Das Geheule verlor sich nach und nach, bis es nur noch leise aus dem Freilauf kam. Auch dort wurde jeder Hund versorgt. Einigen mischte Pentti ein weißes Pulver unter den Brei. Es sei gut gegen Würmer.
„Glaubst du“, sagte Max zu Kurt, „dass er jeden Hund kennt?“
„Sicher. Er muss ja morgen die Teams für die Tour zusammenstellen.“
Endlich, als alle Hunde gefressen hatten, trat wieder diese völlige Abwesenheit jeglichen Lärms ein. Nur der kalte Wind blies so stark wie zuvor, doch das fiel über der Stille kaum auf. Sie versammelten sich um Pentti, der gab ihnen Schaufeln in die Hand. Und Eimer, damit sie die Kothaufen einsammeln konnten. Er selbst nahm sich einzelne Hunde vor und untersuchte deren Pfoten. Sie sahen den Kegel seiner Lampe durch den Freilauf wandern.
Max nahm seinen Sohn beim Arm und zeigte ihm Aerienne.
„Die nehme ich Morgen“, sagte er.
„Die zieht den Schlitten sicher allein“, sagte Paul.
„Glaube ich nicht“, sagte Max. „Pentti meint, sie taugt nicht. Frisst nur. Ein völlig nutzloser Hund. Reine Verschwendung.“
„Warum nimmst du sie dann?“
„Ich mag sie. Ich möchte sehen, wo sie ihren Platz hat.“
Die Kothaufen waren meist gefroren. Sie hackten sie mit der Schaufel aus dem Eis und warfen mehrere Eimer voll in einen Container.
„Ich habe Hunger wie ein Bär“, sagte Paul schließlich.
„Hast du von deiner Mutter gehört?”, fragte Max, als sie gemeinsam einen Eimer lehrten.
„Sie kommt mich nach den Ferien besuchen. Ich soll dich grüßen. Es geht ihr gut. Sie wohnt weiter in Lausanne.“
„Ja“, sagte Max. „Dein Großvater sendet dir ebenfalls einen Gruß.“
Er spürte, wie der Junge ihn ansah.
„Was ist?“
„Weiß Großvater, wo wir sind?“
Max schwieg.
„Hast du es ihm gesagt?“
„Ich habe mich sehr plötzlich entschlossen.“
„Ha!”, sagte Paul und schüttelte den Kopf. „Wusste ich! Ich hab letzte Woche mit ihm telefoniert, da dachte er, ich würde die Ferien zu Hause verbringen. Er hat sich gefreut.“
„Das verstehst du nicht“, sagte Max.
„Mir gefällt, was wir stattdessen tun“, sagte Paul und lachte.
Sie ließen die Eimer und Schaufeln am Schuppen zurück und fanden sich in aufgeräumter Stimmung im Eingang des Blockhauses wieder, wo sie sich aus der Kleidung schälten. Nur mit Strumpfhosen, warmen Pullovern und Hausschuhen bekleidet stiegen sie die Treppe hoch und waren schon viel gelöster.
„Nun bin ich bereit“, sagte Max zu Holdin und prostete ihm mit einem Bier zu.
„Hilf mir“, sagte Sarah zu Max. „Deck den Tisch.“
Max war bereit. Er freute sich, so schnell beachtet zu werden. Sie hatte die Vorräte durchsucht, während die Männer die Hunde fütterten. Erbsen und Möhren waren aufgetaut und der Kartoffelbrei aus einer Tüte angerührt. Am Herd stehend wirkte Sarah sehr entschlossen und Max fürchtete um die saftigen Koteletts.
„If storm tomorrow, we will not go“, sagte Pentti. So ein Sturm sei zu gefährlich.
„Sarah“, sagte Max, „wofür brauchen wir Servietten? Soll ich eine ganze Packung anbrechen?“
Sie bestand darauf.
Pentti fuhr mit seiner Unterweisung fort. Torben sei mit einer Gruppe draußen, verstanden sie aus seinem merkwürdigen Englisch. Er mischte es mit ein paar drolligen deutschen Brocken. Der Sturm dauere jetzt schon drei Tage, und Pentti sei sich sicher, dass der Besitzer des Hundecamps sich mit seinen Gästen in irgendeiner Hütte verkrochen habe. Das käme vor und sie seien darauf vorbereitet. In den Schlitten werde ein Zelt und ein Ofen für den Notfall mitgeführt.
Weder Handy noch Geld noch Ausweise seien während der Reise von Nutzen, sagte Pentti. Max fiel jetzt sein Telefon ein, das draußen auf dem Eis lag. Die Batterie würde noch tagelang Strom liefern. Es mochte klingeln, so viel es wollte.
