Er atmete tief ein und aus und ging in das Gebäude des Postamts, mit dem Brief und dem Paket.
Er blieb nicht lange. Es ging relativ schnell. Nach einigen Minuten kam er wieder hinaus und lächelte. Er strahlte förmlich und sah noch schöner aus, als er sowieso schon war. Wer konnte ahnen, dass dieser Mensch, den man für einen Schauspielstar halten könnte, über 10 Personen auf dem Gewissen hatte? fragte er sich grinsend selbst.
Er stieg in das Auto seines Vaters und machte das Radio an. Es lief gerade: „ Don't you forget about me”von den Simple Minds.
”Oh my God, oh my God”, schrie er laut und schlug auf das Lenkrad. „Das ist der Beweis. Das ist das Zeichen, ja, das Zeichen, dass auch die Götter mich für immer befreit haben. Das war das Zeichen. Ja, das ist wahrlich das Zeichen, dass mein Leben jetzt wieder neu anfängt“, schrie er weiter vor Freude. „Ja, mein Leben fängt wieder an, da, wo es aufgehört hatte, nämlich vor circa 25 Jahren.“
Er dachte an all diese Zeit, ohne traurig zu sein. Er war doch schon befreit. Dieses Lied, Don't you forget about mevon den Simple Minds war damals sein Lieblingslied gewesen; das Lied, das seit diesem Abend in der Badewanne aus seinem Gedächtnis gelöscht gewesen war, und das ihn erst jetzt, nach mehr als 25 Jahren, wieder willkommen hieß und fröhlich in seinem neuen Leben empfing.
Er sang den Text mit und fuhr los wie im Drogenrausch.
Won't you come see about me
I'll be alone, dancing, you know it, baby
Tell me your troubles and doubts
Giving me everything inside and out
Love's strange, surreal in the dark…
Er spürte mit diesem Lied einen Wind der Erlösung, einen Wind der Hoffnung, einen Wind von Veränderung. Er vermischte den Text mit eigenen Worten.
Yeah, yes nothing is permanent in this world,
only God can decide about your destiny, nobody else.
That it's never too late to dream your dream,
I will not only survive , I will live, yes I can, yes I will live, yes you can be happy again,
yes I can, yes ….
Nun war er sicher, er war überzeugt, dass er wieder normal war: „Wow, ich werde nie mehr, nie mehr morden. Ich kann nun wieder normalen Sex haben, ich bin frei“, sagte er laut und fuhr weiter zu einer Pension. Er wollte sich ausruhen und dann später essen gehen.
85 Meilen von Houston, Beaumont, Texas, USA
Walden Rd,
Dienstag, 02.02.2010, 17 Uhr 20
Abends gegen 17 Uhr 30 fuhr Johnny zu einem Fastfood-Restaurant gleich in der Nähe des Hotels. Er bestellte ein gegrilltes Alligatorensteak und setzte sich hinten in die Ecke, wo er den Haupteingang sehen konnte. Beim Essen dachte er an Melissa, seine erste große Liebe. Melissa war ein Transvestit gewesen, den er aus Eifersucht umgebracht hatte, und es war hier in Beaumont geschehen, nicht weit von diesem Restaurant. Er hatte sich so verletzt gefühlt und im völligen Blackout hatte er zugeschlagen.
Ein kurzer Moment des Gespräches im mit Prof. Dr. Camara, Arzt für Psychotherapie , in dessen Praxis in Frankfurt Januar 2010 erschien wieder in seinem Kopf. Er sah in seinem Kopf den Doktor ganz genau vor sich. Er saß auf seinem kleinen Stuhl, während Johnny auf einer eleganten, großen, luxuriösen Couch saß.
Johnny:Diese Schlampe. Sie hat mir die ganze Zeit etwas vorgemacht. Ich wollte nicht mit einem Mann schlafen, mit einem Mann zusammen sein, verstehen Sie, ich wollte es nicht.
Dr. Camara:Sie nennen sie Schlampe. Heißt das, Sie haben sie doch geliebt und waren nun verletzt und wütend, zornig und enttäuscht über das, was sie getan hat?
Johnny:Ja, verdammt noch mal, ja, ich habe sie geliebt. Und sie? Sie hat wieder nur das von mir genommen, was sie wollte. Sie hat mich verarscht, auch sie, auch sie und ich dachte…
Dr. Camara:Wollen Sie vielleicht erzählen, was da passiert ist? Was Sie da gesehen haben? Was ist an diesem Abend passiert? Was hat Sie so verletzt und so wütend gemacht, dass Sie Ihre Liebe umbringen mussten?
