Denn: meine Kinder sind die Schönsten, die Süßesten und natürlich die Klügsten. Aber nur zu 50 % aller Tag- und Nachtzeiten. Die anderen 50 % sind sie die Ausgeburt des Teufels. Blutsauger, Energiefresser, Zerstörer. Kinder eben. Meine eigenen. Billy und Joe waren so nie mit mir. Auch Rebecca, Steve und Willy nicht (meine zweite Au-Pair-Familie in Florida). Wir hatten nur Spaß und eine schöne Zeit. Das Grenzen-Austesten ersparten sie mir. Ich bin ihnen heute noch dankbar dafür. Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, wäre eine Sterilisation für mich eventuell in Frage gekommen.
Warum ich dann überhaupt drei Kinder habe? Eine berechtigte Frage.
Eine logische Antwort ist meine 5/5 Theorie:
1/5 persönliche Naivität, über die ich reichlich verfüge
+ 1/5 von Alexanders Optimismus gepaart mit seinem großen Familien- bzw. Kinderwunsch
+ 1/5 Vergessen aller Sorgen und Probleme, die das Leben mit Kindern so mit sich bringt
+ 1/5 angeborener, primitiver Instinkt sich fortpflanzen zu wollen
+ 1/5 Wunder. Und dieser Teil ist am allerwichtigsten: es sind die Lichtblicke, die alles überstrahlen. Momente, die dich so beeindrucken, so berühren, so beglücken wie nichts und niemand zuvor.
Der allererste Anblick deines neugeborenen Babys, die erste Berührung der zarten Haut. Der Duft von deinen kleinen Lieblingen, ihr seidiges Haar. Die ersten Brabbel-Laute, ihr vertrauensseliger Blick, die kleine, gepolsterte Hand, die deinen Zeigefinger fest umklammert und nicht mehr loslässt. Das erste „Lieb hab“ und das „Budi“ (Bussi), bevor sie ihre Augen schließen. Und natürlich: der Anblick, wenn sie schlafen. Nichts, absolut niente nel mondo, ist so schön, wie das.
Wenn diese fünf Elemente zu einem denkwürdigen Zeitpunkt zusammen treffen, dann hauchst du: „Ja, Schatzi, du hast Recht, (noch) ein Kind wäre wirklich schön!“ Zehn Monate später steht ein Holzstorch vor deiner Tür – in Kleinberg, nicht in Wien. In Wien bekommst du eine Windeltorte mit Bipa-Gutscheinen geschenkt.
Michael auf der anderen Seite hatte der Wunsch sich fortpflanzen zu wollen, noch nicht ereilt. Leider blieb ihm nichts anderes übrig; das Baby war bereits auf Schiene. Beim ersten Gespräch sagte ich nicht viel. Ich wollte ihn das alles überdenken lassen. Hatte ich doch auch einige Wochen gebraucht, um mich mit dem Gedanken, Mutter zu werden, anzufreunden. Leider erwiderte Michael die Freundschaft zum Vaterschaftsgedanken nicht. Zu Beginn und auch später nicht.
Drei Wochen später trafen wir uns wieder. Leandras Erzeuger war wütend. Auch verständlich. War ich ja auch hin und wieder in dieser Zeit. Bei diesem Gespräch verabschiedete er sich mit einem „Zuerst will ich einen Vaterschaftstest. Davor siehst du kein Geld!“ von mir. „Du blöder, verfi…. Arsch!“ war meine Antwort.
Somit war klar: die gute Basis für eine harmonische Elternschaft war nicht hergestellt. Darum blieben wir bei den hard facts. Vaterschaftstest nach der Geburt, Feststellung der Unterhaltshöhe vom Jugendamt, alleiniges Sorgerecht für mich. Darüber hinaus war unsere Kommunikation beendet.
Ob ich enttäuscht war? Mittelmäßig. Ich kannte Michael gut. Er ist lustig, aber wenig ernsthaft. Wäre ich an diesem 26. Juni nicht so irrsinnig betrunken und traurig gewesen, wäre ich niemals mit ihm im Bett gelandet. Mit wem anderen vielleicht, mit ihm sicher nicht. Doch das Bedürfnis nach einem Vertrauten war so groß und Michael durch eben so viel Alkohol so aufgeweicht, dass das eine zum anderen führte. Muss ein Kind immer aus Liebe entstehen, damit es ein glückliches Leben verdient? Ich hoffe es nicht. Und wenn ich Leandra so neben mir erlebe jeden Tag, kann ich dem guten Gewissens widersprechen.
Nach exakt sechs Stunden Wehenarbeit kam Leandra um viertel vor neun abends auf die Welt. Biene hatte sich wacker geschlagen. Ich war sowieso ganz woanders. Jetzt, wo ich nämlich schon drei Kinder geboren habe, weiß ich: das alles völlig nüchtern, ohne mit Hormonbomben zugedröhnt zu sein, ansehen zu müssen, ist definitiv schlimmer als selbst die Gebärende zu sein. Ganz ehrlich: wenn ich es mir aussuchen kann, hoffe ich aufrichtig, dass mich niemals im Leben eine Freundin um diesen Gefallen bitten wird. Ich bin ja nur froh, dass ich Biene nicht darum gebeten habe – sie kam ganz alleine drauf. Sonst hätte ich danach ein schlechtes Gewissen gehabt. Schreien, Rufen, Schwitzen, Zittern, Fluchen, Jammern, Verzweifeln, Schweiß, andere Körperflüssigkeiten, die ich nicht näher benennen will….. nüchtern betrachtet: wenn das eine Freundschaft aushält, dann hält sie für immer.
