„Wenn Sie sich in der Sache engagieren wollen, kann ich ihnen vielleicht helfen. So, wie ich Holler auch geholfen hätte.“ Unter den gegebenen Umständen klang diess allerdings unfreiwillig recht makaber. Steiner blickte auf seine einfache Armbanduhr, die noch ein DDR-Relikt zu sein schien. „Treffen wir uns morgen zum Mittagessen, in Brno, auf der Festung. Aber passen Sie auf, dass ihnen niemand folgt.“
„Sie haben noch etwas in der Hinterhand?“, fragte Freysing, erneut aufmerksam geworden. Irgendwie wollte Steiner noch nicht recht mit der Sprache heraus.
„Möglicherweise. Aber dazu muss ich mich noch mit jemandem Treffen.“
„Sie wollen mir nicht verraten, mit wem?“
„Der Name würde ihnen nichts sagen. Es ist ein alter Freund von damals. Er war ´89 in der Botschaft, als Genscher in Prag seine Ansprache hielt.“
„Lassen sie mich raten. Hauptverwaltung Aufklärung , Abteilung römisch III, oder so etwas…“
„Denken Sie, was sie wollen“, lächelte Steiner, mehr wissend als er herausließ.
„Und der ist hier? In Brno?“
„Nein. In Prag. Aber bis morgen Mittag bin ich zurück.“ Die tschechische Hauptstadt befindet sich lediglich zwei Autostunden von Brno entfernt.
„Dann zeigen sie mir jetzt mal genau, wo man Holler aufgefunden hat.“
Es hatten sich keine neuen Anhaltspunkte dazu ergeben, wo genau der deutsche Agent ermordet worden war, aber es konnte eben durchaus im Bereich unterhalb der Burg geschehen sein. Allerdings einige Tage vor dem geplanten Treffen mit Steiner, denn Hollers Leiche hatte ja gewisse Zeit im Wasser verbracht.
*
Freysing war nach einer kurzen, aber nicht weiterführenden Uferbesichtigung gemeinsam mit dem früheren Stasi -Major in dessen Wagen, einem älteren grauen Ford Fusion , nach Brno zurückgefahren, wo sich ihre Wege erst einmal trennten. Er überlegte, Hollers Geliebter Irina einen kurzen Besuch abzustatten, traf sie aber zuhause nicht an und kam zu dem Schluss, dass sie wohl ihren Kummer mit Arbeit zu bekämpfen versuchte. Dort, in der Klinik, wollte er nicht unbedingt in Erscheinung treten, zudem besaß er keinerlei Befugnisse der zuständigen Behörden, hier irgendwelche Recherchen anzustellen. Daher begab er sich zur Pension, um den weiteren Bericht für seine Dienststelle zu verfassen. Am Empfang teilte man ihm mit, dass Oberinspektor Blansko auf der Suche nach ihm gewesen sei, und gebeten habe, er möge sich bei ihm melden. Sax tat nichts dergleichen und setzte sich erst einmal im Zimmer an seinen Laptop. Neben einem Bericht sandte er auch eine Anfrage wegen Ex-Major Steiner zur Zentrale, und bekam umgehend die Antworten, nach denen er verlangte. Er sollte somit für das morgige Gespräch mit diesem deutlich besser vorbereitet sein als beim ersten überraschenden Wiedersehen.
Steiner schien die turbulente Wendezeit ohne nennenswerte Nachteile überstanden zu haben und wurde vom BND zunächst als Vertrauensmann im Rahmen der HUMINT-Aktivitäten geführt. Später half er bei der Wiederherstellung und Aufarbeitung der Stasi-Akten in der Gauck -Behörde und konnte sich offenbar auf diese Weise rehabilitieren. Der BND verwendete ihn seinerzeit allerdings auch dazu, die Rekonstruktion gewisser gehäckselter Akten, welche allzu genau auf die Tätigkeit des westdeutschen Geheimdienstes in der DDR hinwiesen, zu verhindern. Später wurde er aufgrund seiner früheren Tätigkeit zum gelegentlichen Ost-Analysten auf Einzelhonorarbasis. Steiner war inzwischen zweimal geschieden und in dritter Ehe mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau verheiratet. Sein gegenwärtiger Wohnsitz befand sich in Pirna. Der Dienst in Berlin stufte ihn intern als lediglich bedingt vertrauenswürdig und nicht mehr aktiv ein. Es gab ein umfangreiches Dossier, wie es von allen Bediensteten angefertigt wird, die in irgendeiner Weise für den Bundesnachrichtendienst tätig sind oder es einst waren.
