An der Erweiterten Oberschule zog das Lerntempo ein wenig an, aber anfangs kam ich ohne Klimmzüge oder erhöhten Aufwand gut durch. Da ich zu dieser Zeit viele andere Dinge im Kopf hatte – mich mit den Kumpels in Diskotheken rumzudrücken, Feiern jeglicher Art mitzunehmen, Rockkonzerte zu besuchen, heimlich zu rauchen und sich möglichst cool zu geben – musste ich dann feststellen, dass ich so ganz nur mit links wohl nicht am Ziel ankommen würde. Also intensivierte ich die Lernarbeit ziemlich unlustig ein wenig und als ich keine Vieren mehr hatte ließ ich die Zügel wieder schleifen, denn die jungen Frauen wurden langsam interessant und das billige Bier in den Kneipen schmeckte gut. Es kam wie es kommen musste. Ich erhielt zwar das Abiturzeugnis, aber in den naturwissenschaftlichen Fächern prangten durchweg Dreien darauf. Außer in Mathematik, da war ich gut. Vielleicht hatte es auch daran gelegen, dass ich zu dieser Zeit extrem viel las, in einem Schreibzirkel war und mir viele Dinge am Arsch vorbei gingen. Eigentlich wollte ich ja mal Journalist werden, aber als ich die Tageszeitung studierte und dort seitenweise Hymnen vom Sieg des Sozialismus zur Kenntnis nehmen musste wurde mir klar, dass das wohl doch eher nicht mein Ding war. Ich musste mich für etwas anderes entscheiden. Damals wusste ich schon, dass ich niemals ein Techniker werden würde, dafür fehlten mir die entsprechenden geistigen Voraussetzungen. Was lag da näher, als sich für Betriebswirtschaft zu entscheiden. Ich war der einzige Junge in der Klasse mit diesem Studienwunsch und wurde mit Hohn und Spott überzogen, richtige Kerle wären doch nur diejenigen, die einen Ingenieurberuf ergreifen würden. Ich ging nicht darauf ein und tat so, als würde das von mir abprallen. Gewiss, es waren keine ersthaften Herabwürdigungen sondern eher Spötteleien und unser Verhältnis untereinander blieb ganz hervorragend.
Was mich allerdings mehr als grämte war die Drei in Deutsch. Nun will ich nicht sagen, dass ich in diesem Fach fehlerfrei war oder jedes literarische Werk besonders geschliffen interpretieren konnte. Aber bis zur 10. Klasse stand ich auf einer absolut sicheren Eins. Die Lage änderte sich, als mit den Jungs in der Klasse Gespräche geführt wurden, um sie für den Beruf eines Offiziers zu gewinnen. Obwohl ich mich damals und auch heute noch sehr für Militärgeschichte und Waffentechnik interessiere kam das für mich nicht in Frage. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Offiziere als Pfeifen und Deppen der Nation angesehen wurden, die nur rumbrüllen und saufen konnten und nicht viel im Kopf hatten. So eine Karriere entsprach nicht unbedingt meinen Vorstellungen. Nach unzähligen Gesprächen, die die Klassenlehrerin mit mir zu diesem Thema führte, war sie wohl zu dem Schluss gekommen, dass sie mit mir nicht weiterkam. Sicher hatte sie auch eine Quote zu erfüllen gehabt. Da ich in Mathe ganz gut war erkannte ich dann in der darauffolgenden Zeit eine gute Korrelation zwischen meiner Ablehnung für den Offiziersberuf und der Entwicklung meiner Noten in Deutsch, denn dieses Fach unterrichtete sie. Eben war ich noch ihr Liebling in diesem Fach gewesen, dann sackte ich gnadenlos immer weiter ab, um dann zum Schluss eine miese Drei zu bekommen. Das ärgerte mich zwar maßlos aber hob mich dann nicht mehr weiter an, denn das Studium war mir sicher und es lag ja in jedem Falle noch die Armeezeit vor mir. Wahrscheinlich war es sogar eine multiple Korrelation gewesen, denn ich konnte mich nicht einmal dazu durchringen, 3 Jahre zur Armee zu gehen. Hätte ich mich dazu entschlossen wäre vielleicht eine Zwei in Deutsch rausgesprungen, aber wer ist schon so bescheuert, für eine Note, die dann später kein Schwein mehr interessiert, eine 18 Monate längere Armeezeit auf sich zu nehmen. Jedenfalls rasselte keiner aus der Klasse durchs Abitur und jetzt lagen einige Monate freie Zeit vor uns, denn im Herbst würde es zur Armee gehen.
