holz der Oberkommandierende geschnitzt war. Er zog das Stillet aus dem Reitstiefel und ließ die bösartige, kleine Waffe geschmeidig durch die Hand gleiten. In Indien hatte er Probleme dieser Art meist endgültig aus der Welt geschafft. Er war immer sein eigener Nachrichtendienstchef gewesen und Spione oder Informanten, die ihm zu gefährlich oder zu unberechenbar wurden, pflegte er eigenhändig ins Jenseits zu befördern. Arthur hatte nie die geringsten Skrupel gehabt, wenn es notwendig wurde, ein Menschenleben auszulöschen. Niemand kannte diese düsterste Seite seines Charakters, denn Tote konnten nicht mehr sprechen. Das Stillet glitt zurück in den Reitstiefel. Er stand auf, öffnete die Tür und bedeutete dem Prior, Robertson und d’Argenton hereinzukommen. Dann bat er um Papier und Tinte. Er stellte dem französischen Hauptmann einen Passierschein aus. “Wieviel Geld brauchen Sie, d’Argenton?.”, erkundigte er sich in perfektem Französisch.“ Fünfhundert Pfund Sterling in französischer Währung.”
“Haben Sie eine Karte bei sich?” Der Franzose nickte und zog eine Stabskarte aus seinem Sabretache.“ Sie sind in Oporto stationiert.” Wieder nickte der Franzose. Die Gesellschaft dieses irischen Generals fing an, ihm unheimlich zu werden. Jedes Mal, wenn Wellesley ihn ansprach, lief dem Offizier ein kalter Schauer den Rücken hinunter. “Dann werde ich Sie morgen pünktlich um Mitternacht hier treffen. Sie bekommen Ihr Geld und ich bekomme weitere Informationen. Und ich empfehle Ihnen dringend, nichts zu versuchen, was Sie hinterher bereuen könnten.” Der Finger des Generals deutete auf eine Stelle in einem kleinen Waldstück bei Vila da Feira, nur wenige Kilometer von Oporto entfernt, auf der linken Seite des Douro. “Ich werde kommen, General Wellesley. Alleine.” Der Franzose faltete die Karte und seinen britischen Passierschein zusammen und verstaute beides. Danach wandte er sich um und verließ den Saal. Don Manuele selbst geleitete den Hauptmann aus dem Kloster von Santa Clara.
“ Sie haben also beschlossen, diesem Verräter die Kehle noch nicht durchzuschneiden, Arthur.“ Jack Robertson blickte dem Soldaten interessiert in die Augen. Er hatte Wellesley die ganze Zeit über beobachtet und ihm war klar geworden, dass der Kern des Iren sicherlich härter und erbarmungsloser war, als er angenommen hatte. Er nahm sich vor, dem Bischof von Dublin hierüber zu berichten. Die katholische Kirche hatte sich wohl das richtige Instrument ausgewählt, um eines Tages die Gleichberechtigung der Katholiken im Inselkönigreich durchzusetzen. Wenn der General nicht auf irgendeinem Schlachtfeld fiel, dann würde er in der britischen Hierarchie einmal sehr weit nach oben aufsteigen.
“Versuchen Sie nicht, mir in die Seele zu blicken, Mann Gottes“, zischte Arthur leise, “und was d’Argentons Kehle anbetrifft: wenn er gefährlich wird, dann können Sie sicher sein, dass ich ihn sofort aus dem Verkehr ziehe.“ Noch ehe Jack Robertson antworten konnte, hatte Arthur sich umgedreht und war aus dem großen Saal des Santa Clara-Klosters verschwunden. Er spürte, dass der Benediktiner in ihm lesen konnte, wie in einem offenen Buch. Der Benediktiner hatte Feingefühl und eine bemerkenswerte Menschenkenntnis. Arthur fand den Weg zurück in die Zelle, ohne den Vater Hauswirtschaftsmeister zu bemühen. Er verschloss die Tür, warf seine Waffen auf den Holztisch, löschte die Kerze und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Sofort schlief er ein. Die Glocken, die die Mönche alle vier Stunden zum Gebet riefen, störten ihn nicht bei seiner Nachtruhe. Als der Morgen dämmerte verließ er die Gemeinschaft von Santa Clara. Don Manuele wünschte ihm viel Glück. Als er gegen sechs Uhr früh wieder in der Quinta das Lagrimas ankam, war die Stadt Coimbra schon zu regem Leben erwacht. Die Soldaten machten sich zum Abmarsch bereit, die Quartiermeister ließen die Ochsen einspannen und der gesamte Sanitätsdienst hatte sich auf dem großen Marktplatz vor der Stadt versammelt, um sich der Nachhut des ersten und des zweiten Armeekorps anzuschließen. Beresford saß über eine Karte gebeugt und erklärte seinen Untergebenen den Weg, den das dritte Armeekorps einschlagen sollte. Wellesley zügelte seinen Hengst. Einer von Beresfords Adjutanten reichte dem Iren eine Tasse heißen Kaffee.