Das Sicherheitsunternehmen, dessen Namen Steiner Freysing verraten hatte, besaß ebenfalls eine digitale Akte, wenngleich diese auch nicht sehr umfangreich war. Offenbar hatte es bislang keinen Grund für eine genauere auslandsgeheimdienstliche Durchleuchtung gegeben – nur die üblichen sachrelevanten Nachforschungen durch den MAD und den Verfassungsschutz in speziellen Fällen. Gegründet worden war es gegen Ende 1993 als Kapitalgesellschaft in Form der Tochter einer weiteren anonymen Gesellschaft. Die Geldgeber, sämtlich Personen ohne Auffälligkeiten, traten weder besonders in Erscheinung, noch wurde sonst wie bekannt gemacht, aus welcher Quelle die eine Million Deutsche Mark stammte, die für die Etablierung des Unternehmens notwendig war. Lediglich ein aktueller Geschäftsführer wurde genannt, aber dessen Name sagte Freysing nichts. Möglicherweise handelte es sich dabei aber, sollte es nicht mit rechten Dingen zugehen, ohnehin um einen bedeutungslosen Strohmann. Die weiteren Angaben bezogen sich dann auf diejenigen einzelnen Mitarbeiter, die vor Ort in Prag die fraglichen Tätigkeiten an den GNSS-Systemen ausführen sollten. Sie waren besonders intensiv durchleuchtet worden, allerdings ohne dass Auffälligkeiten zu Tage gefördert wurden. Auch deren Namen waren Freysing bislang sämtlich unbekannt. Eine weitere Sackgasse.
Wenn sich allerdings tatsächlich Hinweise auf einen Sabotageakt gegenüber der GNSS-Zentrale konkretisieren würden, dann musste sein Dienst das wissen, und er teilte den Anfangsverdacht dorthin sofort mit. Die Anweisung Stoessners dazu unterschied sich nicht von dem, was er ohnehin vorhatte: Das Gespräch mit Steiner abwarten, dann das Notwendige tun, damit die Dienste nicht ins Licht der Öffentlichkeit gerieten, und schließlich nach Deutschland zurückkehren. Fall erledigt, Akte geschlossen.
Eine ruhige Nacht und einen gemütlichen Vormittag im Pensionszimmer später wollte Sax sich gerade auf den Weg zur Festung Špilberk und dem Treffen mit Steiner begeben, als ihm Blansko und dessen Assistent im Eingangsbereich entgegentraten.
„Ach, Herr Freysing! Das ist ja gut, dass wir sie noch antreffen. Wir befürchteten beinahe schon, sie wären abgereist“, bemerkte Blansko ein wenig süffisant.
„Doch nicht, ohne ihnen vorher Bescheid zu geben“, betonte Sax mit bemühtem Ernst. Insgeheim aber dachte er: Die haben mir gerade noch gefehlt. „Gibt´s denn etwas Neues bezüglich des armen Marius Holler?“, fragte er stattdessen.
„Wir haben gestern sein Zimmer hier durchsucht. Wissen sie bestimmt. Aber nicht viel gefunden. Nicht einmal seinen Laptop!“, sagte der ältere Kriminaler, und bedeutete Freysing, ihnen zum Wagen zu folgen. Der Skoda stand nur wenige Schritte entfernt am Straßenrand im Halteverbot. Ein Motorradpolizist hatte mit seiner Honda XL125V Varadero soeben dahinter angehalten, um dem offensichtlichen Verkehrssünder eine Verwarnung zu schreiben, doch ließ er davon ab, als er Blansko erkannte. Er steckte das spezielle Pad für die Datenerfassung wieder ein, tippte kurz an seinen Helm und fuhr zügig davon.
„Besaß er denn einen?“, fragte Freysing beinahe eine Spur zu dreist.
„Der pokojská(*1) nach, ja. Aber das Gerät ist weg.“
„Sehr schade.“ Das Bedauern in der Stimme des Agenten wirkte eigentlich eine Spur zu übertrieben. Blansko würde sich vielleicht auf die Schippe genommen vorkommen.
„Sie haben keine Idee, was mit dem Gerät passiert sein könnte?“
Freysing schob die Unterlippe überlegend nach vorn, schüttelte dann aber bedeutsam den Kopf und hob die Hände in resignierender Weise: „Leider nein!“. Der inzwischen manipulierte Laptop befand sich derweil im geheimen Zwischendeckel seines Aktenkoffers im Zimmer der Pension, aber es klang nun sehr überzeugend.
Die Beamten komplementierten Sax auf den Rücksitz des Fahrzeuges. Blansko nahm neben ihm Platz, während der jüngere Assistent fuhr – fast konnte man den Eindruck gewinnen, er sei festgenommen. Er sah dezent auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er nun wohl zu spät zu seiner Verabredung mit Steiner kommen würde. Aber das konnte er den Beamten ja schlecht sagen. Derjenige neben ihm bemerkte aber den eigentlich unauffälligen Blick auf die Zeit.
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