Finn lachte leise. „Und wie das wahr ist. Du wirst hier sicher noch vielem begegnen, was du nicht für möglich gehalten hättest.“
Natürlich sollte er damit Recht behalten. Das zeigte sich, als wir in die Hauptstadt kamen. Eigentlich hätte es eine normale Stadt sein können, wenn sie nicht komplett aus weißem Marmor bestanden hätte. Es gab kleine Läden, Restaurants, Wohnungen, Büros... allerdings waren nur zum Teil Menschen auf den Straßen unterwegs. Es flatterten Elfen umher, die Finn mir alle im Vorbeigehen vorstellte: „Das da vorne ist Max. Netter Kerl. Ah und da kommt Mary. Sie hat mit mir zusammen die Ausbildung gemacht. Oh, das ist Carl“, er unterbrach seinen Redeschwall und schwirrte um mich herum, sodass ich ihn von den Blicken des anderen Elfen abschirmte, und antwortete auf meinen verwunderten Blick, „dem schulde ich noch Geld. Lange Geschichte.“
Aber auch sonst war die Stadt von den merkwürdigsten Wesen bevölkert. Ich sah Riesen, Zwerge, weitere Zentauren und sogar einen Mann mit einem Falkenkopf.
Nach einer Weile stellte ich fest, dass mein Magen knurrte. Da es bei unserem Aufbruch Nacht gewesen war, als wir in „Mandoria“ ankamen aber schlagartig Mittag, wusste ich nicht genau, wie viel Zeit vergangen war. Jedenfalls hatte ich ziemlich lange nichts gegessen. Ich fand, wenn Finn mich schon hierher entführt hatte, sollte er wenigstens dafür sorgen, dass ich nicht verhungerte. Also wandte ich mich an ihn: „Kriegt man hier irgendwo was zu essen?“
„Klar, wir sind hier in der Hauptstadt! Was willst du essen?“
„Ähm, keine Ahnung. Was gibt’s hier denn so?“
Finn zeigte auf ein kleines, mit einer blau-weiß gestreiften Markise überspanntes Haus: „Wie wär’s mit einem Sandwich?“
„Einem Sandwich?“, irgendwie hatte ich nicht erwartet, dass in dieser Stadt Sandwiches verkauft würden, „Klar, gerne!“
In dem kleinen Restaurant befanden sich eine saubere Theke und einige Steh- und Sitztische. Es hätte ganz normal ausgesehen, wenn sich an dem einzigen besetzten Tisch nicht zwei Frauen unterhalten hätten, deren Haut blassgrün schimmerte, genau wie ihre langen Kleider, und in deren Haare Blätter und Zweige geflochten waren.
Der Mann hinter dem Tresen schien allerdings durch und durch menschlich zu sein. „Morgen“, grüßte er und wischte sich die Hände ab, „Bitte?“
Finn deutete auf die mit Schildchen beschrifteten Sandwiches, die hinter einer Glasscheibe zu sehen waren. Neben merkwürdigen Zutaten wie „Nektar“ oder „blutigem Steak“ gab es auch Sorten, die man in der Schulcafèteria kaufen könnte. Ich bestellte ein Putensandwich und Finn ein vegetarisches. Dann reichte er dem Verkäufer einige Münzen.
„Du musst nicht für mich bezahlen“, wehrte ich ab.
Er grinste. „Doch muss ich, du hast kein Geld. Jedenfalls kein mandorisches.“
„Okay“, mir fiel ein, dass ich auch kein anderes Geld hatte, weil ich absolut nichts aus dem Internat mitgenommen hatte, „...Danke.“
„Passt schon“, meinte er gönnerhaft, flatterte vor mir aus der Tür, biss in sein Miniatursandwich und fügte mit vollem Mund hinzu: „Beeilen wir uns. Zalador müsste im Palast sein. Das ist noch ein gutes Stück Weg.“ Er deutete auf das riesige Gebäude mit der Glaskuppel, das über allen anderen Häusern aufragte. Da gingen wir also hin?
