Tom schüttelte den Kopf. »Mann, der König muss ja ganz schön Schiss vor uns haben, wenn er gleich eine halbe Armee schickt.«
»Das ist der Beweis, dass hier auf Abulon einiges nicht in Ordnung ist und man die Machenschaften des Einen und seiner Jünger vertuschen möchte«, stimmte Veyron zu.
In der zusammengetriebenen Menge entdeckte Tom schließlich Ælfthryth, die sich schützend vor ihre Kinder stellte. Die Mädchen weinten, während Ælfwine versuchte, seine Schwestern vor den gelben Raubtieraugen der Schrate zu verbergen. Schließlich fand Tom Vanessa. Furchtlos stand sie an der Spitze der zusammengetriebenen Menge, die Arme ausgebreitet; eine Schutzgeste für die Menschen hinter ihr. Tom spürte, wie sein Herz schneller schlug. Ohne sich weiter um Offa oder Veyron zu kümmern, eilte er in Vanessas Richtung.
Plötzlicher Lärm ließ ihn herumfahren. Die Höllenfliegen landeten, eine nach der anderen. Kaum setzten sie auf, fuhren sie ihre schleimigen Saugrüssel aus und tasteten den Boden nach Essbarem ab. Von welchem Unrat sich diese Monster ernährten, konnte er nur erahnen.
Als Letztes landete der Anführer der Schrate mit seiner Fliege, einem überaus fetten Tier, dem Schleim und wurmhafte Parasiten aus den Spalten des Chitinpanzers hingen. Er selbst war ein großer, hagerer Kerl, halbnackt seine unzähligen Narben und Geschwüre zur Schau stellend, das Gesicht hinter einer Totenschädel-Maske — aus echten Knochen — versteckend.
Von hinten wurde Tom angerempelt. Veyron drückte sich an ihm vorbei und gab ihm ein Zeichen, das Daring-Schwert verschwinden zu lassen. Da sie in den hintersten Reihen der Dorfbewohner standen, hatten die Schrate sie nicht entdeckt. Das konnte ihre Chance sein. Tom folgte der Anweisung, steckte sich das Schwert in den Gürtel, wo es sich augenblicklich in Nichts auflöste. Mit erhobenen Händen zwängte sich Veyron durch die dicht an dicht stehenden Bewohner und trat an Vanessas Seite. Alle Augen, von Dorfbewohnern, Minenarbeitern, Kindern und Schraten, waren jetzt auf ihn gerichtet. Demonstrativ langsam näherte er sich dem Hauptmann.
»Ich bin Veyron Swift aus Fernwelt«, rief er ihm zu. Einige der Schrate warfen sich verwunderte Blicke zu, andere fletschten nur die Zähne. Der Hauptmann der Schrate riss die Faust hoch, und augenblicklich kehrte Ruhe unter seinen Mannen ein. Die Reiter der Fliegen kümmerte das jedoch nicht. Sie hatten genug damit zu tun, ihre nervösen Tiere unter Kontrolle zu halten. Die Biester krabbelten in Richtung des Dorfes, den Boden mit ihren Rüsseln abtastend.
»Wir wollen den Frieden hier nicht stören, Kommandant«, versuchte Veyron dem Schrat zu erklären. »Wir sind lediglich auf einer Erkundungsmission.«
Bruder Offa drängelte sich plötzlich an Veyron vorbei, rutschte auf Knien vor den Hauptmann.
»Ich flehe Euch an, nehmt Eure Sendboten und lasst uns in Ruhe. Wir verdoppeln unsere Bemühungen, Herr Dämon«, wimmerte Offa den Schrat an. Ein grimmiger Blick aus der Totenkopfmaske ließ den Mönch verstummen. Auf einmal lachte der Hauptmann und boshaft.
»Für euch geht’s jetzt in die Hölle!«, brüllte er. Auf sein Fingerschnippen setzten sich die Schrat-Wachen in Bewegung, ließen die Peitschen schnalzen, trieben die Menschenmenge auseinander, um Veyron und Vanessa einzukreisen. Auf Tom achteten sie immer noch nicht.
»Wer seid Ihr, dass Ihr Euch das Recht herausnehmt, uns zu verhaften?«, empörte sich Veyron. Tom wusste, dass dies reine Show war, um den Hauptmann zur Preisgabe von Informationen zu verleiten. Der fiel auch gleich darauf herein.
»Ich bin Bulgash, und du Scheißkerl bist mein Eigentum! In Namen der Company!« Der Meister der Fliegen erging sich in einem neuen Lachanfall, ein schauriges Husten und Würgen, in das seine Kameraden halblaut einfielen.
Plötzlich trat Vanessa vor, die Wangen rot vor Zorn. In ihren Augen stand grimmige Entschlossenheit. Besorgt biss sich Tom auf die Lippen. Er kannte diesen Blick! Hoffentlich beging sie keine Dummheit.
