»Kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?«, befahl Ellen und nickte hinüber zu Owain und der Kriegerin. »Lass Angel erstmal entscheiden, auf welcher Seite Tom und die anderen stehen.«
Als wäre das ein Stichwort gewesen, drehte sich Owain um und stapfte auf sie zu, der Blick finsterer als gewöhnlich. Vor Veyron und Tom baute er sich auf. Unter seinem Kettenhemd und dem dunklen Wams zeichneten sich seine trainierten Muskeln ab. Tom wusste, dass Owain ein gefährlicher Gegner sein konnte, und der Bursche, der nur ein halbes Jahr jünger war als Tom, wusste es ebenfalls nur zu gut.
»Ihr seid jetzt Gefangene von Kommando Bracket, bis wir eure Absichten kennen«, verkündete er kalt. »Schafft die drei ins Hauptquartier!«
Tom wollte eben die Stimme zum Protest erheben, machte einen Schritt vorwärts. Blitzartig spannten die Krieger um sie herum die Bogen. Owains Faust lag auf dem Knauf seines Schwerts. Tom hob entschuldigend die Hände.
Vanessa wollte jedoch nicht so einfach nachgeben. »Hey! Wir stehen auf derselben Seite!«
»Das wird sich zeigen«, grollte Owain. »Führt sie ab!«
Zumindest erspart man uns Fesseln , dachte Tom, als er von Jordi, Sarah, Ellen und ein paar weiteren Kämpfern von Kommando Bracket in die Mitte genommen wurde. Der Weg ging hinunter ins Tal, vorbei an einigen Dorfbewohnern. Tom fand Ælfthryth und ihre Kinder, die ihnen erschrocken hinterherblickten. Dabei wusste er nicht, was die arme Mutter mehr entsetzte: Das Verschwinden ihrer Hoffnungen mit der Verhaftung der vermeintlichen Talassairi, oder dass es wirklich eine Macht gab, welche mit der schratischen Höllenbrut so leichtes Spiel hatte. Bruder Offa und die Verwalter wurden ebenfalls abgeführt. Ihnen band man die Augen und die Hände.
»Was passiert mit Offa und den anderen?«
Ellen warf Tom einen erstaunten Blick zu, als müsste er wissen, was mit denen geschah.
»Über sie werden wir im Rat Gericht halten. Sie sind Diener des Dunklen Meisters und der verfluchten Company. Wenn sie für schuldig befunden werden, vollstrecken wir das Urteil.«
In Toms Ohren klang das wenig hoffnungsvoll für den Mönch und die alten Herren. »Ihr werdet sie doch nicht etwa töten, oder?«
»Kommt auf die Schwere ihrer Vergehen an. Auf dieser Insel hat die Company eine Art Religion durchgesetzt. Man muss genau schauen, wer nur ein leichtgläubiger Anhänger ist und wer mit voller Absicht handelt.«
»Um diesen König solltet ihr euch kümmern«, mischte sich Vanessa ein. »Der ist der eigentliche Verbrecher.«
»Ja«, stimmte Jordi zu. »Der kommt schon noch an die Reihe. Aber der König von Abulon hat Truppen unter seinem Kommando. Noch sind wir zu schwach, aber sobald die Elderwelt-Armee fertig ausgebildet ist, kann er was erleben.«
»Die Elderwelt-Armee?«, wollte Veyron plötzlich wissen. Bislang hatte er dem ganzen Geschehen schweigend zugesehen und lieber die Krieger von Kommando Bracket oberserviert. Tom war überzeugt, dass Veyron inzwischen von allen wusste, an welchen Verletzungen sie litten oder wie es um ihre Ausbildung stand.
»Ja, die Elderwelt-Armee. Kommando Bracket ist die Spezial-Einheit. Wir bilden auch eine Armee aus. In …«
»Halt doch endlich mal die Klappe, Jordi! Erzähl denen nichts mehr. Das sind unsere Gefangenen«, giftete Sarah.
»Wow«, gab Vanessa nicht weniger unfreundlich zurück. »Vor zwei Jahren konntet ihr euch gar nicht schnell genug der Allianz der Verlorenen anschließen. Und jetzt sind wir plötzlich eure Feinde?«
Sarah wusste nicht, wie sie auf diesen Vorwurf reagieren sollte. Verstört blickte sie zu ihrer besten Freundin, Ellen. Doch auch die vermochte lediglich ahnungslos mit den Schultern zu zucken.
»Wird sich schon aufklären«, gab sich Ellen zuversichtlich. Tom wusste nicht, ob er diesen Optimismus teilen sollte. Owains feindseliges Gehabe gefiel ihm nicht, und die bisherigen Informationen zu Kommando Bracket klangen kaum besser.
