Ist es nicht ein faszinierender Gedanke, daß uns "normalen" Ahnenforschern mit den modernen genealogischen DNA-Testverfahren inzwischen Werkzeuge an die Hand gegeben werden, die noch vor einigen Jahren undenkbar waren? Generationen von Familienforschern vor uns hatten diese Chancen nicht.
3. Was habe ich davon einen DNA-Test zu machen?
Wenn Du anfängst, Dich mit der DNA-Genealogie zu beschäftigen, kann das ganze Thema wie ein undurchdringlicher Dschungel erscheinen. Und bevor Du Dich auf den Weg machst, stellst Du Dir sicherlich die Frage: Was bringt mir das eigentlich?
Darum geht es in diesem Kapitel. Du erfährst, was für Testergebnisse Du erwarten kannst. Und was für Möglichkeiten sich Dir durch die DNA-Genealogie eröffnen und welche Bedenken und Risiken zu beachten sind.
3.1 Ergebnisse von DNA-Tests
Alle DNA-Tests der in diesem Ratgeber vorgestellten Anbieter liefern grundsätzlich zwei Arten von Ergebnissen:
DNA-Matches
Herkunftsschätzungen
3.1.1 DNA-Matches
Sogenannte DNA-Matches sind Personen, die sich in der Datenbank des Testanbieters befinden (durch eigene Tests dort oder durch das Hochladen von Rohdaten anderer Testanbieter) und mit der getesteten Person zu einem gewissen Anteil gemeinsame DNA teilen. Die Länge dieser identischen Abschnitte der DNA (DNA-Segmente) wird in der Maßeinheit Centimorgan (Abk. cM) angegeben.
Als Faustregel gilt dabei:
Je größer die cM-Zahl, desto länger ist das gemeinsame Segment.
Je länger die übereinstimmenden Abschnitte zweier oder mehrerer Testpersonen sind, desto weniger Generationen ist der gemeinsame Vorfahre (engl. Most Recent Common Ancestor, MRCA) bzw. das gemeinsame Vorfahrenpaar entfernt.
Anhand der cM kann der Verwandtschaftsgrad zwischen zwei Menschen geschätzt werden.
DNA-Matches stellen also Verbindungen zu Personen dar.

3.1.2 Herkunftsschätzungen
Die sogenannten Herkunftsschätzungen, auch Ethnizitätsschätzungen oder Abstammungsmix genannt, sind Prozentwerte, die die genetische Ähnlichkeit der Testperson im Vergleich zum Erbgut von Menschen bestimmter Regionen abbilden. Sie geben Hinweise auf die jüngere ethnische Herkunft.
Anhand zahlreicher sogenannter Referenzgruppen, die in ihrer genetischen Zusammensetzung typisch für bestimmte Regionen sind, werden diese Werte für jede getestete Person ermittelt.
Die Anzahl verschiedener Referenzgruppen sowie die Zusammensetzung der Referenzpopulationen sind von Anbieter zu Anbieter sehr unterschiedlich. Das liegt vor allem daran, daß die zugrundeliegenden Referenzpopulationen regional ganz unterschiedlich abgegrenzt und auch zahlenmäßig unterschiedlich groß sein können.
Sie werden durch fortschreitende Forschung außerdem kontinuierlich weiterentwickelt. So kann sich die Darstellung der Testergebnisse immer weiter verändern. Die Testergebnisse selbst verändern sich natürlich nicht.
Herkunftsschätzungen stellen also Verbindungen zu Orten dar.
Welche Anteile der einzelnen ethnischen Gruppen von der mütterlichen oder väterlichen Seite kommen und aus welchen Generationen diese stammen, kann dabei nicht bestimmt werden.
Und bitte denk immer daran:
Herkunftsschätzungen sind Schätzungen.
Bitte nimm sie nicht für bare Münze, sondern betrachte sie als Annäherung an die Realität mit groben Richtwerten.

3.2 Ziele und Chancen
Nun, wo wir uns angeschaut haben, welche Arten von Erkenntnissen Dir genealogische DNA-Tests überhaupt liefern können, stellt sich die Frage: Was willst Du eigentlich erreichen? Welches Ziel verfolgst Du damit, einen DNA-Test zu machen?