»Die Zaltianna Trading Company? Ihr arbeitet für die ZTC?«
Die Schrate warfen sich verwunderte Blicke zu, dann prusteten sie sich vor Lachen. »Das Flittchen ist lustig. Wir sind die Company«, behauptete der Hauptmann. »Und der Dreckshaufen da …«, er deutete auf die verängstigten Menschen, »ist unser Eigentum! Ihr habt keine Rechte, ihr habt keine Freiheit! Arbeitet, oder ihr schmort in der Hölle!«
»Schon klar. Ich geb’ dir mal einen Vorgeschmack«, zischte Vanessa. Blitzschnell riss sie ihren Waffenarm hoch, drückte den Auslöser für den Elektroschocker. Zwei kleine, metallische Enterhaken bohrten sich dem Hauptmann in die breite Brust. Bulgash konnte nur mehr verwundert aufblicken, da brach er auch schon in die Knie, ließ Säbel und Peitsche fallen. Jaulend schüttelte er sich wie verrückt.
Das war das Zeichen, ob vereinbart oder nicht. Tom griff an seinen Gürtel, im nächsten Augenblick war das Daring-Schwert wieder da. Mit wildem Gebrüll sprang er vor, zog die Blicke von Menschen und Schraten auf sich.
Veyron reagierte blitzartig. Im Nu hielt er den Marinerevolver in der Hand. Ein Schuss knallte, einer der Schrate ging zu Boden. Veyron zielte sorgfältig; für Toms Geschmack viel zu langsam. Ein zweiter Schuss fegte einen der Fliegenreiter von seiner Bestie. Aber dann schnalzte auch schon eine Peitsche, traf Veyrons Hand. Reflexartig ließ er den Revolver fallen. Fauchend stürzte sich ein Schrat auf ihn — genau in Vanessas gestrecktes Bein. Das jahrelange Kampftraining machte sich jetzt für Vanessa bezahlt. Überrascht, von einer jungen Frau verprügelt zu werden, wichen die Schrate von ihr zurück.
Die anderen Unholde warteten nicht länger. Die Reiter gaben ihren Fliegen die Sporen, innerhalb einer Sekunde waren die Bestien in der Luft, brausten im Tiefflug über das Dorf hinweg — alle in Toms Richtung. Er machte große Augen. So war das nicht geplant! Ein paar Meter vor ihm stoben die Menschen jetzt kreischend und schreiend auseinander, die Schrate verfolgten sie mit der Wildheilt blutrünstiger Wölfe.
»Zu den Häusern, zu den Häusern«, rief Veyron Tom zu. Natürlich! Dort hatten sie Deckung. Ihre Gegner waren jedoch hoffnungslos in der Überzahl. Einen Augenblick später reduzierte er diese um zwei Strolche, die über ihn herfallen wollten. Viel musste er gar nicht tun. Die Magie des Schwertes ließ es ganz von allein Hiebe parieren und tödliche Streiche austeilen. Winselnd sanken die Schrate zu Boden. Plötzlich explodierten hinter ihm Granaten, schleuderten ihn in einen der Markstände. Gemüse und Äpfel flogen Tom um die Ohren. Alles drehte sich, Schwärze drohte ihn zu übermannen. Er konnte gerade noch das Daring-Schwert heben, als er weitere Schrate auf sich zustürzen sah. Der Zauber in der Waffe sorgte dafür, dass das Schwert von allein weiterkämpfte. Blitze schossen aus der Klinge, trafen die Unholde, ließen sie mit qualmenden Löchern in ihren Rümpfen zu Boden gehen. Mühevoll rappelte sich Tom auf, kämpfte ums Gleichgewicht. Kaum stand er auf den Füßen, stürmte ein Schrat auf ihn zu, ein wahrer Riese, fast so groß wie ein Troll. Das Schwert des Kerls war kaum kleiner, ein grober, kantiger Eisenprügel. In letzter Sekunde brachte Tom das Daring-Schwert zwischen sich und den Riesen. Toms Hände schmerzten unter dem Hieb. Der Schrat brüllte triumphierend und griff abermals an, und Tom blieb nichts anderes übrig, als zur Seite zu springen. Die Waffe erneut zu parieren, würde ihm das Handgelenk brechen. So magisch das Daring-Schwert sein mochte, Tom bestand hingegen nur aus Fleisch und Blut. Aus den Augenwinkeln sah er Veyron, der versuchte, ein sauberes Ziel zu erwischen. Ein Revolverheld würde aus seinem Patenonkel nicht mehr, soviel stand fest. Ein Schuss knallte, traf den Schrat in seine dicke Schulter. Doch das stachelte den halben Troll nur weiter an. Der neue Angriff zwang Tom zum Zurückweichen. Seine Stellung war miserabel, das wusste er. Schon stolperte er rücklings über die Trümmer des Marktstandes und strauchelte.
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