»Warum zum Teufel ist Veyron nicht hier?«, maulte Gregson. »Warum muss er in Allerherrgottsfrüh nach Schottland fahren? Was will er denn dort nur?«
»Ehrlich gesagt: keine Ahnung — und ich bin auch ganz froh drum.«
Gregson weitete überrascht die Augen. »Tatsächlich? Du bist doch sonst immer recht gut informiert, was Veyron und Tom so treiben.«
Sie druckste ein wenig herum, ehe sie darauf etwas erwiderte. »Wir haben zurzeit nicht den besten Draht. Es gibt eigentlich gar keinen Kontakt mehr, seit … Du weißt ja, wem ich es zu verdanken habe, dass ich auf dem Single-Markt wieder zu haben bin!«
Gregson blinzelte. »Du sagst mir wirklich, dass es Veyrons schuld ist, dass du mit diesem Norman — oder wie er heißt — Schluss gemacht hast? Soweit du mir erzählt hast, hat dir Veyron klar gemacht, dass dieser Norman ein treuloses Arschloch war.«
Das saß. Innerlich kämpfte Jane gegen einen neuen Tränenschub, nicht wegen des verletzten Herzens, sondern ob des gewaltigen Zornes, den sie empfand.
»Ja, ich bin sauer! Weil Veyron genau in diesem einen Moment die Wahrheit ausplaudern musste. Es hat ihm einfach Spaß gemacht, Norman auseinanderzunehmen. Genau das nehme ich ihm übel!« Ihre Gedanken rasten, befeuerten ihren Zorn, als sie die Szenen jenes Abends Revue passieren ließ.
Gregson brummte verstehend. »Willst du meine Meinung hören?«
»Ja, natürlich.«
»Vielleicht solltest du es mal so sehen: Veyron hat Normans Scharade beendet. Hat der Typ am Ende nicht zugegeben, dass er dich nur haben wollte, weil er noch nie eine Polizistin im Bett hatte? Ich denke, Veyron hat dich letztlich vor einer noch größeren Enttäuschung bewahrt.«
Jane musste tief durchatmen. Das war nicht gerade das, was sie hören wollte. Immerhin konnte sie sich zusammenreißen, Gregson nicht gleich irgendeine Beleidigung an den Kopf zu werfen. Wahrscheinlich hatte er sogar recht.
Ein paar Schritte später standen sie vor dem Haupteingang des Zaltic-Tower, eine riesige Front aus getönten Glasscheiben, zu denen viele Stufen hinaufführten. Ein ganzes Stockwerk lag zwischen Eingang und Parkplatz. Man war regelrecht gezwungen aufzublicken. Mehr furchtbare Symbolik geht eigentlich nicht , dachte Jane. Ihr seid Zwerge und steht vor dem Zentrum der Macht; dunkler Macht.
Nach einem kurzen Blickwechsel stiegen sie die Stufen zur Lobby hoch. Ganz von allein öffneten sich vor ihnen die geschwärzten Glastüren, ließen sie eintreten ins Innere der wahrscheinlich bösartigsten Firma der Welt.
Der finstere Eindruck der Fassade verflüchtigte sich, kaum dass sie über die Schwelle traten. Wände, Böden, Decken, alles in weiß und schwarz, sogar das Mobiliar war mit weißem Leder überzogen. Jane fiel auf, dass am Empfang ausschließlich junge, attraktive Frauen arbeiteten — jede mit den reinsten Modelmaßen, alle mit einem einstudierten Dauerlächeln auf den Lippen. Offenbar gab es einen Uniformzwang bei der ZTC, der aus einem knielangen schwarzen Rock und einem schneeweißen Blazer bestand, mit dem blutroten Firmenlogo am Kragen. Vorgesetzte trugen den Blazer dagegen in Feuerrot.
»Herzlich willkommen im Zaltic-Tower«, wurden sie von Empfangsleiterin begrüßt und sofort an eine Mitarbeiterin mit dem Namen „Judy“ weitergeleitet. Judy wies ihnen den Weg zu den Aufzügen und schickte sie hinauf in den 90. Stock, wo sie einen Mister Dorian Vane treffen sollten. Ein paar Minuten später kamen sie in eine weitere Lobby, wo sie von zwei ebenfalls blutjungen, ausgesprochen attraktiven Damen begrüßt wurden. Jane kam sich mit ihren dreiunddreißig Jahren auf einmal irgendwie uralt vor. Gregson ließ sich nicht anmerken, was er von der Parade junger Idealbild-Frauen hielt.