Beim eigenen Mann sehe ich die Sachlage anders. Da ist der Zuseher und Motivationshelfer ja auch der Erzeuger und somit mitschuldig. Der darf da ruhig durch müssen. Wo gehobelt wird, fallen Späne und da kann er dann ruhig auch beim Aufräumen helfen – finde ich.
Aber Alexander ist sowieso die Ruhe in Person und er hat sich beim „Gebären“ absolut souverän verhalten. Kein Ekel, kein entsetzter Blick, keine Ohnmacht. Soll es alles geben! Er war stolz auf mich, zu Tränen gerührt beim ersten Blick auf unsere Söhne und am Tag nach der Entbindung bekam ich jedes Mal einen Riesenstrauß roter Rosen und haufenweise Schokopralinen von ihm. Dazu hatte er einen wunderschönen Brief gesteckt (zwei Mal!), in dem stand:
„Geliebte Anna! Danke!!!
Das hast Du ganz toll gemacht!
In Liebe, Dein Alexander“
Ich bewahre sie gemeinsam mit Bienes Wohnungsannonce in meinem Nachttisch auf.
Vier Monate vor Leandras zweitem Geburtstag, fragte mich Biene, ob ich Lust hätte in einem der Restaurants ihres Arbeitgebers zu kellnern. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt schon einige Gelegenheitsjobs gemacht. In einem Sonnenstudio arbeitete ich damals fix an zwei Nachmittagen, wenn Biene frei hatte. Sie wiederrum schob noch immer zwei Nachtdienste an der Rezeption, wo ich auf ihre Kinder schaute. Arabella war damals schon vier, Tristan bereits sechs Jahre und in der Schule. Darum hatte Biene ein Jahr zuvor begonnen auch vier Mal pro Woche vormittags zu arbeiten. In der Verwaltung eines größeren Einkaufszentrums. Darin befanden sich unter anderem Kaffeehäuser, Bars und Restaurants. Es war eine ziemlich angesagte Location und Biene und ich hatten es tatsächlich schon geschafft auszugehen, wenn meine Mama da war und auf Leandra aufpasste. Biene hatte ja den „Vorteil“, wenn man es so nennen will, dass Rüdiger die Kinder jedes zweite Wochenende hatte. So kam es eines Abends, dass ich im „Shrimps, Cocktails & more“ aushalf und große Mengen an leckerem Essen zu den dafür vorgesehenen Tischen karrte. Und als ich an der Tellerausgabe stand und auf zwei Mal „Chef’s Special“ und den „Small Shrimp & Fruit Salat“ wartete, hörte ich seine Stimme. Ich sah in seine wunderschönen, braunen Augen und versank in seinem beruhigenden Blick. Der Duft der schmackhaften Nahrung betörte meine Sinne und es war um mich geschehen. Mein zukünftiger Mann Alexander stand vor mir.
Es scheint, als hätte ich es irgendwie mit dem Essen. Denn auch Michael lernte ich erst in der Uni-Cafeteria richtig kennen – und wir wissen ja alle, was daraus wurde. Zum Glück erwiderte Alexander meine Gefühle sofort und stellte sich als absolut hetero heraus – im Gegensatz zu meinem schönen Griechen. Zwischen Leander und Alexander waren mir zwar zwei oder drei andere Männer begegnet, die mir gefallen hätten, doch die Tatsache, dass es sich bei mir um eine gestrandete, ziemlich junge Alleinerzieherin handelte, brachte mir keine besonderen Pluspunkte. Den zwei aufstrebenden, karriereorientierten Männern namens Richard und Paul war ich wohl eine zu uneinschätzbare und risikoreiche Aktie; der Student Peter war mir wiederrum zu jung und wenig gefestigt.
Alexander nahm mich vom ersten Moment an so, wie ich war. Er zweifelte an keinem Aspekt meiner Persönlichkeit, lachte herzhaft über meinen Witz und freute sich über Leandra, als er von ihr erfuhr und sie schlussendlich kennenlernte. Er war begeistert von meiner Kraft ein so kleines Kind – gut, ich hatte Biene! – alleine aufzuziehen und relativ positiv in die Zukunft zu sehen. Er mochte meine nüchterne Art und die Weise, wie wir problemlos zusammenarbeiteten. Ich bin ziemlich stressresistent und unempfindlich, auch wenn es mal ein bisschen hoch hergeht. Und das tat es an einem Samstagabend im „Shrimps, Cocktails & more“ eigentlich immer. Da wird man nicht mit Samthandschuhen angefasst, vor allem nicht, wenn man die Bestellung verschlampt, die Tische verwechselt und durch andere Faux-Pas das Küchenpersonal ärgert. Zum Glück war ich sehr geschickt und die Kellnerin mit den wenigsten Fehlläufen. Spätabends, meist nachts gegen zwei Uhr, wenn die Küche geschlossen wurde und ich nicht noch für den späteren Bardienst eingeteilt war, saßen wir Kellner manchmal mit den Köchen zusammen. Alexander war Küchenchef und ich halte ihn für einen der besten Köche der Welt. Das mag übertrieben sein, aber ich liebe sein Essen und ich liebe ihn. Ich liebe es ihm zuzusehen, wenn er konzentriert bei der Arbeit ist und mit Hingabe die Speisen dekoriert. Er liebt das, was er tut und sieht dabei auch noch unheimlich sexy aus.
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