1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Kurz nachdem er die Pension verlassen hatte, fuhren der Skoda mit Blansko und dessen jüngerem Kollegen sowie ein Minibus voller Spurensicherungsspezialisten vor, um sich des Zimmers Hollers anzunehmen und dieses auszuräumen.
Freysing hielt ein Stück weiter die Straße herunter ein Taxi an und ließ sich von diesem hinaus zum Stausee bringen. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, noch etwas herauszufinden, dann dort, wo Holler zu Tode gekommen war. Was hatte der Agent bei dem Stausee gewollt? Ein konspiratives Treffen mit einem anderen Kontakt? Die Befragung der anderen V-Leute hatte nicht auf ein solches hingewiesen, aber der Anruf wies auf das Gegenteil hin.
Als das Taxi bereits den Stadtteil Bystrc verlassen hatte, glaubte der Agent, wie immer sehr achtsam, dass dem Taxi ein anderes Fahrzeug folgte, aber im fließenden Verkehr der Route 324 verlor er es schnell wieder aus den Augen und dachte nicht länger darüber nach.
Die genaue Fundstelle Hollers lag in einer stillen, abgelegenen kleinen Einbuchtung im nordwestlichen Teil des Stausees, wohin die Leiche durch die Strömung getrieben worden und erst einige Tage später entdeckt worden war. Trotz des goldenen Herbstwetters schienen nur wenige kleine, schnittige weiße Einhandsegelboote auf dem Stausee unterwegs. Burg Veveří war schon von weit her zu erblicken, sie lag genau in jener Gegend, die für die Ermordung Hollers in Frage kam. Diese konnte irgendwo dort, oder aber im oberen Verlauf der Svratka geschehen sein. Das mochte sicher auch der Polizei bewusst sein, aber Freysing rechnete eher nicht mit diesbezüglich besonderem Enthusiasmus der Ermittler, der sich zunächst einmal auf das nähere persönliche Umfeld des Deutschen aus Prag konzentrierte.
Freysing überlegte: Wenn er herausfand, wo genau Holler umgebracht worden war, dann ergab sich vielleicht eine Spur, die ihn zu dem Warum führte. Falls es mit dessen geheimdienstlichen Aktivitäten zu tun hatte, lag es nicht im Interesse des BND, dass die tschechische Polizei dies ebenfalls in Erfahrung brachte. Das war es, was Stoessner mit Kümmern Sie sich um Hollers Nachlass meinte, und Sax war eigentlich entschlossen, dies schnell und unauffällig abzuwickeln, und dann aus dem Land zu verschwinden. Der Anruf hingegen zog ihn tiefer in die Sache hinein. Er war angespannt und ließ sich vom Taxi direkt bei der Burg absetzen, die hoch auf einer Anhöhe etwa zwei Kilometer Luftlinie vom Fundort der Leiche aufragte. Sie war nordöstlich der Talsperre von einem Autohof abgesehen das einzige nennenswertere Anwesen auf dieser Seite der Flusses, bei dem Holler vielleicht etwas gewollt haben konnte. Gegenüber sah dies freilich völlig anders aus, dort war alles sehr touristisch ausgelegt.
Bei seiner Ankunft wirkten die verschiedenen teilweise eingerüsteten Gebäudeteile mit ihren hellen Renaissance-Fassaden und beinahe roséfarbenen Spitzdächern im Sonnenlicht märchenhaft schön. Das ohnehin gut erhaltene Bauwerk aus dem frühen 17. Jahrhundert mit seinen weitläufigen Befestigungsanlagen aus Gräben, Schanzen und Bastionen, welches sich seit fast hundert Jahren im Staatsbesitz befindet, wurde gerade aufwändig restauriert. Seine Ursprünge ließen sich einer Informationstafel zufolge sogar bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Eine Weile lang ging Freysing im Gelände umher, konnte aber niemanden ausmachen, der ihn vielleicht suchte.
Vom äußeren Wehrgang aus bekam man einen weiten Blick über die südöstlich gelegene dichte Waldlandschaft, durch welche sich die Svretka wand, die nahe des Fußes der Burg eine moderne nicht recht ins Bild passende schmale Spannbogen-brücke unterquerte. Alles wirkte äußerst friedlich und überhaupt nicht gefährlich.
Bis zum Treffen um ein Uhr blieb noch eine Weile Zeit, und bislang war Freysing noch von niemandem angesprochen worden. Er schloss sich daher einer kleinen Führung an, während welcher er weiter erfuhr, dass 1881 der Finanzmagnat Moritz Hirsch Gereuth zunächst Eigentümer der böhmischen Königsburg wurde. 1908 verbrachte dann der damals erst dreiunddreißigjährige Winston Churchill , seinerzeit britischer Handelsminister, einen Teil der Hochzeitsreise hier mit seiner frisch angetrauten Frau Clementine Hozier . Und im letzten Weltkrieg sei sie dann ein Wehrmachts- und SS-Lazarett gewesen. Es war eine recht bewegte Geschichte. Der Agent hörte aufmerksam zu und erinnerte sich hierbei einmal mehr der Worte seiner Ausbilder in jungen Jahren: Alles kann wichtig sein .
