Der Prior, Don Manuele Aguiar da Beira hatte die Szene amüsiert von seinem Fenster aus beobachtet. Nachdem sein Türsteher den Iren nun so erfolgreich entwaffnet hatte, trat er aus der Tür seines Arbeitszimmers und ging über den Klosterinnenhof auf Arthur zu. Aguiar da Beira war etwas älter als der General; ein kräftiger, breitschultriger Mann mit energischem Kinn und klugen, grauen Augen. Bevor er dem Orden beigetreten war, hatte er jahrelang alle Meere der Welt befahren. Er war der Kapitän eines portugiesischen Kriegsschiffes gewesen. “Seien Sie uns herzlich willkommen, General. Was kann ich für Sie tun.” Arthur verbeugte sich höflich vor dem Geistlichen.“ Vater Prior, ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ich hätte gerne ein paar Stunden meine Ruhe und wollte schlafen, ohne dauernd von der halben britischen Armee gestört zu werden. Können Sie eine Ihrer Zellen entbehren.”
“ Gerne, mein Freund! “ Don Manuele rief laut nach dem Hauswirtschaftsmeister. Als Arthur viele Stunden später aus einem tiefen, erholsamen Schlaf erwachte, war bereits die Nacht hereingebrochen. Man hatte ihn nicht aufgeweckt, sondern einen Laienbruder nach Coimbra geschickt, um Beresford und Hill zu informieren, dass man sich nicht um den Oberkommandierenden sorgen müsste. Man würde ihn pünktlich bei Morgengrauen zurück in die Stadt schicken. Wohlig streckte Arthur sich und warf die Decke zurück. In diesem Augenblick klopfte es leise an die Tür der Zelle. Der Hauswirtschaftsmeister trat ein und fragte den Gast, ob er gemeinsam mit dem Prior und den Ordensbrüdern essen wollte. Arthur nickte und ein anderer Bruder trug eine Schüssel kaltes Wasser, Rasierzeug und ein Handtuch in die Zelle. Irgendeine gute Seele hatte seinen Uniformrock ausgebürstet, sein Hemd gewaschen und gebügelt und sogar die Reitstiefel sauber gemacht, während er schlief. Das Schwertgehänge, die Pistole, das Stilett und seine Sporen lagen auf einem kleinen Holztischchen. Eine Viertelstunde später brachte der Hauswirtschaftsmeister den General in den großen Saal des Klosters. Don Manuele wies ihm einen Platz an seiner Seite zu. Zu Arthurs großer Verwunderung befanden sich Jack Robertson und ein Mann in französischer Uniform am selben Tisch. Don Manuele klatschte in die Hände und alle Brüder außer ihm selbst verließen schweigend den Saal. Der Prior sprach. „General, mein Kollege Robertson hat mich gebeten, mein Kloster für ein konspiratives Treffen zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, Sie sind uns nicht böse, dass wir Sie ein wenig überrumpelt haben.”
“ Don Manuele, ich glaube es gibt nicht mehr viel, was mich noch in Erstaunen versetzt, seit der Bischof von Dublin mir die Hilfe der katholischen Kirche angeboten hat. Ich würde sagen, Santa Clara ist durchaus geeignet, für ein konspiratives Treffen. Soweit ich weiß, war dieses Kloster einmal eine Ordenskommandantur und gehörte den Herren des Tempels. Als man sie vor rund fünfhundert Jahren aus Frankreich und aus Spanien vertrieb und ihnen auch in England das Leben schwer machte, flüchteten sie nach Tomar und nach Santa Clara. Sie haben eine hübsche Befestigungsanlage und sicher eine ganze Menge geheimer Gänge und tiefer Keller aus der alten Zeit hinübergerettet.” Arthur legte den Kopf schief und betrachtete den Seefahrer-Prior amüsiert. „Sie sind ein guter Beobachter und Sie kennen unsere Geschichte, obwohl Sie Ihr Knie nicht vor unserem Herren beugen, General. Über die andere Geschichte von Santa Clara sollten Sie einmal ihren jungen Freund Don Antonio Mario Osorio Cabral de Castro befragen.”
“ Man hat Sie doch sicher bereits über meine Einstellung zu Fragen des Glaubens aufgeklärt.” Der Ire sah dem Prior vergnügt in die Augen. Er hatte wunderbar geschlafen und die ganze Last der letzten Tage war von ihm abgefallen. Morgen würde er gegen Soult marschieren und er spürte, dass der Marschall ihn nicht besiegen konnte. “Sir Arthur, unser Orden hatte eigentlich nie irgendwelche Probleme mit Freimaurern. Wir sind uns möglicherweise ähnlicher, als Sie denken!“ Don Manuele gab Jack Robertson ein Kopfzeichen. “ Nun mein schottischer Bruder, erzählen Sie General Wellesley, was für Neuigkeiten Sie aus Oporto haben.” Jack sah zufrieden und feist aus. Wie eine Katze ihre Beute, so betrachtete er den französischen Offizier an seiner Seite.” Sir Arthur, ich habe das Vergnügen, Ihnen den Hauptmann d’Argenton vorzustellen. Er wollte unbedingt unter vier Augen mit Ihnen sprechen und ist mir dabei vor ein paar Tagen direkt in die Arme gelaufen. Da wir Sie nicht bei der Umorganisierung des Feldheeres stören wollten, habe ich meinen neuen Freund gebeten, uns heute in Santa Clara zu treffen.” Arthur musterte den Franzosen aufmerksam. Die vielen Orden auf d‘Argentons Brust zeugten von einer langen und erfolgreichen Laufbahn in der Armee Bonapartes. Robertson erklärte dem Hauptmann. “ Der General spricht Ihre Sprache fließend. Wenn Sie möchten, dann können Sie ihm jetzt all das persönlich erzählen, was Sie mir bereits mitgeteilt haben.” Der Franzose räusperte sich verlegen. Der prüfende Blick des irischen Generals war ihm unangenehm. Er konnte in den kalten, blaugrauen Augen seines Gegenübers keine Sympathie lesen.“ Nicolas Jean de Dieu Soult, Marschall von Frankreich und Herzog von Dalmatien plant, sich zum König des nördlichen Spanien ausrufen zu lassen. Er ist so despotisch und jähzornig geworden, dass wir Offiziere beschlossen haben, uns bald gegen ihn und gegen Bonaparte zu erheben. Diese beiden Männer haben die Ideale unserer Revolution schändlich verraten. Wir haben 1789 nicht die Bastille gestürmt und König Ludwig den Kopf abgeschlagen, um von einem anderen blutrünstigen Tyrannen ins Unglück gestürzt zu werden.” Arthur nickte. “ Sprechen Sie weiter. Wie kann ich Ihnen helfen. “
“ Wir brauchen Geld und wir brauchen Ihre Unterstützung, General. Nur so können wir Soult umbringen.”