„Also dieser... Zalador“, fragte ich, „der wohnt da drin?“
Finn lachte. „Quatsch! Der König wohnt im Palast. Zalador ist nur ein Zauberer... ‚Nur’ natürlich in Anführungsstrichen. Deshalb hat er auch so einen merkwürdigen Namen. Wenn jemand mit magischem Talent seine Ausbildung zum Zauberer beginnt, legt er seinen Namen ab und nimmt den Vornamen eines der ersten Zauberer an. Einen Nachnamen braucht er nicht. So viele Zauberer gibt es nämlich nicht... In der Königsfamilie ist das genauso. Alle haben Namen des ersten Königsgeschlechtes von Mandoria“, er hielt inne, als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, „Naja, wie auch immer. Jedenfalls ist Zalador nicht der König.“
„Also was macht er dann da oben?“
„Der König braucht ihn bezüglich einiger derzeitiger... Ereignisse als Berater.“
„Aha...“, es war klar, dass er dazu nichts weiter sagen wollte, also wechselte ich das Thema, „das Sandwich ist super. Aber gibt es wirklich Leute, die Sandwiches mit blutigen Steaks bestellen?“
Finn zählte an seinen Fingern ab: „Vampire, Werwölfe, manche Mischwesen... ne ganze Menge um ehrlich zu sein.“
Ich schluckte, „Und du bist sicher, dass du mir nicht erklären willst, wo ich hier bin?“
„Absolut“, meinte er vergnügt, „Ich liefere dich bei Zalador ab und damit ist mein Auftrag erledigt.“
„Finn!“, dröhnte eine Stimme, „Was für eine Überraschung!“ Finn fuhr herum und lächelte gequält, als er einen dicken Elfen mit Schnurrbart entdeckte. „Barry. Was machst du denn hier?“
„Ich wurde befördert“, polterte Barry, „Sitze jetzt hier in der Hauptstadt. Einer der Leiter der MKZ. Zuständig für das Gebiet Antera.“
Finn nickte höflich: „Das ist toll für dich.“
Ich sagte nichts. Da mich der dicke Elf geflissentlich ignorierte, hatte ich keine besondere Lust am Gespräch teilzunehmen. Stattdessen starrte ich zu der vergoldeten Glaskuppel des Palastes hinauf, auf den die breite Straße, an der wir standen, zulief und spielte gedankenverloren mit dem Amulett, das Finn mir gegeben hatte.
Plötzlich keuchte Barry auf, riss die Augen auf und seine Mütze vom Kopf. Einen peinlichen Moment lang dachte ich, er würde meine Brust anstarren, aber dann begriff ich, dass es das Amulett war, das ihn so faszinierte. ‚ Einer der mächtigsten Gegenstände die existieren. Oder je existiert haben’, hatte Finn gesagt. Ich ließ den Anhänger los, als hätte ich mich schon wieder an ihm verbrannt.
„Ist das...?“, japste der Elf. „Genau das“, meinte Finn mit plötzlich stolzgeschwellter Brust, „und ich bin ihre Eskorte. Du wirst also verstehen, dass wir leider nicht viel Zeit haben.“ Der Elf nickte heftig und flatterte davon, wobei er immer wieder über die Schulter zurücksah.
„Mein Cousin Barry“, erklärte Finn und flog weiter in Richtung Palast, „nerviger Angeber. Du hast ihn ganz schön geschockt.“ Er grinste. „Aber jetzt steck das lieber weg“, er deutete auf das Amulett und ich ließ es unter meinem T-Shirt verschwinden.
Schließlich standen wir vor dem Palast. „Okay, ich werde Zalador holen“, meinte Finn, „Warte hier einen Moment.“ Er schwirrte auf das vergoldete Tor zu, dass sich von selbst vor ihm öffnete und hinter ihm wieder schloss.
So plötzlich alleingelassen ließ ich mich auf den Marmorstufen nieder und lehnte mich gegen eine Säule. Mir schwirrte der Kopf, aber ich war mir nicht sicher ob ich krank war oder ob das an der Verwirrung lag. Vielleicht war ich wirklich krank. Vielleicht hatte ich mir das alles im Fieberwahn zusammengeträumt und würde am nächsten Morgen im Krankenflügel des Internates aufwachen. Anderseits bezweifelte ich, dass mein fieberkrankes Gehirn so viel Fantasie hätte.
Ich hob den Kopf, aber als ein Mann mit Ziegenbeinen vor mir die Straße entlangspazierte, schloss ich lieber wieder die Augen. Einen Moment versuchte ich den Lärm der Stadt auszublenden und den kühlen Marmor der Säule an meiner Wange zu fühlen. Aber plötzlich ertönte hinter mir ein ohrenbetäubendes Krachen und Scheppern. Ich fuhr herum. Der Krach kam aus dem Inneren des Palastes. Ich erstarrte vor Schreck, als das riesige goldene Tor mit einem Knall aus den Angeln gestoßen wurde und ein schlangenartiger, über fünf Meter langer, schwarzer Drache daraus hervorstieß. Ich registrierte noch, dass er etwas Glitzerndes in den Klauen hielt, bevor ich mich reflexartig auf den Boden warf und das Monster über mich hinwegzischte. Bevor ich wieder auf die Beine kam, schoss etwas Goldenes an mir vorbei und warf sich auf den Drachen.
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