»Mister Vane wartet auf Sie«, ließ eine der beiden verlauten und öffnete die große schwarze Tür zu einem Büro. Die beiden Polizisten traten ein, und hinter ihnen wurde die Tür lautlos geschlossen. Jane kam der Raum eher wie ein Ballsaal vor. Er erstreckte sich scheinbar über das halbe Stockwerk, mit Glasfronten auf zwei Seiten. Außer dem riesigen schwarzen Schreibtisch und einer kleinen Sitzgruppe daneben war der Raum vollkommen leer. Ihre Schritte hallten regelrecht.
Dorian Vane stand hinter seinem Schreibtisch, die Hände auf den Rücken gelegt und den Blick nach draußen gerichtet. Genau in dem Moment, wo sich die Türe schloss, drehte er sich zu seinen Besuchern um.
»Detective-Inspector Gregson, willkommen«, grüßte Vane die beiden mit einem ernsten Nicken.
Jane war erstaunt, wie jung dieser Vane war. Er schien nur wenige Jahre älter zu sein als sie selbst, hochgewachsen, sportlich, das blonde Haar streng nach hinten frisiert und mit reichlich Gel versehen. Sein grauer, perfekt sitzender Anzug musste ein Vermögen gekostet haben. Hemd, Krawatte, Hose, Schuhe — alles maßgeschneidert und funkelnagelneu. Keine Fussel, kein Staub, alles glänzte wie eben erst ausgepackt.
»Mister Vane«, erwiderte Gregson. »Das ist meine Assistentin, Detective-Constable Jane Willkins.«
»Bitte, nehmen Sie Platz.« Vane deutete auf eine kleine Sitzgruppe etwas abseits seines Schreibtischs. Er selbst schloss sich ihnen nicht an, sondern bevorzugte die Distanz. Immerhin kam er um seinen riesigen, vollkommen sauberen und leeren Schreibtisch herum und lehnte sich gegen die Kante.
»Ich nehme an, Ihr Erscheinen hat mit dem Tod von Emiliano zu tun. Eine furchtbare Sache. Gibt es schon genauere Erkenntnisse?«
»Nein. Darum sind wir hier«, sagte Gregson.
Vane nickte. Jane bemerkte ein kurzes Durchatmen, als kämpfte er irgendein Gefühl nieder. Emiliano , hatte er Torrini genannt. Offenbar verband ihn mehr mit dem alten Vampir als ein reines Dienstverhältnis.
»Kannten Sie Mr. Torrini näher?«, fragte sie ganz unverblümt. In ihrem Inneren nagte noch immer der Zorn auf Veyron und diesen Idioten Norman.
»Ja, Constable Willkins. Emiliano war es, der mich vor zehn Jahren in die Firma holte. Ich verdanke ihm sehr, sehr viel. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.«
Er wirkte wieder ganz gefasst. Seine stahlblauen Augen musterten Jane eindringlich. Ihr war das glatt ein wenig unangenehm. Sie fühlte sich dabei ertappt, wie umwerfend gutaussehend sie Vane fand. Verlegen rieb sie sich am Hals. Gregson rettete sie aus der Misere.
»Welche Position bekleiden Sie innerhalb der ZTC, Mr. Vane?«
»Ich arbeite als Direktor für den Personalbereich, Inspector.«
Veyron und Wimille hatten Jane und Gregson schon vor geraumer Zeit über die Struktur innerhalb der ZTC aufgeklärt. Das berüchtigte Management Control Department, der KGB-gleiche MCD, unterstand der Personalabteilung. Der junge Vane war also der Kopf der kaltblütigsten Abteilung des ganzen Konzerns. Das gibt satte Minuspunkte , entschied Jane.
Offenbar schien Vane ein Zucken in ihrem Gesicht bemerkt zu haben.
»Sie sind enttäuscht, Constable Willkins?«
»Mich enttäuscht so schnell nichts mehr.«
Für einen Moment huschte Mitleid über sein Gesicht. »Dann wurden Sie in Ihrem Leben schon zu oft enttäuscht.«
Eine zutreffende Feststellung. Überrascht schaute sie ihn an. Konnte er Gedanken lesen? »Sind Sie ein Vampir, Mister Vane?«
Die Direktheit ihrer Frage schien ihn vollständig aus dem Konzept zu bringen. Seine Augen weiteten sich und er rang sichtlich um Kontrolle.
»Wir kennen die Wahrheit, Mister Vane«, warf Gregson rasch ein. »Wir wissen, wer oder was Torrini wirklich war. Wir wissen auch von Elderwelt. Es gibt keinen Grund für Geheimniskrämereien.«
»Sehr interessant«, meinte er. »Dann haben Sie auf der Pressekonferenz gelogen, Inspector.«
»Nun, es gibt Dinge, die muss die Welt nicht wissen. Aber wir sind wegen des Mordes hier, Sir. Mir ist egal, was Mister Torrini war. Er wurde umgebracht, und ich will seinen Mörder finden.«
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