Ganz allgemein lassen sich fünf zentrale Anwendungsmöglichkeiten für Deine Familiengeschichtsforschung identifizieren:
1 Direkte Vorfahren: Papierforschung verifizieren und "Tote Punkte" überwinden
2 (Entfernte) Verwandte entdecken
3 Leibliche Eltern und weitere Verwandte identifizieren
4 Herkunftsschätzungen
5 Medizinische Auswertungen
3.2.1 Direkte Vorfahren: Papierforschung verifizieren und "Tote Punkte" überwinden
Mit "Papierforschung" ist die traditionelle Ahnenforschung gemeint, also das, was Du bisher auf der Grundlage schriftlicher und mündlicher Quellen gemacht hast. Sozusagen mit Papieren als Quelle.
Dieses Ziel ist vermutlich für die meisten Ahnenforscher das wichtigste. Denn hier geht es zunächst darum, mit Hilfe der Quelle DNA Deine direkten Vorfahrenlinien zu bestätigen. (Oder natürlich auch unerwartet zu widerlegen, wenn die DNA eine andere Sprache spricht als die herkömmlichen überlieferten Quellen. Doch dazu mehr im folgenden Abschnitt.)
Daß Du in jeder früheren Generation ein Vorfahrenpaar hast, steht definitiv fest :-)
Je nachdem, wie weit Du mit Deiner genealogischen Forschung bisher gekommen bist: Es geht darum, mit Hilfe der DNA bisher identifizierte Ahnen zu verifizieren sowie weitere zu finden und zu belegen.
Die Primärquelle DNA hilft Dir also in diesem Fall zum einen beim Auffinden früherer Vorfahren, nach denen Du einfach noch nicht geforscht hast. Zum anderen hilft sie Dir bei kniffligen Fällen, bei denen Du anderweitig noch nicht weitergekommen bist - die berüchtigten "Toten Punkte"(englisch: "brickwalls").
Letztere ergeben sich z.B., wenn die Quellenlage - aus welchen Gründen auch immer - dünn ist. Das ist leider so, wenn Personen nicht erfaßt wurden (z.B. bei einer unehelichen Geburt der Vater nicht angegeben wurde), Quellen nicht zugänglich sind oder gar vernichtet wurden.
Mit DNA-Genealogie kannst Du also:
die Identität von Vorfahren und die genealogische Verwandtschaft zu ihnen verifizieren
Tote Punkte überwinden
Beispiele für Forschungsfragen, die sich in diesem Zusammenhang beantworten lassen:
Wer von zwei Brüdern ist der Vater?
Wer war die Mutter von Urgroßmutter Hedwig?
Stammen alle Träger eines Familiennamens wirklich aus derselben Familie, von demselben Stammvater ab?
3.2.2 (Entfernte) Verwandte entdecken
Eine weitere tolle Möglichkeit, die Dir die Quelle DNA eröffnet, ist das Entdecken von weiteren, meist recht weit entfernten Verwandten. Dazu gehören z.B. Geschwister Deiner Vorfahren und Cousins und Cousinen aus diesen Seitenzweigen.
Vielleicht hast Du von ihnen schon einmal in grauer Vorzeit gehört. Vielleicht waren sie Dir bisher gänzlich unbekannt. Oder ihr habt Euch aus den Augen verloren. Ein DNA-Test bietet die Möglichkeit, über das DNA-Matching eine Verbindung herzustellen.
Mit DNA-Genealogie kannst Du also:
Dir vorher völlig unbekannte Verwandte entdecken
Beispiele für Forschungsfragen, die sich in diesem Zusammenhang beantworten lassen:
Hatte Uroma Wilhelmine eigentlich Geschwister?
Habe ich Verwandte in den USA?
Was ist bloß aus Großcousin Hans geworden, der nach Brasilien ausgewandert ist?
3.2.3 Leibliche Eltern(teile) finden
Dieses Ziel ist ganz besonders für Menschen interessant, die zur Adoption freigegeben wurden, oder bei denen ein Elternteil - meist der Vater - unbekannt ist.
Auch in Fällen, wo die Vaterschaft eines anderen Mannes vermutet wird, kann ein genealogischer DNA-Test hilfreich sein, um den potentiellen leiblichen Vater zu bestätigen oder überhaupt erst zu finden.
Adoptierte haben mit der DNA als Quelle völlig neue Möglichkeiten, ihre Eltern und natürlich auch mögliche bisher unbekannte Geschwister und andere Verwandte aufzuspüren. Diese Möglichkeit kann ihnen die reine Papierforschung z.B. wegen fehlender Informationen oft gar nicht bieten.
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