“ Guten Morgen, Arthur! Wie sind die Betten in Santa Clara?“, flachste Beresford. Der kleine Ausflug seines Kameraden, war ein offenes Geheimnis. “Sauber, trocken und weich“, antwortete Wellesley, “und es war wunderbar, eine ganze Nacht lang Ruhe vor Euch allen zu haben, John. Bist Du bereit zu marschieren.”
“ Wir können in einer halben Stunde abrücken.”
“ Gut, ich wünsche Dir viel Glück, mein Freund! Wir geben Dir Vorsprung und treffen uns in Montalegre wieder, wenn alles gut geht.”
“ Und wenn Ihr Probleme bekommt, Arthur.“
“ Danke für den Kaffee, John! “ Wellesley zog die Zügel des Hengstes an und ließ das Tier wenden. Er mochte Beresford auf diese Frage keine Antwort geben. “ Manchmal genügt schon der Gedanke an einen Fehlschlag,” dachte er bei sich, “ um Generäle im Felde versagen zu lassen!“ Das war der kluge Spruch des weisen Davie Baird in Indien gewesen und Davie hatte sicher recht damit. Im Anschluss an seine kurze, aber tiefgründige philosophische Betrachtung des Krieges beschloss er den Ärzten einen morgendlichen Besuch abzustatten. Er fand McGrigor, Hume, Freeman, Doolittle, Sarah, Hale und vier oder fünf junge Mediziner, an deren Namen er sich nicht erinnern konnte, um einen großen Teekessel auf einer Feuerstelle versammelt. Obwohl alle inzwischen mit militärischen Diensträngen ausgestattet worden waren, sahen sie immer noch aus, wie die Zivilistengruppe, die er vor langem an der Universität von London kennengelernt hatte. Die Uniform des Arztes, der etwas auf sich hielt, schien die schwarze Weste, der lange, weiße Kittel und der breitkrempige Strohhut zu sein. Auch konnte man ihre Pferde nicht verfehlen. Alle ritten sie schwere, temperamentlose Tiere, an deren Sattelzeug links und rechts große, schwarze Arzttaschen festgebunden waren.
“ Guten Morgen.“, begrüßte er die Truppe freundlich und zog vor Sarah gar galant den Zweispitz vom Kopf, “ Kann der medizinische Stab abmarschieren?”
“ Wir sind fertig, Sir Arthur.“ Seit Sie uns von Generalquartiermeister Pipon und seinen Bürokraten befreit haben, sind wir allzeit bereit.” Der alte Professor McGrigor schob seine runde Brille zurück auf die Nasenwurzel und blickte sich suchend nach einer sauberen Tasse für Wellesley um. Er genoss das Abenteuer des Feldzuges in vollen Zügen. Mit jedem Tag in Portugal fühlte er sich jünger und jünger. Seine Gicht, die ihn in dem feuchten London so schlimm geplagt hatte, war auf wundersame Weise verschwunden und er konnte seine ganze Zeit mit seinen jungen Assistenten vertrödeln, ohne dass Lady McGrigor ihn dafür tadelte.
“Bemühen Sie sich nicht, Sir James. Ich habe bereits bei Beresford Kaffee getrunken und Ihr Tee weckt mich sowieso nicht auf. Aber vielleicht haben Sie irgendetwas Essbares für mich.” Sarah griff in ihre Umhängetasche und reichte Arthur einen großen, roten Apfel. Der General lächelte sie an, biss ein Stück ab und hielt es Kopenhagen hin. Der Hengst kaute zufrieden.
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