Der Facharzt für Psychotherapie Dr. Camara war ein bisschen verdutzt, da er nicht wusste wer am Apparat war und worum es ging. Die Stimme war die einer weiblichen Person, die er nicht zuordnen konnte.
Normalerweise war er nicht so früh in der Praxis und ging auch nicht ans Telefon, wenn er nicht direkt angerufen wurde. Seine direkte Nummer hatten nur wenige Leute, sonst kamen alle Anrufe nur über das Sekretariat. Aber heute war er sehr früh in der Praxis, weil er an der Uni einen Kurs leiten musste. Er hatte gedacht, dass es etwas Ernstes sein musste, wenn jemand so früh anrief, deswegen war er ans Telefon gegangen. Er erkannte alle seine Patienten und Klienten an ihrer Stimme. Aber diese Stimme kannte er nicht. Sie kam ihm nicht bekannt vor.
„Guten Tag noch einmal, wer sind Sie bitte, darf ich wissen, mit wem ich rede?“, fragte er ruhig und höflich.
„Wer ich bin? Das spielt keine Rolle. Ich habe Ihnen vor einer Woche eine Mail geschickt und Sie gebeten mir so schnell wie möglich einen telefonischen Termin zu geben, bevor noch Schlimmeres passiert“, sagte Johnny.
„Ich verstehe Sie nicht. Wer sind Sie und was wollen Sie? Brauchen Sie Hilfe? Von welcher Mail sprechen Sie? Sagen Sie mir zumindest, wie Sie heißen, damit ich die Mail zuordnen kann. Ich bekomme sehr viele Mails und da ich mit Ihnen noch nie gesprochen habe, kann ich Ihre Stimme nicht zuordnen.“
Johnny blieb einige Sekunden stumm in der Leitung.
„Hallo, wenn Sie nicht sagen wollen, wer Sie sind und was Sie wollen, dann werde ich auflegen“, sagte Dr. Camara.
„Tun Sie das nicht. Wagen Sie nicht aufzulegen ohne zu hören, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Sie haben schon genug Unheil mitverantwortet. Sind Ihnen die zwei Toten von vorgestern nicht genug? Haben Sie nicht davon gehört? Wie viele Tote wollen Sie noch sehen, bevor Sie das tun, was ich von Ihnen möchte? Hätten Sie auf meine Mail geantwortet, würden die zwei Menschen vielleicht noch leben. Sie tragen die Verantwortung dafür. Eine schwarze Studentin oder ein schwarzer Student wird heute in Frankfurt am Main, wo Sie praktizieren und lehren, die Kehle durchgeschnitten bekommen, falls Sie jetzt auflegen und nicht mit mir reden“, drohte Johnny M. Walker.
„Was wollen Sie eigentlich? Hören Sie, ich habe keine Zeit für Ihre Drohungen. Das ist verrückt“, erwiderte Dr. Camara genervt.
„Ich bin verrückt? Sie sagen es ja selbst. Sehen Sie, ich bin verrückt, deswegen sollten Sie, nein, müssen Sie mir helfen. Ich brauche Ihre Hilfe und es ist dringend“, flehte Johnny.
„Ich muss gar nichts. Lassen Sie mich in Ruhe und rufen Sie nie mehr hier an, sonst informiere ich die Polizei und Sie wird ermitteln, wer Sie sind und Sie stellen. Auch, wenn Sie jetzt anonym anrufen. Man kann trotzdem herausbekommen, von wo Sie angerufen haben. Deswegen machen wir einen netten Kompromiss. Sie legen auf, wir vergessen alles, ich informiere die Polizei nicht und Sie rufen nie wieder hier an. Ist das nicht eine gute Lösung?“, versuchte der Psychotherapeut sich aus der Affäre zu ziehen.
„Herr Camara, schauen Sie unbedingt heute um 20 Uhr die Nachrichten und dann rufe ich sie morgen um Punkt 8 Uhr an, verstanden? Wehe, wenn Sie nicht um 8 Uhr am Telefon sind und, sehr wichtig, informieren Sie nicht die Polizei. Sonst bringen Sie die Leben Ihrer Landsleute und Ihrer Familie noch mehr in Gefahr. Ich hoffe...“
Der Arzt legte prompt auf und murmelte zu sich. Was für eine verrückte Frau, sie ist krank, sie ist krank, sagte er und beeilte sich nach draußen zu kommen. In einer halben Stunde hatte er eine Vorlesung an der Goethe Universität Frankfurt.
Dr. Camara ahnte nicht, dass dieser Anruf sein ruhiges und erfolgreiches Leben für immer in eine Hölle verwandeln würde.