Leider muss ich mich hier als Akademiker mit einer Schleudertruppe von minderbemittelten Sachbearbeitern und arroganten und rasselblöden Vorgesetzten auseinandersetzen, die allesamt keinen blassen Schimmer von Unternehmensführung und keinerlei Vorstellung von Einsatzbereitschaft haben. Vor der Armeezeit blieb aber noch eine Zeit von gut drei Monaten und um nicht gänzlich in der Gammelei zu versacken nahm ich ein mir interessant erscheinendes Ferienarbeitsangebot an. Kurz vor dem Abitur war ein Typ der Deutschen Reichsbahn in der Schule aufgekreuzt und hatte für einen zeitweiligen Job als Schlafwagenschaffner geworben. Ich unterschrieb den Arbeitsvertrag mit einer gewissen Vorfreude.
Ich war in den Schulferien schon immer mal jobben gewesen und deswegen auch ziemlich gespannt, wie es diesmal ablaufen würde. Vielleicht sogar so lustig wie in der Brauerei und nicht so stressig wie in der Wäscherei. Aber zuerst zur Brauerei. Dort befand sich mein Arbeitsplatz im Fasskeller und meine Aufgabe bestand darin, leere Bierfässer aus Holz auf eine Art Förderband zu wuchten, den Verschluss zu entfernen und die Fässer dann mit einem Wasserschlauch auszuspritzen. Das konnte jeder Idiot und es war auch so, dass die Arbeitsbelastung nicht ganz so hoch war. Mit mir hielten sich noch zwei Arbeiter im Fasskeller auf, die die Fässer dann vom Förderband nahmen und in einer Ecke aufstapelten. Ab und an wurden wieder leere Fässer angeliefert aber man geriet kaum in Schweiß. So ein Fasskeller hat nämlich den Vorteil, dass er in den Fels geschlagen worden war und es demzufolge angenehm kühl dort war. In diesem Juli war es draußen drückend heiß. Die zweite nicht zu unterschätzende Sache war die, dass die findigen Arbeiter wie auch immer eine kleine Kupferleitung mit einem Absperrhahn in ihren und meinen Wirkungsbereich verlegt hatten. Damals waren ja Bügelflaschen absolut üblich und jeder von uns verfügte über so ein Gefäß. Nun werden Sie sich fragen, was das bedeuten soll. Sicher musste man seinen Flüssigkeitsverlust ausgleichen und was lag in einer Brauerei näher, als dies mit Bier zu tun. Man trat mit seiner Flasche also an den Hahn, hielt seine Flasche darunter und füllte diese je nach Bedarf. Da die Leitung offensichtlich mit einem der riesigen Biertanks verbunden war gab es somit eine nie versiegende Quelle und man konnte ständig aus dem Vollen schöpfen. Meine beiden Mitstreiter ermunterten mich, mit ihnen ordentlich mitzuhalten und so kam es, dass wir eigentlich immer ziemlich gut drauf waren und die Arbeit locker von der Hand ging. Was mich allerdings verwunderte war, dass die beide ihre Flaschen immer in einen Eimer mit warmem Wasser stellten aber dann begriff ich, dass man sich sonst die Nieren verkühlen würde, weil es wie gesagt im Fasskeller doch recht kalt war. Da mein Einsatz dort aber zeitlich auf 2 Wochen begrenzt war unterließ ich die Temperierung des Biers. Am ersten Arbeitstag war ich noch mit dem Fahrrad angereist. Als ich jedoch die Brauerei mit 6 Flaschen Haustrunk im Rucksack verließ ahnte ich, dass ich wohl besser auf die Straßenbahn umsteigen sollte. Das hatte zwei Gründe. Erstens war es wirklich sehr heiß, und zweitens bekam ich einen Schlag vor den Kopf, denn ich hatte ja etliche Bierchen im kühlen Fasskeller zu mir genommen. Jedenfalls fuhr ich dann die restlichen Tage mit der Straßenbahn, hinzu zur Brauerei noch mürrisch und gereizt weil ich ziemlich früh aufstehen musste, rück zu aber durchaus beschwingt und bester Laune. In dieser Zeit muss wohl meine Vorliebe für Bier erweckt worden sein.