Er erinnerte sich, wie der sonst so kontrollierte und gefühlsneutrale Dr. Camara unbewusst sein Mitgefühl gezeigt hatte, als er ihm die Geschichte in der Therapiesitzung erzählte.
„Nein, was ich da gesehen habe damals in Beaumont, in diesem Haus am Wasser, war echt … Melissa? Wie…“, er beendete den Satz nicht.
Aber heute glaubte er trotzdem, dass sie unschuldig war. Alle diese Toten, bis auf seinen Vater, seinen Halbbruder und der Freundin seines Vaters, waren unschuldig, sagte er sich. Alles hatte mehr mit ihm selbst zu tun, aber mit dem damaligen „ihm“, nicht mit dem jetzigen Johnny.
Er lehnte es vehement ab, die Verantwortung für den damaligen, von Dritten zerstörten Johnny zu übernehmen. Die Verantwortlichen hatten nun ihre Strafe auf Erden bekommen, und was nun da oben vor Gott mit ihnen passieren würde, würde er erfahren, wenn er auch dort ankam, sagte er tief zufrieden und schaute auf das gegrillte Fleischstück auf seinem Teller.
Das Krokodilsteak schmeckte ihm echt lecker. Es war das erste Mal, dass er wildes Fleisch aß. Noch ein Zeichen, dass alles anders geworden war. Er dachte an Lina aus Deutschland, die sexuell frustrierte Ehefrau, die auf einmal ihre luderhafte und perverse Seite entdeckt hatte. Nach außen die perfekte Ehefrau, die, wie sie selbst sagte, jede Gelegenheit nutzte um das Fremdgehen zu verdammen.
Sie hatten noch vor vier Tagen in Darmstadt, in ihrem Ehehaus, abends als ihr Mann schlief, miteinander gebumst. Er nannte das nicht „miteinander schlafen“. Miteinander schlafen ging anders, meinte er. Es ging nur mit Liebe. Das war bumsen, vögeln. Sie vögelten beide, wie zwei Menschen, die sich selbst hassten und sich selbst und anderen wehtun wollten. Er erinnerte sich an den sadomasochistischen Sex mit ihr und schmunzelte. Sie hatten mehrmals Sex bei ihr zuhause gehabt, während ihr Mann bei der Arbeit war oder oben schlief. Das war der pure Wahnsinn. Wenn eine Frau es will? schmunzelte er. Und der arme Mann würde abends nach Hause kommen und schwören, wie treu seine Frau sei. Dann ruderte er zurück: Ha, wer weiß, was er selbst in seiner Mittagspause, oder bevor er nach Hause kam, unterwegs machte, oder wenn er angeblich beruflich verreisen oder länger arbeiten musste? Er wusste von diesen Mittagspausen-Sex-Treffen in und um Frankfurt in privaten Wohnungen, meistens mit Führungskräften. In der Zeit um die Mittagspause und um Feierabend ist die Kaiserstraße in Frankfurt am Main sehr belebt. Alle Menschen sind treu, obwohl den Umfragen zufolge mehr als jeder zweite Deutsche, Frauen wie Männer, fremdgeht. Eine Scheinwelt der Treuen, wo fast jeder fremdgeht, aber trotzdem die Treue verteidigt und Untreue verdammt. In Ländern wie Afrika ist es besser. Dort geht es zumindest offener zu, und die Menschen stehen dazu, lächelte er spöttisch und abwertend und dachte dabei auch an Bill Clinton und die Kennedys.
Ja, er dachte an Lina. Und er war sich sicher: Sie musste etwas geahnt haben von seinen Taten. Sie liebte die Gefahr. Sie tat immer so, als ob sie wollte, dass er sie beim Sex tötete. In dieser Zone zwischen Tod und Leben bekam sie ihre explosivsten Orgasmen. So eine schöne Frau, eine unschuldige Mutter, eine treue Seele und exemplarische, gute Gattin, würde man sagen. Man würde nie denken, dass sie so etwas tun würde, schüttelte er den Kopf höhnisch und murmelte „Stille Wasser sind tief und besonders Leute , die laut dies oder das fast fanatisch verdammen und verurteilen; ja, diese Menschen, die sofort bestimmte Handlungen der anderen vehement als etwas Böses verurteilen, diesen Menschen sollte man in ihr Inneres schauen. Siehst du eine Person, die kategorisch Untreue verabscheut, dann sei sicher, dass gerade Sex mit anderen Menschen die Fantasien dieser Person ständig beflügelt“, sagte er sich. So war es am Anfang auch mit Lina. Ha, der Mensch mit seinen perversen Seiten, lachte er.
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