Es ist ein buntbewegtes interessantes Bild, was von meinem Standpunkte auf der Commandobrücke aus da vor mir sich entfaltet. Zu meinen Füßen liegt das blinkend weiße Deck mit seinen blanken Kanonen und all den schön geputzten, in der Sonne glitzernden Messing- und Eisentheilen. Auf dem Deck, wo an 400 Menschen sich bewegen, ist ein Leben wie auf einem Jahrmarkt: Matrosen, halb angezogene und nackte bunt bemalte Eingeborene, diese theilweise mit Früchten und andern Handelsartikeln beladen, schieben sich hin und her, dazwischen treiben die nackten gelben Jungen ihr Spiel; die ganze Reling ist mit Menschen beider Hemisphären besetzt, welche theils dem Treiben zusehend dort sitzen, theils unter Lachen versuchen, sich miteinander zu verständigen. Die Takelage des leicht hin- und herwiegenden Schiffes beschreibt regelmäßige Bogen auf dem feenhaften Hintergrunde, und das Wasser ist durch die vielen fortwährend in Bewegung befindlichen Kanus belebt. — Stundenlang hätte ich dort stehen können, um diesem interessanten, wechselvollen und harmlosen Leben und Treiben zuzuschauen.
Unter den sich umhertreibenden Jungen fiel mir ein besonders hübscher, etwa 12 Jahre alter Bengel auf; ich rief ihn heran, um ihm in der Kajüte etwas Naschwerk zu geben. Freimüthig, ohne Zaudern folgt er meinem Wink; das Innere der Vorkajüte fesselt ihn aber mehr als die Mandeln es thun. Als er sich genügend umgesehen hat, bittet er um die Erlaubniß, auch die Achterkajüte betreten zu dürfen, was ich ihm erlaube. Da er nicht wiederkommt und es hinten mäuschenstill ist, muß ich doch nachsehen, was er dort eigentlich thut; ich trete in die Thüre und finde nun die Bescherung. Da steht, zwei Schritte von mir entfernt, der halbwüchsige Junge mir gegenüber vor den hier schon so oft genannten beiden Mädchenbildern, mit offenem Munde, stieren Blickes. Er hört mich nicht und sieht mich nicht, trotzdem seine Blicke mehreremal über mich hinweggleiten, wenn er mit jähen Bewegungen seinen Kopf nach der Seite wirft, um etwa noch schönere Bilder zu entdecken, was aber nicht zuzutreffen scheint, da seine Augen stets schnell wieder nach den erstern Bildern zurückkehren. Nach einiger Zeit trete ich an ihn heran, fasse ihn leicht am Ohrläppchen, und nun kommt er erst wieder zur Besinnung. Er scheint aus einem tiefen Traum zu erwachen, sieht noch einmal nach den Bildern hin und läßt sich, verschämt lächelnd, am Ohr hinausführen. So hatte ich, im Gegensatz zu Waitz, in der Zeit von 24 Stunden alte und junge Männer, ältere und jüngere Frauen und ein Kind in meiner Kajüte, welche als das Schönste alles Sehenswerthen die zarte Hautfarbe der Kaukasierin betrachteten.
Es war inzwischen 5 Uhr nachmittags geworden, die Zeit, welche für das Wegschicken der Insulaner festgesetzt worden war, weil ich am nächsten Morgen mit Tagesanbruch weiter gehen wollte und das Schiff am Abend vorher seeklar gemacht werden sollte. Vor meiner Kajüte sitzt der weibliche Theil unsers Besuchs auf Deck, bereit in die Boote geschickt zu werden, jedenfalls verwundert darüber, daß sie in ihrem Leben zum erstenmal ein Schiff ohne weitere Abenteuer verlassen werden. Ich begleite sie noch zum Fallreep, um der Häuptlingsfrau und den Dolmetschern Adieu zu sagen, und finde bei meiner Rückkehr den Raum des schönen weißen Decks vor meiner Kajüte, wo die Frauen gesessen hatten, ganz schwarz aussehend; bei meinem Näherkommen fliegen Tausende von Fliegen auf und das Deck ist wieder weiß wie vorher. Eine höchst merkwürdige Erscheinung, da diese Leute keine andere Körperausdünstung haben als wir. Hätten Neger dagesessen, dann wäre mir die Sache erklärlich gewesen, so aber fehlt mir jede Erklärung dafür.
Da mein Interesse für das ganze Treiben um uns herum, sowie für das schöne Landschaftsbild mich noch einmal auf die Commandobrücke trieb, wurde ich noch Zeuge einer höchst putzigen Scene, nämlich wie die Jungen landen, wenn sie nicht bei dem Aufschleppen der Kanus helfen müssen, und diesmal wurden sie größtentheils mit unsern Booten, welche nach dem früher genannten Stein fuhren, an Land befördert. Sobald die Boote in die Nähe des Landes kamen, ging es hops aus den Booten heraus; all die Knirpse, an die 50 Kinder zwischen 4 und 12 Jahren, sprangen in das Wasser und schwammen, unbekümmert um die Brandung und ohne Rücksicht auf den bevorzugten Stein zu nehmen, nach den ihnen zunächst gelegenen Steinen und schwammen so lange vor denselben, bis eine Welle hoch auflief. Dann tauchten sie schnell unter, um aus dem überbrechenden Wellenkamm herauszukommen, und als das Wasser ablief, lagen die kleinen gelben Gestalten wie die Frösche, mit allen Vieren sich anklammernd, auf den Steinen, sprangen dann schnell auf, schüttelten das Wasser ab und waren mit einigen leichten Sprüngen aus dem Wasser. — Es ist doch beneidenswerth, solche Körpergewandtheit und auch den zu solchen Späßen wol erforderlichen Muth zu besitzen.
