Ueber die Entstehung der Koralleninseln schwanken die Ansichten noch insofern, als die einen behaupten, daß die Korallenthierchen, welche nur bis zu einer gewissen Wassertiefe bauen, ihre Bauten auf allmählich sich senkendes Land errichten und sich so immer mit ihrem obern Kamm in dem Wasserniveau halten, während andere dies verneinen und die Entstehung dieser Inseln vulkanischen Erhebungen zuschreiben. Es ist wol zweifellos, daß die erstere Ansicht da zutrifft, wo das Kalkgemäuer sich bis zu einer Wassertiefe erstreckt, in welcher die Korallenthierchen nicht mehr zu leben vermögen, während bei den bewohnten Koralleninseln nur die letztere Auffassung zutreffen dürfte.

Koralleninseln.
Ich will hier eine kurze Erklärung über die Entstehung dieses merkwürdigen künstlichen Landes folgen lassen und zum bessern Verständniß die nebenstehende Skizze beifügen. Vulkanische Erhebungen des Meeresbodens bilden das Fundament. Vereinzelte Koralleninseln findet man sehr selten und dann auch nur umgeben von ausgedehnten Korallenriffen; meistentheils liegen sie gruppenweise zusammen, ebenso wie die in der Nähe liegenden Gruppen hoher vulkanischer Inseln. Ja, sie geben in ihren Contouren und ihrer äußern Erscheinung das Bild der Gipfel einer hohen Inselgruppe wieder. Die Laguneninsel mit tiefem Wasser in dem Innensee zeigt uns das Bild eines noch actionsfähigen Kraters; diejenige, deren Lagune nur seichtes Wasser hat, sagt uns, daß der Krater verschüttet ist und in demselben Schlamm und fließender Sand liegt, worauf die Korallen keinen festen Fuß fassen können, wenn nicht etwa, wie in ausgebrannten Kratern, auch hier Schwefeldämpfe die Korallenthierchen abhalten. Die vollen, in der Mitte höher sich hebenden Koralleninseln lassen keinen Zweifel, daß ihr Fundament ein fester Berggipfel ist. Wie schon angedeutet, vermögen die Korallen nicht über eine bestimmte Wassertiefe hinabzugehen (ich glaube, die äußerste Grenze ist 60 m von der Oberfläche entfernt). Sobald die Thierchen mit ihrem kunstvollen Bauwerk die Wasseroberfläche erreicht haben, sind sie an ihrem Ziele angelangt, sterben, da sie ohne Seewasser nicht mehr leben können, auf dem Kamme ab, und nun ist es nur eine Frage der Zeit und günstiger Umstände, daß das Riff sich zu einem Körper bildet, welcher Pflanzen und Menschen zu leben gestattet. Korallenriffe, welche auf fallendem Lande erbaut sind, könnten sich daher nur durch Ablagerungen und Anschwemmungen unendlich vieler kleiner, fester Körper aus dem Meere zu einer Insel entwickeln, und zu solch einer Entwickelung würden Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende gehören. Daß aber eine solche Entwickelung überhaupt nicht möglich ist, zeigen die vor hohen Inseln und überhaupt festem Lande liegenden Korallenriffe, welche, wie im Rothen Meere und Indischen Ocean, schon seit Jahrhunderten, um nicht zu sagen Jahrtausenden, immer dieselbe Gestalt zeigen. Der in der Meeresoberfläche liegende Rücken der Korallenbank wird ununterbrochen so stark von der Brandung gepeitscht, daß nichts dort festen Fuß fassen kann, was nicht direct aus den Korallen herauswächst und das wieder kann nicht an der Luft leben. So können nur diejenigen Korallenriffe, welche durch Hebung ihres Fundaments über das Meeresniveau gestiegen sind, nach erfolgter Verwitterung des Korallengesteins oder nach erfolgter Anschwemmung in verhältnißmäßig kurzer Zeit culturfähig werden, wenigstens culturfähig für die Kokosnußpalme und eine Art Eisenholz, welche zu ihrem Gedeihen gerade den Korallensand und keinen Humus verlangen. Ich muß übrigens an dieser Stelle darauf verzichten, eine nähere Beschreibung dieser Inseln zu geben, da die Verhältnisse mir nicht gestatten, auf dieser Tour eine derselben anzulaufen; ich werde indeß im weitern Verlauf der Reise im westlichen Theil der Südsee noch in vielfache Berührung mit ihresgleichen kommen, dann also competenter zu solcher Aufgabe sein. Hier will ich nur noch einmal auf die umstehende Skizze hinweisen, um durch dieselbe zu zeigen, warum außerhalb der von den stets senkrecht bauenden Korallen errichteten Inseln in der Regel tiefes Wasser ist.