Der Nebel wurde wieder dichter, je tiefer sie kamen, aber auch so ließ sich erahnen, wohin der Weg ging: Zurück zur großen Linde. Für Veyron erwies es sich als ein Leichtes, Jordi aus der Reserve zu locken. Zu gerne prahlte der junge Mann mit den Erfolgen von Kommando Bracket. Auf diese Weise kam heraus, dass der König Abulons das erste Mal vor rund sechzig Jahren auf diese Insel kam und die sieben Earls ganz banal mit den Verheißungen von Geld und Macht zu Unterstützern gewann. Kommando Bracket unterhielt in allen Landesteilen Abulons Spione. Der Angriff auf diese Mine war schon seit Wochen geplant.
»Eure Ankunft zwang uns schließlich zum Handeln. Unsere Spione haben gesehen, wie ihr aus dem Baum gekommen seid und haben sofort Alarm geschlagen.«
Ein Blick zu Veyron erflehte ein paar Hinweise auf die Spione von Kommando Bracket, doch Toms Patenonkel war in den schweigsamen Modus verfallen. Lediglich daran, wie schnell seine Pupillen hin und her sprangen, ließ sich erahnen, wie intensiv er über die ganzen verfügbaren Informationen nachdachte.
Nach und nach ließ der Morgennebel nach, warme Sonnenstrahlen bahnten sich wie göttliche Scheinwerfer ihren Weg durch das triste Grau. Der Hügel mit der verstümmelten Linde kam in Sicht. Ohne Zögern hielten die Frauen und Männer von Kommando Bracket darauf zu. Zehn von ihnen marschierten auf einen der drei Astbogen zu und waren von einem Moment auf den anderen wie vom Erdboden verschluckt. »Was geschieht eigentlich mit den Leuten aus dem Dorf?«, fragte Tom Jordi und die beiden Mädchen.
»Die sind jetzt frei und können tun lassen, was sie wollen«, meinte Sarah mit einem zufriedenen Grinsen.
»Und der König? Denkt ihr, der wird sie in Ruhe lassen? Glaubt ihr nicht, dass er seine Truppen schicken wird, wenn die Schrat-Patrouille sich nicht zurückmeldet? Ich meine, der Kerl ist ein Handlanger des Dunklen Meisters. Und selbst wenn nicht, wovon sollen die Menschen leben? Wer zahlt ihnen den Lohn, wer versorgt sie mit Brot?«
»Hör auf«, durchschnitt Owains Stimme die Luft. Mit glutrotem Haupt stampfte er auf Tom zu, die Rechte auf dem Knauf seines Schwerts. Mit diesem Kerl war nicht zu spaßen.
»Was soll das zersetzende Gerede? Sollen die Menschen etwa besser versklavt bleiben?«
»Nein, sicher nicht. Aber es wird schon mehr notwendig sein, um diesen Menschen zu helfen, als einfach ein paar Schrate fertig zu machen.«
Ein kurzer Ruck der Finger genügte und Owain hatte sein Schwert schon halb gezogen. »Was soll das? Bist du jetzt etwa auf der Seite der Company?«
»So ein Quatsch!«, kam Vanessa Tom zur Hilfe. Sie nahm ihm an Arm und zog ihn halb schützend hinter sich. Zum Glück. Es hätte nicht viel gefehlt, und Tom hätte sich auf diesen aggressiven Scheißer gestürzt.
»Wer hat der Schwarzen Horde in den Arsch getreten? Du warst es jedenfalls nicht, Owain.«
Der jugendliche Krieger schnaubte zornig, wandte den beiden blitzschnell den Rücken zu. »Schafft sie nach drüben!«
Trotz Owains Unfreundlichkeit gab es für Sarah keinen Grund, den drei Helden von Allianz der Verlorenen zu misstrauen. Sie machte eine einladende Geste zum Astbogen. Okay , wie Tom dachte, eine weitere Reise in ein fremdes Land Elderwelts. Mal schauen, wo es uns diesmal ausspuckt.
Zuerst ging Jordi unter dem Bogen durch, danach waren die drei Gefangenen an der Reihe, gefolgt von Ellen und Sarah. Wie schon die Male zuvor fanden sie sich in einer vollkommen neuen Landschaft wieder. Abermals schien die uralte Linde auf einer Insel inmitten eines Meeres zu stehen. Diesmal waren die Ausmaße jedoch überschaubarer. Die Wellen brachen sich nur wenige Meter entfernt an schroffen, kahlen Felsen. Außer dem gewaltigen Baum gab es keine anderen Pflanzen. Man musste aufpassen, um nicht von den glitschigen Felsen ins Wasser zu stürzen. Sonderlich tief schien die See hier nicht zu sein. Alle paar Kilometer ragten weitere kleine Inseln empor. Festland ließ sich jedoch in keiner Himmelsrichtung ausmachen.
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