Ein mechanischer ‚Klick’ drang aus der Hütte, wenn die Spielgeräte geschlagen wurden … und manchmal ein trockenes Scheppern, falls ein Ball als sein Ziel das Fahrzeug traf. Wagner lachte still beim Zuschauen. Er hatte schon eine Weile gewartet und sich die Füße vertreten. Sie steckten in warmen Schuhen aus Kalbsfell.
Es war genau achtzehn Uhr, als er schließlich vorsichtig um die Ecke schaute und in das Licht trat.
Die Hütte war in drei Boxen unterteilt, doch nur die erste davon wurde genutzt. Hermann von Achnitz schien Wagner nicht bemerkt zu haben … oder er ignorierte ihn. Er war groß, Anfang siebzig und hatte schneeweißes Haar, das früher sehr dicht gewesen sein musste, jetzt jedoch zurückging. Ein Schnauzbart und die fleischigen Falten unter dem Kinn gaben ihm etwas von einem Walross, zu dem die Hornbrille nicht passen wollte.
„Spielen Sie Golf, Herr Wagner?“ Von Achnitz sprach, ohne aufzublicken. Seine mit Nägeln bespickten Schuhe sahen so teuer aus wie die in allen Farben karierten Hosen und der schimmernde graue Rollkragenpullover. Der Golfschläger wirkte zierlich in seinen Händen. Ein Baseballschläger hätte besser dort hineingepasst. Wagner schwieg, während von Achnitz etwas hüftsteif ausholte und den Ball schlug, der in einer langen Kurve nach rechts flog.
„Es interessiert mich“, sagte Wagner mit ehrlichem Gefallen in der Stimme.
„Golf lehrt Sie Demut“, sagte von Achnitz und fügte ‚Mein Junge’ hinzu. Wagner war achtunddreißig Jahre alt, und bald würde es zu spät sein, um seine Karriere vorwärts zu bringen. Wenn Demut ein Maß für golferische Fähigkeiten war, dann wies die Stimme des Mannes auf deutliche Mängel hin, denn sie war zu laut.
„Demut!“, wiederholte er drohend. „Sobald Sie meinen, Sie hätten verstanden, worum es geht, entzieht sich das Spiel und Sie fangen ganz unten wieder an. Der Ball, den ich eben geschlagen habe, ist geradeaus gestartet und hat sich dann nach rechts vom Ziel entfernt. Das nennt man einen Slice. Er ist mein größtes Problem. Derselbe Schlag, von einem Könner geschnitten, heißt Fade. So jemand schlägt einen Ball mit Absicht nach links und lässt ihn zurück ins Ziel drehen. Ich kann das nicht. Im Prinzip ist es die gleiche Flugbahn … nur, dass der eine Schlag einem Willen folgt, und der andere nicht. Man benutzt den Fade, um Hindernisse zu umspielen oder um eine bessere Landerichtung für den Ball zu finden. Wussten Sie das?“
Von Achnitz dampfte in der feuchten Kälte. Er keuchte, als er sich bückte, um neue Munition auf der Matte zurechtzulegen.
Wagner wartete, bis er geschlagen hatte. „Nein“, sagte er dann.
„Wissen Sie, wer ich bin?“
„Hermann von Achnitz. Achnitzer Torfbrand hier in Großbeesen. Sie haben das Unternehmen groß gemacht, das jetzt von Ihrem Sohn geleitet wird. Sie sind Kunde unserer Kanzlei.“
„Das bin ich in der Tat.“ Von Achnitz lachte. „Dann wissen Sie auch, dass es dem Unternehmen nicht gut geht.“
„Es steht in der Zeitung.“ Wagner war vorsichtig geworden, während von Achnitz ruhig weiter schlug. „Ihr Sohn möchte verkaufen.“
„Richtig. Mein Sohn hat mir vor Jahren meine Anteile abgekauft und das Geld nie verdient, das er mir gab. Er steht vor dem Ruin, während es mir gut geht. Sie sollen ihn finden. Ich will meinen Betrieb zurück.“
Der alte Mann hackte wütend in die Matte, sodass der Golfball quer durch die Hütte flog und Wagner nur knapp verfehlte.
„Wie kann ich helfen?“, fragte der Rechtsanwalt.
„Er ist in Norwegen“, sagte von Achnitz. „Zusammen mit meinem Enkel und einem Buchhalter, mit dem er befreundet ist. Niemand weiß, wo genau er in Norwegen steckt. Weder seine Sekretärin, noch irgendein Reisebüro. Meine Anrufe beantwortet er nicht. Sie wurden mir als diskreter Ermittler empfohlen.“
„Meist finde ich, was ich suche“, sagte Wagner.
„Finden Sie meinen Sohn Maximilian“, fuhr Hermann von Achnitz fort. „Er will nicht hören. Hat noch nie hören wollen. Sagen Sie ihm, dass ich den Betrieb zurückkaufe.“
Er zögerte, stützte sich wütend auf den Golfschläger.
