Immer öfter sah man sie jetzt verstört an. Hinter ihnen wurde geflüstert, Tom hörte es genau. Die Sprache klang rau, anders als alle anderen Sprachen, die er bisher in Elderwelt vernommen hatte. In der Nähe der Behausungen gab es einen Brunnen, wo Frauen Wasser schöpften. Zelte und Fuhrwerke deuteten auf reisende Händler hin, das Warenangebot reichte jedoch nicht über ein paar Äpfel, Hühner oder schmucklose braune Stoffbahnen hinaus. Hier dominierten die Frauen das Bild, gehüllt in ihre langen Gewänder, die Köpfe mit nonnenhaften Habiten bedeckt, so dass man nur die Gesichter sehen konnte. Tom musste ein Schmunzeln unterdrücken, als die Damen dieser Gegend Vanessa anstierten und vor blankem Entsetzen den Kopf schüttelten. Hautenge Jeans, hochhackige Stiefel und Lederjacken waren den Menschen völlig fremd.
Die Verwalter, eine Gruppe älterer Männer, deren Tuniken sauberer und hochwertiger wirkten und die sich bunte Umhänge und teure Broschen leisten konnten, saßen nebeneinander an einem langen Tisch. Vor ihnen standen Schalen mit Silbermünzen, ein Haufen gestapelter Brotlaibe und für jeden eine Waage. Sie schienen die drei Besucher zunächst nicht zu bemerken und blickten erst auf, als ihnen ein paar Handlanger in die Ohren flüsterten. Verwirrung stand in die Gesichter der Alten geschrieben. Sofort schafften sie mit misstrauischen Blicken die Silbermünzen unter den Tisch.
Einer der Alten stand plötzlich auf, rief ihnen etwas in der rauen Sprache der Einheimischen zu. Veyron hob interessiert die Augenbrauen.
»Eine eindeutig westgermanische Sprache, definitiv nicht nordisch. Passt auf, ich werde etwas versuchen. Ich probiere es zunächst mit Altenglisch und danach mit Althochdeutsch.«
Veyron antwortete den Alten in einer Sprache, die in Toms Ohren genau wie die der Einheimischen klang. Das Ergebnis bestand jedoch in noch mehr verwirrten Blicken. Veyron versuchte es mit Althochdeutsch, was zu einigen Wortwechseln zwischen den Alten führte. Einige zuckten ahnungslos mit den Schultern. Der Anführer der Verwalter fühlte sich schließlich veranlasst Unterstützung zu holen. Er schickte einen seiner Handlanger los, der kurz darauf mit einem Mann um die vierzig zurückkehrte. Auf Tom wirkte der Neuankömmling wie eine Art Mönch oder Priester, gehüllt in eine schwarze Kutte mit weißem Kragen. Mit den Alten wechselte der Pater ein paar Worte, ehe er voller Verunsicherung vor Veyron trat. Nach einer kurzen Verbeugung fing er an, in einer ganz neuen Sprache zu sprechen. Die kannte Tom wenigstens.
»Latein!«
»Ein sehr schlampiges Latein«, raunte Veyron. »Aber immerhin können wir uns jetzt unterhalten.«
Es gingen einige Sätze hin und her, bis Veyron den Mönch etwas fragte. Dieser begann zu lachen und nickte eifrig.
»Talassenglisch! Natürlich. Jeder Gelehrte spricht die Sprache der Seehändler«, rief er. »Ich bin Bruder Offa.«
Vanessa verdrehte die Augen. »Ist ja super! Warum der ganze Aufwand?«, fragte sie in Veyrons Richtung. Er ignorierte sie vollständig, nicht aber Offa. Mit einem deutlich abfälligen Blick stierte er Vanessa an, vor allem die Wölbungen unter ihrer Lederjacke.
»Ihr lasst eine Frau in der Kleidung von Männern herumlaufen? Und mit offenem Haar? Das ist beschämend!«, empörte er sich.
»Verzeiht, Bruder Offa. Uns sind die Sitten Eures Landes nicht vertraut. Wir kommen von weit her«, entschuldigte sich Veyron mit demütiger Gestik.
»Genau. Aus Talassair«, log Vanessa.
Augenblicklich wurde der Mönch blass. »Von der Magischen Insel? Ihr kommt wahrhaftig von der Magischen Insel?«
Panik schwang in seiner Stimme mit. Selbst die alten Verwalter am Tisch wurden jetzt nervös. Das Wort „Talassair“ schien ihnen mächtig Angst einzujagen.
