„Und was war das für eine Sache, der er auf die Spur gekommen ist?“
„ Galileo , Prag.“
„So heißt ein Hotel da, ja. Ich habe dort früher mal übernachtet. Was ist damit?“
„Ich meine nicht das Hotel, sondern das europäische globale Navigations-Satteliten-System, das Europa von den Amerikanern unabhängig machen soll. Dessen Sitz wurde dieses Jahr von Brüssel nach Prag verlegt. - GNSS .“
„ GNSS , ich weiß darüber ein wenig Bescheid. „Das europäische GPS, wenn man so will. Die Amerikaner sind nicht allzu sehr erfreut darüber, dass wir diesbezüglich etwas Eigenständiges aufbauen.“
„Deren eigenes GPS könnten sie für den Fall einer militärischen Krise stören. Aber nicht ein separates Europäisches System. Angesichts der Situation mit Russland ist das Thema sehr brisant geworden. Sicherheitsrelevant für die gesamte NATO.“
„Und da hat Holler sich ausgerechnet an Sie gewandt? Was haben Sie denn für einen Bezug dazu?“
„Er sprach davon, dass er Hinweise darauf erhalten habe, dass in der neuen GNSS-Sicherheitszentrale Sabotage betrieben werden solle, und das ich möglicherweise diejenigen kennen könnte, die damit zu tun hätten.“
„Klingt alles sehr vage. Was hat er ihnen sonst noch gesagt?“
„Dazu kam es nicht. Wir wollten uns hier treffen, vorgestern, auf der Burg. Ich hatte die Absicht, ihm alles zu erzählen, was ich weiß. Was indes nicht viel ist. Aber er ist nicht erschienen. Auf dem Rückweg nach Brno habe ich dann zufällig das Polizeiaufgebot am Stausee-Ufer gesehen, und gleich ein ungutes Gefühl bekommen. Ich bin hingefahren und habe mich unter die Schaulustigen gemischt, konnte aber nichts erfahren. Offenbar trug Holler keinerlei Papiere bei sich.“
„Dann erzählen Sie es einfach mir.“
„Eines nach dem anderen. Wir beide kennen uns zwar, und standen damals auf derselben Seite. Aber tun wir das heute auch noch? Ich meine, wie kann ich sicher sein, dass Sie wirklich für den Dienst arbeiten, so wie Holler?“
„Erwarten Sie jetzt vielleicht so etwas wie einen Ausweis?“
„Nein. Aber deswegen bin ich ihnen von Brünn hierher gefolgt. Ich musste vor allem sichergehen, dass sie niemandem im Voraus von unserer kleinen Zusammenkunft hier erzählen. Das haben sie wohl nicht. Und ich musste auch sichergehen, dass die Polizei sie nicht beschattet und wir vielleicht zusammen gesehen werden.“
„Wir haben es mit tschechischer Kriminalpolizei von 2014 zu tun, nicht mit dem SB von 1989!“, entgegnete Freysing. Er hatte sich also bei der Herfahrt nicht geirrt gehabt: Jemand war dem Taxi nachgefahren, und das war demnach nicht die Kripo.
„Und sie meinen, da gäbe es einen Unterschied? Der ermittelnde Beamte, Blansko oder so ähnlich, wenn ich mir den Namen am See unten richtig gemerkt habe, das ist doch einer von der alten Garde.“ Sie warteten ab, während ein älterer Herr mit einem Stockschirm gemächlich vorüberging und schließlich auf einer anderen Bank Platz nahm, die sich dreißig Meter entfernt befand. Weit genug weg, dass er sie nicht würde hören können. „Es gibt eine einfache Möglichkeit, mir zu zeigen, dass sie zum Dienst gehören“, sagte Steiner dann. Er zog eine „Sprachlos“ aus der Packung und steckte den Zigarillo in den Mund.
Freysing wusste, was Holler meinte. Es war zwar etwas aus der Mode gekommen, aber es gab immer noch so eine Art von Erkennungszeichen zwischen befreundeten, aber einander fremden Agenten. Daher fasste er in seine Hosentasche und holte ein Feuerzeug hervor. Es war eines von „Dunhill“ mit einer eingravierten Widmung.
„Woher wissen Sie davon?“, fragte er, als er dem Mann Feuer gab, es anschließend deutlich vor seinem Gegenüber in der Hand wechselte und in der anderen Hosen-tasche wieder verschwinden ließ. Ein unauffälliges kleines Zeichen, kaum zu bemerken von möglichen Beobachtern.
„Holler natürlich. Und vergessen Sie nicht, ich war mal bei der Stasi !“, antwortete Steiner sphinxhaft, der aufmerksam zugesehen hatte.