“ So, so. Sie wollen Geld. Wofür. “ Arthurs Augen bohrten sich in d’Argenton. Der Franzose senkte den Blick. “Um die Gardeoffiziere und ihre Männer zu bestechen, die den Marschall Tag und Nacht bewachen.”
“ Woher weiß ich, dass Sie kein Provokateur sind, d’Argenton. Sie könnten versuchen, mich in eine Falle zu locken. “ Wellesley blieb unerschütterlich. Er blickte dem Franzosen noch härter in die Augen. Doch der Hauptmann hatte wohl nichts anderes von ihm erwartet. Er gab Jack Robertson ein Zeichen. Der Benediktiner stand auf und reichte Arthur einige lose Blätter. “ Sehen Sie sich diese Papiere an. Ich habe sie am 24. April von Hauptmann d’Argenton erhalten und konnte in der Zwischenzeit den Inhalt auf seine Richtigkeit überprüfen.” Wellesley überflog die Seiten. Die Truppenstärke von Marschall Soult war mit dreiundzwanzigtausend Mann angegeben. Die Namen der Regimenter zeugten davon, dass es sich hier um kampferprobte Veteranen handelte. Soult verfügte über sehr viel Kavallerie. Und die Franzosen hatten doppelt so viele Geschütze, wie das britische Expeditionskorps. Arthurs Stirn legte sich beim Lesen in Falten. D’Argenton hatte die genauen Standorte jedes einzelnen Regiments in einer kleinen Karte aufgezeichnet. Außerdem ging aus den Notizen hervor, dass der Marschall bereits seit Wochen keinen Kontakt mehr zu Victor oder Ney hatte aufnehmen können. Soult war in Oporto von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten. “ Jack, kann ich irgendwo fünf Minuten ungestört mit Ihnen sprechen.” Der Prior Don Manuele und d’Argenton verließen den Saal und ließen den General und seinen Meisterspion alleine. Erst nachdem die Tür sich hinter den beiden Männern fest geschlossen hatte, wandte Arthur sich an Robertson. “ Jack, haben Sie den Franzosen für diese Informationen bezahlt.” Der Benediktiner schüttelte den Kopf.” Nein, mein Junge! Er hat sie mir geradezu aufgedrängt. Es hat ein paar Tage gedauert, ihre Richtigkeit durch meine Gewährsleute überprüfen zu lassen. Diese Karte “, er nahm sie dem General aus der Hand und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus, “ ist korrekt. Ich habe es selbst erst vor vier Stunden erfahren. Jede Position, jedes Regiment, alles ist wahr. Ich habe es zuerst selber nicht glauben wollen. Entweder ist dieser Mann ein großartiger Provokateur oder ein echter Überläufer. Ich weiß es nicht. Wie schätzen Sie ihn ein.” Arthur stand auf und lehnte sich an eine alte Steinsäule. “Einem gekauften Informanten, der für meine englischen Goldstücke arbeitet, würde ich sicher eher Glauben schenken. In Indien waren bezahlte Spione immer die sicherste und beste Quelle für meine Armee. Einem portugiesischen oder spanischen Patrioten würde ich glauben, denn der hat einen guten Grund mir Nachrichten zuzutragen. Er will Bonnys Truppen loswerden und wieder frei durchatmen.” Der Ire ballte die Hände zu Fäusten, seine Knöchel wurden weiß. In seinem Gesicht stand äußerste Spannung geschrieben.“ Verdammt, Jack. Ich kann diesen Verrückten nicht einschätzen. Wenn Sie mir sagen, dass die Karte und die Regimentslisten richtig sind, dann werde ich d’Argenton wohl glauben müssen. Die Kommunikationsprobleme mit Ney und Victor… ich hatte es auch schon gedacht. Aber dazu benötigt man bloß eine gute Karte und ein bisschen Erfahrung mit Truppen und Geographie. Was eine Verschwörung gegen Soult und Bonaparte angeht... Ja, warum nicht. Es ist durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Nur kann ich meine Gesamtstrategie nicht auf einer solch abstrusen Geschichte aufbauen, Jack. Ich werde, wie geplant gegen Soult vorgehen. Sollten d’Argentons Leute ihn vorher umbringen, umso besser. Wenn nicht, dann werden wir ihn schlagen und aus Portugal vertreiben.”
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