»Ich bin da«, meldete er sich, ohne nachzudenken.
Nach dem Code Satz des Anrufers antwortete Mohammad umgehend:
»Ich bin derjenige, der seine Pflicht tun wird.«
Mohammad hörte zu, nach etwa einer Minute sagte er:
»Ich brauche etwa vierzig Minuten. Mich gibt es! Und wie es mich gibt!«
Mohammad machte das Handy aus und steckte es in seine Hosentasche ein, stürmte in den Büroraum hinter der Theke. Hinter der Tür im Büro befand sich ein alter Tresor. Mohammad wühlte in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, fischte ihn heraus und machte den Tresor auf. Von der obersten Ablage suchte er eine dicke Mappe aus und stecke sie in seinen Hosenbund ein, von einer der unteren Ablagen nahm er einen dicken Briefumschlag, machte den Tresor zu und verließ wortlos sein Restaurant. Mohammad lief er zum Haus gegenüber, nahm die schmale Steintreppe zum ersten Stock. Ohne anzuklopfen, machte er die Tür auf und platzte unangemeldet in den Raum. Als er den Raum betrat lass der ältere untersetzte Mann hinter dem Schreibtisch die Tageszeitung.
»Ja, was ist denn los? Sind die Ehemänner jetzt endlich dahinter gekommen?« Halb im Ernst, halb im Spaß, fragte er den Besucher.
»Nein, nein«, sagte Mohammad und setzte sich in den Sessel am Schreibtisch. »Karamakis, es ist so weit. Jetzt wirst du mir helfen können, mein Freund«, sagte Mohammad und knallte die Mappe auf den Tisch. Den Tresorschlüssel legte er neben der Mappe. Mohammad verdrehte den Kopf, als ob er auf etwas wartete. Er wartete tatsächlich, dass die Glocken wieder erklingen, was sie aber nicht taten.
»Ich muss weg, sofort. Kümmere dich bitte um das Restaurant. Die Leute wissen was sie zu tun haben, aber, du weißt ja, wie es ist. Ist der Chef nicht da …«, Mohammad machte kurze Pause, »sollte ich in einem Monat nicht wieder da sein, öffne den Umschlag. Alles steht drin. Hier ist der Schlüssel vom Tresor, mache ihn aber auch erst in einem Monat auf. Kann sein, dass du seltsame Dinge drin findest. Das Geld für die laufenden Kosten nimm bitte aus der Kasse, die Vollmachten hast du bereits.«
»Hey, was soll das, mache jetzt keine … Haben sie dich gefunden?« Der man sprang auf und ging um den Tisch herum. Sein riesiger Bauch schwabbelte hin und her. Mohammad stand auf und als der Mann bei ihm war umarmte er ihn fest.
»Tue, was du kannst. Alles steht drin. Du bist sicher, mit dir hat es nichts zu tun. Dich hat niemand im Visier. Vielleicht sehen wir uns wieder, mein Freund. Ich danke dir für alles«, sagte Mohammad und drückte den dicken Mann noch fester an sich.
Karamakis verstand die Situation, sie war mehr als Ernst.
»Ich werde alles tun, … was ich kann. Was da drin steht. Aber ich bete, dass ich es nicht muss«, schluchzte Karamakis betroffen, »und werde zu allen Göttern, die ich kenne, beten. Zu allen, von welchen ich je gehört habe.«
»Tu das, mein Freund, ich werde es brauchen«, sagte Mohammad, ließ seinen Freund los, drehte sich um und verließ den Raum.
»Passe gut auf dich auf, du hast nur noch ein Leben, … mein Freund!«, rief Karamakis hinter ihm her. Der dicke man blieb im Raum stehen und fragte sich, ob er seinen Freund je wieder sehen wird.
Mohammad nahm an der nächsten Ecke ein Taxi und ließ sich zum Flughafen fahren. Am Flughafen ging er zur Information. Ein Mann in Pilotenuniform wartete bereits auf ihn. Nach kurzem Wortwechsel verließen sie die Halle, stiegen in ein Auto mit Flughafenbezeichnung und fuhren auf das Vorfeld. Im Fahrzeug sagte der Pilot zu Mohammad:
»Ich habe eben meine Passagiere rausgeworfen. Ich weiß nicht, was hier gespielt wird, ich will es auch nicht wissen. Sie sagten, sie würden mir den dreifachen Preis zahlen. Stimmt das?«
»Wenn sie das gesagt haben, dann wird es so sein«, antwortete Mohammad leicht gereizt. »Wir halten unser Wort. Flieg und halte die Klappe. Wenn wir gelandet sind, dann wirst du dein Geld bekommen. Wenn wir in Athen sind.«
Am Vorfeld stiegen sie in ein mittleres Flugzeug mit zwei Propellermotoren. Die Tür war noch nicht zu, als die Maschine zu rollen anfing, einige Sekunden später war sie bereits in der Luft.
