Der hoch gewachsene Brite setzte sich wieder und bot Chong einen Platz gegenüber an. „So, dieser Wong, der mich beinahe umgerannt und dann auch noch mit seinem Karren überfahren hätte, gehört also zu ihren Leuten“, hob er an. „Ich bitte vielmals um Verzeihung, für dieses unverzeihliche Missgeschick. Natürlich übernehme ich die volle Verantwortung, schließlich habe ich Mr. Wong extra zur Eile angetrieben“, versuchte Chong dem Inspektor gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Nun gut, Gott sei Dank ist ja nicht viel passiert. Ich bin quasi mit dem Schrecken und einem leicht lädierten Allerwertesten davongekommen“, lenkte dieser ein. Chong Ng atmete innerlich tief durch, seine Strategie der sanften Töne schien anzuschlagen. „Für die Zukunft sollten Sie ihren Transporteur aber wirklich anweisen im Straßenverkehr besser Acht zu geben“, mahnte Wigglesworth. „Selbstverständlich Herr Inspektor, ich werde ihm umgehend die Leviten lesen. So etwas wird nie wieder vorkommen. Darf ich Mr. Wong jetzt mitnehmen?“, fragte Chong und wollte sich bereits erheben. „Ah, da wäre nur noch eine Kleinigkeit Mr. Ng. Weshalb ich den Verkehrsrowdy eigentlich mitgenommen habe und weiter befragen wollte. Als ich ihn nach dem Lieferschein für seine Fuhre fragte hat mich Mr. Wong nur verständnislos angeblickt und den Kopf geschüttelt. Es kam mir beinahe so vor, als schien er überhaupt nicht zu wissen, was ein Lieferschein ist. Vielleicht mag es aber auch ein ganz schlichtes Verständigungsproblem gewesen sein. Es kann offensichtlich nicht mehr als ein paar Brocken Englisch. Sie können mir da sicherlich weiterhelfen Mr. Ng, haben Sie den Lieferschein wohl zufällig zur Hand?“, fragte Wigglesworth. Chong schossen mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Warum wollte der Inspektor unbedingt den Lieferschein sehen, den es natürlich nicht gab. Wusste er vielleicht etwas von seinem Deal mit Fong? Nein, das war schlicht unmöglich, er war rein zufällig in die Rikscha von Wong gelaufen. Außerdem war er erst seit kurzem in Singapur und konnte noch gar nicht die Verbindungen haben um an solche Informationen zu gelangen. Was war es dann? Vielleicht einfach nur eine Kombination aus leicht verletztem Stolz, da er auf offener Straße wegen dem kleinen Unfall ausgelacht worden war und dem Übereifer eines ehrgeizigen jungen Beamten. Der Inspektor suchte nach einem Fehler, um Wong und ihm eins für die versetzte kleine Ehrschädigung auszuwischen. Ja, das musste es wohl sein. Chong ging in die Offensive und versuchte, ihn ein wenig zu verunsichern. „Verehrter Inspektor Wigglesworth, es scheint mir, dass Sie sich erst kurze Zeit in Singapur aufhalten. Erlauben Sie mir, ihnen die Situation etwas näher zu bringen. Lieferscheine sind hier größtenteils noch völlig unbekannt. Fast der gesamte Handel zwischen Chinesen und Malaien, was über 80% des Gesamtvolumens ausmachen dürfte, wird quasi per Handschlag abgeschlossen und sofort oder bei Lieferung bezahlt, ohne dass auch nur ein Fetzen Papier dabei beschrieben würde. Nur beim Handel mit, oder unter den Briten und anderen Ausländern, kommt besagter Lieferschein zum Einsatz.“ Der Polizist staunte. „Es ist mir ein Rätsel, wie sich eine ordnungsgemäße Buchführung gewährleisten lässt, ohne Rechnung zum entsprechenden Eintrag im Kontenbuch und abgezeichnetem Lieferschein zur jeweiligen Rechnung.“ „ Sie kennen sich aber sehr gut im kaufmännischen Bereich aus. Ist das ihr Ressort, Herr Inspektor? “ „Ähem, nein“, räusperte sich dieser, „ich bin Kriminaler, aber ich blicke immer gerne ein wenig über den Tellerrand hinweg.“ „Verstehe Sir, eine überaus lobenswerte Eigenschaft für einen Polizisten, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Was die Buchführung anbelangt, so haben wir Asiaten natürlich noch sehr viel von den Briten zu lernen“, glättete Chong Ng ab. Insgeheim dachte er sich, dass sein Volk bereits über eine ordnungsgemäße Buchführung verfügte und selbige auf gebundenen Papierbänden festhielt, als die Briten noch Kelten hießen und gerade von den Römern verdroschen wurden. Wigglesworth war jedoch für derartige Schmeicheleien nicht ganz unempfänglich und bohrte nicht weiter in dieser Richtung. „Nun gut, wenn das so ist, habe ich keine weiteren Fragen, Sie können ihren Mann gleich mitnehmen.“ „Vielen Dank, Herr Inspektor“, sagte Chong erleichtert, „ich wünsche Ihnen einen angenehmen und erfolgreichen Aufenthalt in Singapur.“ Beide Männer erhoben sich und reichten sich nochmals die Hand zum Abschied. „Vielen Dank, Mr. Ng und Ihnen wünsche ich noch viele erfolgreiche Geschäfte.“ Chong Ng durchquerte die Halle bis zum Pult des Sergeant vom Dienst und erklärte diesem, dass alle Fragen mit dem Inspektor geklärt seien und er seinen Mitarbeiter nun mitnehmen dürfe. Zum Zeichen, dass die Sache in Ordnung ging, hob Wigglesworth, der im Türrahmen seines Office stand, die Hand. Der Sergeant zeigte ihm das Verhörzimmer, wo der Tagelöhner, wie ein Häuflein Elend, auf einem Stuhl saß. „Komm mit Wong, ich habe alles geklärt, wir können gehen“, sagte Chong und nickte ihm aufmunternd zu. Dieser erhob sich so langsam, als würde eine tonnenschwere Last auf ihm liegen. Dann schlurfte er durch den Raum zur Tür, wo Chong ihn in Empfang nahm und beide schließlich das Gebäude verließen. Draußen vor der Polizeiwache konnte er nicht mehr an sich halten und brach in Tränen aus. „Es tut mir so leid Chong Ng, ich wollte dich wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen. Aber der Ang Moh ist mir einfach rein gelaufen, ich konnte gar nichts machen. Und dann stellt er sich auch noch als Polizist raus.“ „Nun beruhige Dich Wong“, Chong klopfte ihm auf die Schulter, „ich weiß, du kannst nichts dafür und du hast mich auch nicht in Schwierigkeiten gebracht. Es ist alles mit dem Inspektor geklärt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Sie holten den Karren aus der Verwahrung und gingen zurück zur Straße. „Ich halte es für besser, wenn Ho die Lieferung zu Wen übernimmt, dann sieht es so aus, als hätte er den Transportauftrag alleine übernommen und auf zwei Fuhren aufgeteilt“, erklärte Chong. Ho nickte und machte sich gleich auf den Weg. „Und du gehst erst mal etwas kräftiges Essen und Trinken, auf den Schreck hin“, damit drückte Chong dem immer noch schniefenden Wong einen halben Schilling in die Hand und verabschiedete sich einstweilen. „Wir treffen uns später alle bei meinem Laden, ich muss mich beeilen, habe noch einen Termin mit der Drachenlady von vorhin.“ Die letzten Worte sprach er bereits im gehen.
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