24. Mai.
Gestern vormittags 11½ Uhr kamen einige der Koralleninseln in Sicht, d. h. nur die auf ihnen wachsenden Kokospalmen, welche ihre Wurzeln scheinbar in den Ocean geschlagen haben, da das niedrige Land erst sichtbar wird, nachdem das Schiff sich der Insel einige Seemeilen mehr genähert hat. Da ich bisher noch keine Koralleninseln gesehen hatte, so lief ich dicht heran, um, an der niedrigen Küste entlang segelnd, einen Einblick zu erhalten. Es macht einen eigenthümlichen Eindruck, diese schmalen Landstreifen zu sehen, welche, dicht mit schattigen Bäumen bewachsen, hier in dem unendlichen Weltmeere wie Oasen unter dem farbenprächtigen Tropenhimmel liegen und, von der hier ewig heißen Sonne beschienen, von einem merkwürdig sonntägig melancholischen Hauch umweht sind. Hier und da sieht man zwischen den Bäumen einige Hütten hervorlugen, Menschen gewahrt man aber nicht. Wozu sollten diese Leute auch in der heißen Mittagszeit ihre Hütten verlassen? Was sie zum Leben gebrauchen, geben ihnen die Kokosnüsse und die in den Morgenstunden unternommenen Fischzüge; andere Nahrung kennen sie nicht, sogar das Wasser fehlt ihnen. Kokosnußkerne und Fische bilden die Speise, Kokosnußmilch das Getränk. Das Leben auf diesen Inseln würde daher unmöglich sein, wenn die Kokosnußpalme nicht ununterbrochen, unabhängig von der Jahreszeit, stets Blüten und Früchte jeden Alters, von der ersten Anlage bis zur vollkommenen Reife, trüge. Arbeit bringt den Leuten keinen Nutzen, ihr ganzer Lebenszweck besteht daher in Essen, Trinken, Schlafen und in der Sorge für ihre Fortpflanzung.
Da die hohen Bäume einen Blick auf die andere Seite des schmalen Landstreifens von dem Deck aus nicht zulassen und nur ab und zu dem Auge erlauben, für Momente die schöne, hellgrüne Farbe des Inselsees zu erhaschen, so stieg ich mit einigen Offizieren, denen sich sogar der Schiffsarzt anschloß, in die Takelage, um von diesem erhöhten Standpunkte aus einen freien Ueberblick zu erhalten. Jetzt liegt die ganze Insel vor uns — zu unsern Füßen der schmale, mit saftigem Laub bedeckte Landstreifen, an den sich in der Ferne die noch im Wasserspiegel liegenden Riffe anschließen, welche sich wol nie zu fruchtbarem Boden entwickeln können, da die jahraus jahrein von derselben Richtung auflaufenden Wogen das Riff mit einer so gewaltigen Brandung überspülen, daß die kleinen Keimchen, welche sonst unter Umständen eine so starke Brustwehr zu bilden vermögen, hier doch keinen festen Fuß fassen können. Merkwürdigerweise müssen hier in der Südsee die von dem Passat aufgewühlten Wellen in Bezug auf Höhe und Kraft vor einem Nebenbuhler zurücktreten, welcher in einer Entfernung von etwa 2000 Seemeilen von den in den südlichen Breiten herrschenden schweren Südweststürmen erzeugt ist und in Form einer gewaltigen Dünung seinen Weg bis zu unserm augenblicklichen Standpunkt zu finden weiß.

Allmähliches Auftauchen einer Koralleninsel über dem Horizont.
Die Insel würde ein lohnendes, aber sehr schwieriges Thema für einen geschickten Maler abgeben; schwierig, weil nur die vollendetste Kunst die großen Contraste, welche sich hier dem Auge bieten, im Bilde wird wiedergeben können. Die tiefblaue Meeresflut, welche hier in Lee der Insel von der vorher genannten Südwestdünung nicht beunruhigt wird, ist nur leicht bewegt von dem kühlenden Passat, dessen kosendes Spiel die Wasserfläche mit unzähligen Schaumköpfen bedeckt. Sanfte niedrige Brandung bespült weich diesen blendend weißen Streifen Landes, auf dem die Kokospalmen mit ihren schlanken, graugrünen Stämmen gen Himmel streben und ihre duftigen saftig-grünen Laubkronen in dem frischen Winde spielen lassen. Niedriges Buschwerk und Gräser bedecken den Rücken des Landes und überziehen den grellen Korallensand mit einer dem Auge wohlthuenden Farbe. Auf der andern Seite des Landes liegt die smaragdfarbene Lagune, welche regungslos, von dem Winde unberührt, der Sonne wie ein riesiger Edelstein entgegenstrahlt, während dieses erhabene Gestirn glänzend in dem durchsichtigen Aether steht und seine warmen Strahlen auf dieses in stillem Frieden daliegende Stück Erde hinabsendet. Doch welche Veränderung sieht das Auge, sobald es weiter schweift! Zur Linken und Rechten verläuft das Land in Riffe, über welche die schweren Südwestwogen brüllend hinwegbrechen und ihren Gischt bis zu 15 m Höhe hinaufschleudern. Der ganze See ist in der Ferne von einer dichten Dunstmasse umrahmt, denn jenseit der Lagune sieht man nur noch den Wasserstaub der sich brechenden Wogen, da die Brandung selbst schon weit unter dem Horizonte liegt. Dieser Dunstkreis gibt dem Himmel an jener Seite eine graue Färbung und ein stürmisches Aussehen; man glaubt dort an einem rauhen Herbsttage die entfesselten Elemente kämpfen zu sehen, während hier das Schiff im schönen Hochsommer sanft die Wogen des majestätischen Weltmeers durchschneidet.
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