Ehe ich das liebliche Thal Omoa verlasse, will ich noch einige, den vorstehenden Bericht ergänzende Bemerkungen beifügen.
Wie ich schon angeführt habe, ist Arbeit eigentlich nicht bekannt und erstreckt sich nur auf das fürs Leben durchaus Nothwendigste. Dieses beschränkt sich auf den Hüttenbau, die Herstellung des Baumrindenstoffs, den Fischfang nebst dem Bau der dazu erforderlichen Kanus, auf das Abpflücken der reifen Früchte und auf das Kochen, schließlich auch noch auf das Tätowiren, wenn man dies eine Arbeit nennen will.
Bestimmte Mahlzeiten haben diese Menschen nicht, sie essen vielmehr sobald der Sinn ihnen danach steht.
Jedes Stück Land, jeder Fruchtbaum hat seinen Besitzer, und dieser Besitz vererbt sich von dem Vater auf die Söhne, beziehentlich die von ihm als solche anerkannten Kinder. Diebstahl soll nach übereinstimmender Aussage des Missionars und unserer Dolmetscher nur äußerst selten vorkommen, weil Stehlen als ein schweres Verbrechen betrachtet wird. Mit Bezug hierauf hatten wir auch Gelegenheit, ein gleiches eigenes Urtheil zu gewinnen, denn trotz der vielen Eingeborenen, welche bei uns an Bord gewesen waren, ist nichts abhanden gekommen, wie die ganze Mannschaft auf Befragen versichert hat; sogar all die Kleinigkeiten, welche den Weibern für ihren Tanz geschenkt worden waren, fanden sich nach ihrem Abgange auf dem Schiffe wieder vor.
Während unsers Aufenthalts ist, wie ich dies auch schon angedeutet habe, kein Fall von Trunkenheit bei den Eingeborenen beobachtet worden, und ich führe dies nur noch einmal an, um daran anknüpfend zu erwähnen, daß die Trinkgelage zuweilen mit der Ermordung eines Mannes enden sollen. Da diese Fälle aber stets dieselbe Entwickelung und denselben Verlauf haben sollen, so bin ich der Ansicht, daß das Trinkgelage in solchem Falle nur Mittel zum Zweck und eine Art Vehmgericht ist, daß die Ermordung zu einer Zeit erfolgt, wo die Leute noch nüchtern sind, und zwar mit der bestimmten Absicht, das Gemeinwesen auf einfachste Art von einer allgemein misliebigen Persönlichkeit zu befreien. Die Sache fängt stets damit an, daß während des Gelages zwei Männer in Streit kommen, dann aber sofort die ganze Gesellschaft ohne jedes Besinnen für den einen Streiter Partei nimmt, über den andern herfällt und ihn mit Messern und Aexten zerfleischt. Ein derartige Lynchjustiz muß ein abgekartetes Spiel sein, weil Trunkene sich wol in eine Schlägerei mischen, sich aber nicht sofort gegen eine Person vereinen können.
Bei dem Kapitel „Sittenlosigkeit“ oder „Freiheit der Sitten“ bleibt noch festzustellen, welches eigentlich die richtigste Bezeichnung ist. Der obenerwähnte kleine Pfiffige (ich muß schon bei dieser Bezeichnung bleiben) erzählte mir, daß er sich keine Frau nähme, weil er ja doch immer eine auf Zeit haben könne, wenn er Lust dazu habe, und das käme ihm billiger wie fortgesetzt eine Frau mit deren Kindern zu unterhalten. Dafür wird er allerdings in seinem Alter keine Söhne zu seiner Unterstützung haben, wenn es ihm nicht gelingen sollte, vorher ein größeres Besitzthum zu erwerben und dann darauf lüsterne junge Männer zu adoptiren. Dieser Zustand ist ja nach unsern Begriffen entschieden unmoralisch, demnach eine Sittenlosigkeit. Dieselbe wird aber dadurch sehr gemildert, daß die Kinder nicht darunter leiden, sondern in jedem Manne einen Vater, in jedem Jüngling einen sie schützenden Bruder finden. Was ist Liebe der Aeltern zu ihren Kindern? fragt man sich unwillkürlich, wenn man diese paradiesischen Zustände sieht. Die Kinder finden hier entschieden ebenso viel Liebe wie bei uns, obgleich oft nicht einmal die Mütter deren Vater zu bezeichnen wissen. Hier wird die Kinderliebe also nicht durch die Stimme der Natur bedingt, sondern einfach durch Gewöhnung.
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