Falls Holler tatsächlich selbst hier gewesen war, würde das sicher einen besonderen Grund gehabt haben. Der Mann aus Prag war kein Tourist!
Die Zeit schien stehengeblieben zu sein in den Räumlichkeiten. Es gab typisches Mobiliar, Wandregale voller alter Bücher und Staffeleien mit den Konterfeis von Erbauern und zwischenzeitlichen Bewohnern aus verschiedenen Epochen. Die Erklärungen in den einzelnen verschiedenen Zimmern erfolgten auf Tschechisch und wurden dann in zwei Sätzen zusammengefasst in schlechtem englisch wiederholt, aber Freysing bekam keine Probleme damit, den längeren Ausführungen in der Landessprache zu folgen.
Als die Führung zu Ende ging und sich die buntgemischte Schar der übrigen Teilnehmer allmählich verstreute, zog Freysing ein Foto Hollers aus der Tasche, das aus dessen Personalakte stammte und ihn sehr lebendig zeigte. Er hielt es dem Leiter des Rundgangs, einem älteren Bediensteten der Burgverwaltung, unter die Nase. Dieser verneinte jedoch glaubwürdig, dass er den Mann darauf erkenne. Gut, es war einen Versuch wert gewesen, aber Holler besaß eigentlich ein Allerwelts-gesicht und verstand es wie jeder gute Spion, sich unauffällig zu verhalten.
Wieder im Freien, musterte Freysing - ohne sie jeweils anzustarren - die sich hier befindlichen Touristen. Er hielt seinen Blick mehr in die Natur gerichtet. Ein einsames Eichhörnchen kreuzte ein Stück weiter flink seinen Weg, erklomm dann geschickt eine Kastanie und verschwand im oberen sich bereits etwas lichtenden Blattwerk.
Einmal dachte Sax, er habe seinen Kontakt endlich ausgemacht, doch der Mann, der sich ihm näherte, fragte lediglich nach der Kasse für die Burgführungen. Es war inzwischen beinahe ein Uhr geworden.
Im Hof der Anlage befand sich ein kleines aufgeschlagenes Zeltlager, in welchem stattliche Zivilisten in historischen Uniformen das Armeeleben des 18. Jahrhunderts nachstellten. Während sich Freysing gerade an einer lebhaften Szene erfreute und die hier in die Hofanlage hereinfallenden wärmenden Sonnenstrahlen genoss, war erneut ein Mann neben ihn getreten. Dies war nichts grundsätzlich beunruhigendes, denn er befand sich keineswegs alleine hier, sondern war begleitet von weiteren Besuchern des Areals in einer sehr losen Ansammlung. Es dauerte auch einen Moment, bis derjenige bei ihm sich unverfänglich äußerte.
„Interessant, das Ganze!“, wurde Sax auf Tschechisch angesprochen. Die Stimme beinhaltete auch in den wenigen Worten jenen ostdeutschen Akzent, den Freysing bereits am Telefon vernommen hatte.
„Nicht mehr für die Einheimischen“, entgegnete Freysing in derselben Sprache. „Aber wenn man aus Mitteldeutschland stammt…“, fügte er hinzu und ließ den Satz unvollendet.
„Sie besitzen ein ausgezeichnetes Gehör!“, fuhr der Mann jetzt auf Deutsch fort und gab sich damit nicht mehr die Mühe, als Tscheche zu wirken. „Trotzdem, ein historisch bemerkenswertes Anwesen. Sie wissen, warum die Burg so heißt?“
Freysing rekapitulierte, was er ebenfalls auf dem Rundgang erfahren hatte: „Der Sage nach hat sich Fürst Konrad aus dem Přemyslovci- Geschlecht um 1059 herum bei einem Unwetter während der Jagd hierher verirrt. Er flehte zu Gott, dies heil zu überstehen, und versprach dieses Falls, eine Burg und eine Kapelle zu errichten. Tatsächlich fand er daraufhin Zuflucht bei einem Köhler, den er dankbar entlohnte und an der Stelle seiner Unterkunft Kapelle und Burg bauen ließ. Während er dann einmal dort spazieren ging und überlegte, wie er sie denn taufen solle, fiel einem Eichhörnchen im Baum ein Tannenzapfen aus den Pfoten, welcher den nachdenklichen Fürsten am Kopf traf. Daraufhin nannte er sie Veveri , also von veverka – eben Eichhörnchen.“
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