»Wir hegen keinerlei feindselige Absichten, sondern befinden uns auf einer Erkundungsmission«, versicherte Veyron. »Der Name dieses Landes ist uns nicht vertraut. Vielleicht könnt Ihr uns weiterhelfen. Bisher haben wir niemanden getroffen, der Maresisch oder Talassenglisch spricht.«
Bruder Offa wirkte dennoch unruhig. Mit den Verwaltern wechselte er einige Worte. Was er ihnen gesagt hatte, schien den Männern nur noch mehr Sorgen zu bereiten. Einer von ihnen konterte kleinlaut, worauf Offa regelrecht wütend wurde. Tom hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.
»Vielleicht sollten wir wieder gehen«, schlug er vor. Augenblicklich hatten sie wieder die Aufmerksamkeit des Mönchs.
»Nein, nein. Bleibt ruhig, bitte. Wir schicken eine Nachricht an unseren König. Besuch aus Talassair, das ist etwas ganz Neues für unser kleines Land. Sicher wollen euch die Herolde des Königs treffen. Bitte, bleibt so lange, wie es Euch beliebt. Für heute Nacht seid Gast in unserer Gemeinde.« Die Geschwindigkeit, mit der Offa die Worte runterratterte, ließ Tom noch misstrauischer werden. Dem Mönch traten deutlich die Schweißperlen auf die Stirn.
»Wir nehmen Euer Angebot dankend an«, erwiderte Veyron dagegen freundlich lächelnd. Offa nickte zum Abschied, ehe er auf den Absätzen seiner Sandalen herumwirbelte und zusah, dass er wegkam.
Tom schüttelte den Kopf. »Veyron, das riecht nach einer Falle.«
»Ich weiß.«
»Was tun wir jetzt?«
»Die Falle zuschnappen lassen.«
»Offa könnte uns umbringen«, gab Vanessa zu bedenken. Veyron gab ihr recht. Er nahm seinen Rucksack ab und kramte eine Weile darin herum.
»Wir haben immer noch das Daring-Schwert, um uns Respekt zu verschaffen. Sie, Miss Sutton, sind mit Wimilles Elektroschocker ausgerüstet, und ich habe den hier bei mir.« Er zog den alten Marinerevolver Wimilles aus dem Rucksack. Alle sechs Kammern waren geladen.
»Ob das die Herolde des Königs auch beeindruckt?«, meinte Tom zweifelnd. Was immer Veyron auch vorhatte, er hoffte, dass sie heil aus dieser Sache herauskamen.
Es wurde bald dunkel, und im Minenbetrieb kehrte Ruhe ein. Nicht alle Arbeiter wohnten in der kleinen Siedlung, einige kamen aus Dörfern in der Nähe. Innerhalb einer Stunde war es rund um die Mine menschenleer. Die Zelte der Markfrauen wurden abgebaut und in die Karren verstaut. Vollkommene Finsternis senkte sich über das Land. Bruder Offa vermied es geschickt ihnen zu verraten, in welchem Land sie sich überhaupt befanden, obwohl Veyron die Frage mehrmals stellte. Immerhin machte sich der Mönch die Mühe, ihnen eine Behausung zu suchen. Natürlich gab es niemanden, der die drei Reisenden bei sich aufnehmen wollte. Fremde unter dem eigenen Dach? Für die Menschen dieses Landes unvorstellbar.
Erst bei einer jungen Frau — Tom schätzte sie auf Ende dreißig — erhielten sie Einlass. Offenbar auch nur, weil Offa streng mit ihr sprach, nachdem sie das erste Mal allzu deutlich ablehnte.
»Das ist Ælfthryth. Sie stammt aus gutem Hause und ist des Talassenglischen mächtig. Ich habe ihr gesagt, dass Ihr anständige Leute seid und Ihr Eure eigenen Speisen mitgebracht habt«, erklärte er ihnen. Veyron bedankte sich mit einem demütigen Nicken. Offa erwiderte die Geste und verschwand dann hinter dem Haus. Ælfthryth deutete ihren Gästen einzutreten.
»Wir haben keine Betten«, ließ sie Veyron wissen. Er schenkte ihr ein entwaffnendes Lächeln.
»Es gibt nur eine kleine Feuerstelle. Da ist nicht Platz für so viele«, brachte sie als nächstes heraus, genau in dem Moment, als Veyron durch die kleine Tür schlüpfen wollte. Tom hegte den Verdacht, dass sie hoffte, ihre Gäste doch noch irgendwie loszuwerden.
»Danke, Mylady. Wir benötigen keine Feuerstelle für diese Nacht. Wir befinden uns im Besitz warmer Decken«, sagte Veyron, noch immer freundlich lächelnd.
»Ich bin Mutter von drei Kindern«, sagte sie. Es klang wie eine Anklage. Tom fand es bewundernswert, wie Veyron weiter seine Freundlichkeit aufrecht hielt.
»Seid versichert: Weder Euren Kindern noch Euch wird ein Leid geschehen. Ihr seid sehr großzügig, Mylady, wir werden Euch nicht zur Last fallen.«
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