Der Zufall sollte mich später als Student abermals in so eine Einrichtung führen. Es wurden Pauschalarbeitskräfte gesucht und man holte uns mit einem Kleinbus direkt nach der Vormittagsvorlesung von der Uni ab und fuhr uns in die bekannte Brauerei nach Radeberg. Die Arbeitsschutzbelehrung fiel knapp aus und gipfelte in der Bemerkung durch den Meister, dass Alkoholgenuss strengstens verboten wäre und wer dabei erwischt würde wäre das letzte Mal hier gewesen. Der Blick in die Abfüllhalle war durchaus beeindruckend, denn dort war alles vom Feinsten. Und alles aus dem Westen. Lange und schlangenförmig angeordnete Transportbänder für die Flaschen beförderten diese zu verschiedenen Stationen und am Ende kam eine etikettierte Flasche raus. Dort griff sich ein Automat eine bestimmte Anzahl an Flaschen und verfrachtete sie in Pappkartons. Ich musste zusammen mit einem Kumpel diese noch flachgedrückten Kartons auffalten. Nach Anfangsschwierigkeiten kamen wir bald gut klar und konnten auf dem Hof eine Rauchpause einlegen. Selbstredend hatten wir uns jeder eine Pulle vom Band gegriffen und das wiederholte sich noch einige Male. Da das Bier in der Abfüllanlage pasteurisiert worden war hatte es eine unangenehme Temperatur aber wir lösten das Problem ganz pragmatisch, indem wir uns unser eigenes Flaschenlager hinter Gerümpel auf dem Hof einrichteten und die Biere dort schön herunterkühlten. In der Schicht werde ich wohl so drei bis vier große Flaschen Bier vertilgt haben. Der Meister hatte dieses Maß aber höchstwahrscheinlich deutlich überschritten, denn als er uns so gegen 22 Uhr in bar auszahlte, entrangen sich seiner Kehle nur noch dumpfe animalische Laute und ich hatte Bange, dass er gleich vom Stuhl fallen würde, so voll war er. Ich war noch so sechs sieben Mal in Radeberg im Einsatz und konnte jedes Mal die Metamorphose des Meisters von einem scheinbar normalen Menschen zu einer lallenden Alkoholleiche miterleben. Hier in dieser miesen Bude ist es nicht einmal erlaubt, zum Geburtstag ein Schlückchen zu trinken und die Rauchpausen müssen per Zeitkarte abgezogen werden. Alles in allem hatte mir die Sache in der Brauerei Spaß gemacht, mir ging im Gegensatz zu hier keiner auf die Nerven, der Verdienst war okay und ich bekam auch wieder Haustrunk. Flüssiges Gold in Gestalt von Radeberger Exportbier. Das war damals eine nicht zu unterschätzende Währung. Diese faule Brut hier in der Firma verdient ungerechtfertigter Weise so viel Geld, dass die sich jeden Tag einen Kasten Radeberger leisten könnte, was sage ich, zwei oder drei sogar!
Читать дальше