Vermutlich würden sie die folgenden zehn Tage keinen anderen Menschen zu Gesicht bekommen. Notfalls habe Pentti ein spezielles Telefon dabei und er wisse, auf welchen Berg man steigen müsse, um Verbindung zu haben. Dann käme ein Rettungshubschrauber der Küstenwache, was nicht billig sei.
„GPS?“, wollte Pentti wissen. Er schien kein Freund der Satellitennavigation zu sein. Jeder aus der Gruppe verneinte. Niemand trug ein GPS bei sich. „You get lost“, sagte Pentti, „you wait. I find you. Each will get signal light“, sagte er, und gab kleine Bolzenschussgeräte für Notsignale aus, die mit Klebeband umwickelt waren.
Max hatte den Tisch gedeckt und die Papierservietten auf jeden Platz gelegt. Er nahm Bier und Sprudel aus dem Kühlschrank.
„Sarah“, mahnte er, „die Koteletts werden schwarz. Sie können nichts dafür, dass du auf Diät bist.“
„Ha!”, sagte sie und nahm die Pfanne vom Herd. „Stell du Bier und Sprudel auf den Tisch.“
Max zeigte ihr die Flaschen, die er in seiner Hand hielt.
„Na, dann stell sie auf den Tisch“, sagte Sarah und scheuchte ihn aus der Küche.
„When we will start“, erklärte Pentti, „you can not go back.“ Gleich im Anschluss werde er ihre Winterausrüstung und jeden einzelnen der Schlafsäcke überprüfen.
„Hat eigentlich niemand von euch Angst?”, fragte Max. „Wir werden morgen früh dort hinausfahren, wo es jetzt stürmt. Und wir werden zehn Tage lang in Zelten leben.“ Warum musste immer er es sein, der solche Fragen stellte?
„Und du?”, fragte Sarah.
„Geht schon“, sagte Max. „Mich wundert nur, dass ihr alle so gelassen seid.“
Holdin lachte: „Wir können schon jetzt nicht mehr zurück“, sagte er. „Wirklich nicht. Pentti hat Sarah und mich gestern Morgen am Flughafen abgeholt. Wir sind mit dem selben Flug gekommen. Er hat uns hier abgesetzt und Essen dagelassen. Am Abend hat er Kurt gebracht. Es gibt morgens einen Schulbus nach Setermoen. Dort haben Sarah und ich den heutigen Tag verbracht. Nach Mittag kommt er zurück. Andere Verbindungen gibt es nicht.“
Sarah stellte Paul einen randvollen Teller hin. Das Kotelett, das sie ihm zuteilte, war riesig und vollkommen verbrannt. Sie nickte dem Jungen aufmunternd zu und freute sich an ihrem Werk. Paul nahm Messer und Gabel in die Hand, wusste aber nicht, wie er das schwarze Stück Fleisch schneiden sollte. Auch Pentti wurde von Sarah persönlich bedient und bekam ein großes Stück zugeteilt. Er aß mit großem Appetit.
Die anderen Gäste ließ Sarah von Max bedienen, bestimmte aber, für wen welcher Teller gedacht war. Kurt bekam ein peinlich kleines Stück Fleisch, das mit noch größerer Sorgfalt verbrannt worden war als die Übrigen. Sie selbst begnügte sich mit Kartoffeln und ein paar Erbsen.
„Sarah“, sagte Max, „mein Fleisch ist schwarz.“
„Korrekt“, sagte sie und beließ es dabei. Das Gemüse war ungesalzen und der Kartoffelbrei klumpig. Kurt rührte sein Essen nicht an. Er trug immer noch das rote Halstuch um den Hals gewickelt. Das schien er nie abzulegen. Er hatte sich abseits gesetzt und starrte Pentti an.
Wer wohl letzte Woche hier gegessen hat?, dachte Max. Im Internet hatte er gesehen, dass Torben und Pentti wechselnde Routen anboten. Sie waren fast ständig unterwegs. Jeden Winter umgab sich dieser schweigsame Mann mit immer neuen Menschen und ihren sich stets wiederholenden Anliegen.
„Jetzt seid ihr dran“, rief Sarah, als sie fertig gegessen hatten. „Abwaschen.“
Max, Holdin und Paul machten sich an die Arbeit. Anschließend erklärte Holdin den beiden die Ausrüstung, die er gekauft hatte, und er half ihnen, sie zu verstauen. Die warme Kleidung müsse greifbar sein. Ein Messer am Mann, erklärte Holdin, um damit notfalls Leinen zu kappen. Die Trillerpfeife nicht vergessen, falls man verloren gehe. Einen Kompass für jeden.
Читать дальше