„Überzeugt Sie das?“
„Möglicherweise. Aber wer ist Susanne ?“ Die Gravur auf dem Feuerzeug beinhaltete diesen Namen, und Steiners Augen hinter der Brille schienen noch sehr gut zu sein. „Hieß ihre große Liebe damals nicht Sieglinde ?“
„Eine weitere verflossene Freundin“, tat Sax es mit einer kurzen, unwirschen Hand-bewegung ab. Er mochte darüber nicht so sehr reden.
„Na gut“, fuhr Steiner fort. „Kommen wir wieder zur Sache. Nach dem endgültigen Zusammenbruch unseres schönen Arbeiter- und Bauernstaates musste jeder sehen, wo er bleibt. Insbesondere diejenigen, die vorher für das System gearbeitet haben. Ich gehörte dazu, aber auch mein damaliger Vorgesetzter und noch ein paar andere. Einige der Kollegen haben nach der Wende in Dresden gemeinsam ein kleines Unternehmen gegründet. Werkschutz, Sicherheitskonzepte für Firmen und Institute, Bewachung technischer Anlagen in Krisengebieten, alles so etwas. Mich haben sie auch gefragt, ob ich einsteige, aber ich wollte in Leipzig bei meiner Familie bleiben.“
„Und?“
„Wir blieben alle lose in Kontakt. Später kam bei denen auch noch Computersicherheit dazu. Diese ganzen überstaatlichen Hackerangriffe der letzten Jahre haben ziemlich viele Leute in verantwortlichen Positionen aufgeschreckt, und der Markt boomt.“
„Worauf wollen sie hinaus, Steiner?“, zeigte sich Freysing ungeduldig.
„Na, worauf wohl? Dass genau jenes Unternehmen die sogenannte sicherheits-relevante Akkreditierung der GNSS-Systeme in Prag durchführt.“
„Dazu hat dieses doch aber eine ganze Reihe von Unbedenklichkeitsprüfungen durchlaufen müssen. Wenn es bei der Firma nicht mit rechten Dingen zuginge, dann hätte man sie damit bestimmt nicht beauftragt.“
„Ach ja?“, zeigte sich Steiner überrascht über so viel scheinbare Naivität.
„Übliches Procedere!“, meinte Freysing und zuckte kurz mit den Schultern.
„Sie haben damals Wirtschaftswissenschaften und Politologie studiert. Wenn Sie der Mann geworden sind, für den ich sie halte, dann sollte ihnen bekannt sein, dass es im militärisch-industriellen-Komplex alles andere als durchschaubar zugeht.“
Freysing überlegte, dass es durchaus möglich war, mit entsprechender politischer Unterstützung eine nicht zu tief gehende Unbedenklichkeitsprüfung auszutricksen. Vielleicht lag Steiner richtig. Aber hatte man deshalb Holler umgebracht? Nur wegen eines Verdachtes? Es erschien ihm nicht schlüssig.
„Wenn Holler etwas herausgefunden haben sollte, dann hat er es mit ins Jenseits genommen“, stellte Sax nachdenklich fest. „Und wenn Sie keine weiteren Informationen haben, endet damit die Geschichte. Ich könnte höchstens veranlassen, dass man die Sicherheitsfirma und deren Mitarbeiter noch einmal genauer unter die Lupe nimmt. Und dass man bei GNSS-Prag mal intensiver nachprüft, seitens der zuständigen Abteilungen.“
„Es ist mir egal, was sie mit den Informationen machen. Ich wollte lediglich behilflich sein“, knurrte Steiner. „Ich weiß, Menschenleben zählen in unserem Metier nicht viel, aber ich denke schon, dass es besser wäre, der BND fände heraus, was hinter der Angelegenheit steckt, bevor es die tschechische Kripo tut.“
„Dazu benötigte ich einen Ansatz. Ich sehe keinen. Ich soll bis jetzt nur verhindern, dass Blanskos Leute Hollers eigentliche Funktion in diesem Land weiter enttarnen, als sie es vielleicht schon getan haben. Um uns und unsere Kontakte zu schützen“, meinte Freysing und zuckte abermals die Schultern. Sax verriet Steiner damit kaum ein Dienstgeheimnis, die Vorgehensweise dürfte ihm als früheren Stasi-Fuchs absolut bekannt sein. Er war nicht begeistert. Es schien eine Sackgasse zu sein, trotz Steiners überraschendem Auftauchen. Also zurückfahren nach Brno, einen weiteren Bericht tippen, die Zentrale informieren, und sich dann empfehlen. Routine.
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