Als das Flugzeug zum stehen kam, sich die Tür öffnete, sprang Mohammad heraus und rannte zu einem etwa dreißig Meter entfernt wartenden Learjet. Mohammad nahm im bequemen Ledersessel Platz, er war der einzige Passagier. Der Pilot rief aus der Kabine nach hinten, begrüßte Mohammad und sagte, das Ziel sei Bucharrest.
Als der Pilot Vollschub gab um die Maschine abzuheben, wurde Mohammad regelrecht in den Sitz gepresst. Der Druck erinnerte Mohammad an die Explosion, an seinen Vater, wie das Leben begann. Wie das Töten begann …
Die Erinnerungen waren da, fühlbar, greifbar, er erlebte sie zum hundertsten Mal … wieder.
Mohammad hatte als Kind viele Explosionen erlebt, bereits in der Wiege, falls er überhaupt eine hatte. Er wurde in Beirut geboren. Die Explosionen waren häufiger als es das fließende Wasser und den Strom gab. Als Kind schaute er nachts zu, wie der Himmel bunt aufleuchtete, zählte die Blitze. Tagsüber gab es nur ohrenbetäubenden Krach, keine schönen Lichter. Als Jugendlicher schloss er sich einer Gruppe an. Alle die er kannte, gehörten irgendeiner der Gruppen an. Es wurde ihm erklärt, wer der Feind sei, warum der Krieg stattfand. Es wurde ihm beigebracht, die Explosionen selbst zu verursachen. Mohammad war von den Explosionen begeistert, er wurde der beste Krachmacher, wie er sein Tun selbst nannte. Er bekam daher auch den Namen, der Krachmacher. Mohammad kämpfte mit voller Hingabe, so wie alle in der Gruppe. Er wurde weitergereicht, war in verschiedenen Ländern, auch in einigen, wo es keinen Krieg gab. Dort nahm er an diversen Ausbildungsprogrammen Teil. Danach kämpfte er weiter, wusste aber oft nicht einmal für wen, oder warum er das tat. Eines Tages wurde beschlossen, er solle nicht mehr an den Ausbildungen teilnehmen, er wird diese leiten, denn, er wäre der Beste Krachmacher. Irgendwann brauchten die bosnischen Auftraggeber die Unterstützung, außerdem sie zahlten sehr gut. Mohammad wurde nach Bosnien geschickt und machte das, was er konnte, das Einzige, was er je gelernt hatte. Andere sagten zu ihm, er wurde kämpfen.
Zu viert fuhren sie in einem zerschossenen Geländewagen in das Dorf hinein. Die meisten Häuser waren von den Granaten getroffen und zum Teil bereits abgebrannt, der schwarze Rauch stieg hoch in den Himmel. Der Fahrer machte vor der Kirche halt. Sie stiegen aus und verteilten sich, um als Ziel nicht auf dem Präsentierteller zu stehen. Aus einem Gebäude tauchten etwa zehn Männer auf, sie hatten die üblichen Kampfanzüge der Einheimischen an, waren bis an die Zähne bewaffnet. Einer der Männer sprach mit Mohammads Dolmetscher, dem Fahrer des Geländewagens. Der Dolmetscher nickte mehrmals mit dem Kopf zu und übersetzte es anschließend.
»Wir sollen das ganze Dorf präparieren, in zwei bis drei Stunden wird der Feind anrücken. Jedes Haus, viele Fallen, die Kirche separat, diese werden wir per Funk sprengen«, teilte der Dolmetscher Mohammad seinen Auftrag mit.
Mohammads Gruppe holte aus dem Geländewagen ihre Sachen und machte sich an die Arbeit. Sie verlegten Panzermienen, Personenmienen, Sprengmienen und etliche Sprengfallen, B-Traps. Dann kam die Kirche dran. Mohammads Dolmetscher meinte, am besten wäre es die Kirche von innen zu sprengen, man bräuchte weniger Sprengstoff und die Sprengpakete wären von außen nicht sichtbar. Der Gedanke war schon richtig.
Mohammad betrat die Kirche und blieb hinter der Türschwelle sprachlos stehen. Die Kirche war voll mit Menschen. Es dürften etwa zweihundert Menschen hier eingesperrt sein, stellte Mohammad fest. Langsam dämmerte es ihm, mit der Kirche sollten auch alle die drin waren in die Luft gesprengt werden. Die Menschen in der Kirche waren nur der Köder für den Feind, ein Wurm an der Angel. Das ist kein Kampf mehr, stellte Mohammad fest, das ist … genau das, was sie uns auch angetan haben. Mord!
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