Darmstadt, am Woog,
Donnerstag, 07.01.2010, 10 Uhr 05
Johnny M. Walker liebte Sport. Seit einer Stunde rannte er um den Woog-Badesee. Das war sein Lieblingsparcours; immer am Woog entlang, zwischen dem Spielplatz und dem Naturfreibad, um die Ecke lief er die Treppen hinunter in die Mülleranlage, ein Garten- und Spielplatz, den er umrundete, und kam auf die Landgraf-Georg-Straße, wo sich die Jugendherberge befindet, und lief weiter um den See bis zu den Sportplätzen der TSG 46. Am Sportplatz blieb er ein paar Minuten und machte Fitnessübungen. Danach joggte er weiter nach dem gleichem Schema. So war es fast jeden Tag.
Heute allerdings war es ein bisschen anders. Bei der nächsten Runde blieb er vor dem Kleinkinder-Spielplatz mit der Spielburg und der Spielhöhle stehen. Dort spielte nur ein kleines Kind mit seinen Eltern.
Johnny M. Walker setzte sich auf eine Bank, von dort aus hatte er eine hervorragende Aussicht auf den gefrorenen Woog. Alles sah so schön aus, es war sehr kalt, aber die Sonne schien und viele Menschen waren schon auf dem Woog und rutschten und Schlittschuhläufer drehten ihre Runden.
Der Tag war einfach schön, aber nicht für Johnny M. Walker. Er war immer noch stinksauer, dass der Psychotherapeut ihn nicht ernst genommen und einfach aufgelegt hatte. Er brauchte doch so dringend Hilfe. Er wollte nicht mehr töten. Damit er ernst genommen wurde, musste er wohl seine Drohung umsetzen.
Er machte seine Augen zu und überlegte, wie er diesmal vorgehen würde. Er fand keine richtige Idee. Als er seine Augen wieder öffnete, sah er eine schwarze Frau vorbei joggen. Man konnte eine sehr schöne Frau erkennen, obwohl sie, wahrscheinlich wegen der Kälte, fast total, bis auf das Gesicht, vermummt war. Ihr Hintern wackelte kaum, obwohl er nicht klein war, was auf einen knackigen Po hindeutete.
Er schaute ihr nach und wartete, dass sie wiederkam. Nach ca. 20 Minuten kam sie wieder vorbei, und sie sah ein bisschen angestrengt aus, es war auf ihrem Gesicht zu sehen, dass es nicht einfach war in dieser Kälte zu joggen. Dieses Gesicht erinnerte Johnny an die Lust, den Orgasmus und die Schmerzen, wenn er seine Opfer tötete. Er bekam ein komisches Gefühl, das eine plötzliche Erektion verursachte.
Plötzlich spürte er, wie sein Adrenalin nach oben schoss. Es wurde immer mehr und mehr, seine Anregung und Erregung führten zu noch mehr Mordgedanken, die wiederum die Adrenalinausschüttung noch mehr anregten. Er stand sofort auf, rannte wie verrückt über die Heinrich-Fuhr- Straße, bog in die Heidenreichstraße und rechts in die Gundolfstraße, wo er wohnte. Ohne die Leute zu grüßen, die sich im Flur unterhielten, bewältigte er die 10 Stufen der Treppe bis zur seiner schicken Wohnung wie ein Extremsportler.
Er ging sofort ins Bad, zog sich aus und zwischen seinen Beinen entfaltete sich ein riesiger steif erigierter Penis. Gott hatte ihn gut bestückt, lächelte er böse, als er ihn in seine rechte Hand nahm. Mit der linken Hand sprühte er Massageöl darauf und fing an, kräftig zu onanieren.
Langsam regte er sich auf, denn er hatte nach 15 Minuten immer noch keinen Orgasmus, obwohl er sich schon so konzentrierte, dass sein Kopf platzen könnte. Er versuchte es noch circa 2 Minuten, dann ließ er genervt davon ab, wusch seine Hände und ohne sich zu duschen, wie sonst immer nach dem Sport, zog er sich schnell an.
5 Minuten später war er wieder draußen und eilte zur Bushaltestelle in der Roßdörfer Straße. Eine Minute später saß er im K-Bus. Er wollte noch mit dem nächsten Regionalzug nach Frankfurt am Main fahren. Er saß im Bus und sein ganzer Körper juckte ihn. Er war so wütend. Zuerst wurde er von Dr. Camara abgewimmelt, und jetzt noch von seinem Penis. Warum konnte er nicht einfach so einen Orgasmus bekommen? Warum bekam er überhaupt nur Lust, wenn Schmerzen zu sehen waren? fragte er sich. Er war sichtlich sehr wütend, auch wenn er versuchte, das in der Öffentlichkeit mit einem kleinen Lächeln hier und da zu unterdrücken.
„Du musst es tun, du wertloses Kind, du musst dich revanchieren. Niemand liebt dich, nicht einmal dein Penis. Geh und tu es noch brutaler. Du böser Junge“, sagte wieder diese Stimme, die er der Rebell nannte. Die Stimme klang immer sehr männlich in seinem Ohr.
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