„Es ist nicht zu glauben, was der Junge zu tun gedenkt“, sagte er kopfschüttelnd. „Ich kann ihn nicht erreichen. Er will die Firma an einen Investor verkaufen. Der wartet nur auf den Anruf von meinem Sohn, dann ist der Betrieb weg. Es ist alles vorbereitet.“ Von Achnitz griff in seine Gesäßtasche, um ein Portemonnaie hervorzuholen, dem er eine American Express Platin-Karte entnahm. Er reichte sie Wagner und schaute ihn forschend an.
„Sie müssen hinten unterschreiben. Sie ist auf Ihren Namen ausgestellt und hat kein Limit. Sie nutzen sie für Ihre Ausgaben und suchen meinen Sohn. Er muss mir das Unternehmen zurückgeben. Wenn er es nicht will, dann soll es mein Neffe haben. Bitte … finden Sie die beiden. Gehen Sie jetzt.“
Von Achnitz schien ihn augenblicklich zu vergessen und fuhr fort, Bälle zu schlagen. Wagner drehte sich um. Er trug eine schwere Lammfelljacke und einen Schal. Beides lag ihm schwer auf dem dicken Bauch. Er schwitzte.
„Sie berichten an ihre Kanzlei“, rief ihm von Achnitz nach. „Dort liegen die Verträge bereit. Und … Wagner!“
Wagner drehte sich um.
„So heißen Sie doch? Wagner? Mit Demut kommen Sie bei der Suche nicht weiter. Falls Sie hier im Verein Mitglied werden wollen ... ich kann das arrangieren. Selbst in Bremen steht Ihnen jeder Klub offen. Falls Sie ihn nicht finden, wird es schwierig, wenn Sie sich für Golf interessieren.“
Wagner ging zum Klubhaus zurück. Er fand die Bar und bestellte sich einen Espresso, dazu einen Whiskey ohne Eis. Dann setzte er sich in eine dunkle Ecke. Sogar der Barmann schien ihn zu vergessen. Nach einer Weile kam von Achnitz herein, er trank eine Tasse Kamillentee, ohne Notiz von Wagner zu nehmen. Eine gute Viertelstunde später verließ der alte Mann die Bar. Wagner hörte eine Zeit lang der Musik zu, die im Hintergrund spielte, dann rief er den Kellner zu sich.
„Wissen Sie, was das ist?”, fragte er ihn und gab ihm die Kreditkarte.
„Das ist eine American Express Platin-Karte“, sagte der Kellner und drehte sie in der Hand. „Sie haben noch nicht unterschrieben.“
„Wissen Sie, was man tun muss, um so eine Karte zu bekommen?“
„Nein.“
„Wenn Sie es wüssten“, sagte Wagner, „dann würden Sie sich verdammt beeilen, mich zu bedienen. Bringen Sie mir noch einen Whiskey. Ich habe eine lange Nacht vor mir.“
Pentti kam die Treppe hoch. Er war in einen dicken blauen Overall gekleidet. „Listen“, sagte er so leise, als ob niemand es hören sollte, „is time we feed dogs. Be carefull. Is cold outside. Take lamps.“ Max stellte ihn sich betrunken vor.
Es kam Leben in die angehenden Schlittenführer. Sarah würde das Abendessen zubereiten, während sie die Hunde fütterten. Holdin hatte alles mitgebracht, was er sich unter der Ausrüstung für eine Wintertour vorstellte. Er bestand darauf, dass Max und Paul die wattierten Hosen und die Winterstiefel anprobierten. Die roten Parkas waren dick wie Raumanzüge. Der Rand der Kapuzen war mit dichtem Fell gefüttert, das sich um den Hals legte. Holdin selbst zog einen knallroten Overall an.
Pentti griff sich ein dickes Paar Fäustlinge, das Holdin zurechtgelegt hatte, wedelte mit dem einsamen Zeigefinger der anderen Hand und sagte: „No! This you take tomorrow.“ Er zeigte auf seine Fingerhandschuhe und sagte: „Now! We work.“ Max fiel auf, dass Pentti um den Hals einen ähnlichen Seidenschal trug, wie er es bei Kurt gesehen hatte, nur dass dieser hellgrün war.
Jeder zog sich eine dicke Fellmütze über den Kopf. Mühsam nur kamen sie die Treppe hinunter. Die Hosenbeine rieben beim Gehen geräuschvoll aneinander. Einer nach dem anderen traten sie durch die Tür in den Sturm hinaus wie Astronauten in den leeren Raum. Dort hatte jetzt ein infernalisches Bellen, Heulen, Reißen und Rasen angesetzt. Ketten rasselten in hellen Tönen. Alles herum war glashart gefroren.
Читать дальше